„Lucky Bastards“ von Edan Gorlicki

„Lucky Bastards“ von Edan Gorlicki

Brave Gala über jene, die nicht dabei sind

In Mannheim stellte Edan Gorlicki sein neues Stück „Lucky Bastards“ vor

Der Wahl-Heidelberger, dessen Arbeiten dort übrigens in den vergangenen zwei Jahren bedauerlicherweise so gut wie gar nicht zu sehen waren, spielte gut 20 Kilometer weiter im neuen EINTANZHAUS von Eric Trottier und Daria Holme.

Mannheim, 07/12/2017

Gemüse bei zu hohen Temperaturen zu dünsten, zerstört die Nährstoffe. Zudem droht die Gefahr, es anzubrennen. Versucht man hingegen Milch auf Stufe eins zum Kochen zu bringen, schaltet man irgendwann aus Frust den Herd aus. So in etwa geht es einem mit dem neuen Stück von Edan Gorlicki.

Der Wahl-Heidelberger - dessen Arbeiten dort übrigens in den vergangenen zwei Jahren bedauerlicherweise so gut wie gar nicht zu sehen waren, weil die einzig mögliche Bühne für die freie Szene in privaten Händen liegt und dort alles aussortiert wird, was dem eigenen Tanzverständnis und -geschmack abträglich scheint - spielte gut 20 Kilometer weiter im neuen EINTANZHAUS von Eric Trottier und Daria Holme in Mannheim.

„Lucky Bastards“ nennt der ehemalige Tänzer sein neues Stück. Es soll an all jene erinnern, die aus irgendeinem Grund auf der Welt dort, wo sie gerade leben, nicht mit jenen am Tisch sitzen, die sagen, wo es lang geht. Denn sie haben etwas an ihrem Körper oder in ihrer Biografie, was zum Stigma gerät und eben die Speisenden in der Komfortzone stören könnte. Und das sind - Stand der Soziologie heute - praktisch irgendwo alle: die Ungeliebten, die Schwulen, die Heimatlosen, die Vertriebenen, die Geschiedenen, die Staatenlosen, die Frauen, die Kranken, die geistig oder körperlich Behinderten, die Missbrauchten, die Bedrohten, die Verfolgten, die Armen und so weiter.

Und damit das Publikum wirklich fühlt und versteht, um was es geht, wird man gleich zu Beginn des Stückes seiner Freiheit beraubt, sich selbst seinen Platz wählen zu dürfen und auch jener, wann man sich setzen möchte. Stattdessen wird man in Gruppen eingeteilt, muss die Schuhe ausziehen, darf diese aber nicht stehen lassen, sondern soll sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erst auf einen Platz bringen, der dann aber in der Bank selbst gewählt werden kann. Nach 90 Minuten erfolgt dasselbe Spiel. Man wird sozusagen selektiert von anderen Zuschauern. Diese strecken den Finger aus, picken einen aus der Masse und raus aus dem Saal.

Zur Halbzeit spielt man dann kräftig mit beim Bestimmen relativen Unglücks per Handzeichen: „Ist es besser geschieden zu sein oder kinderlos?“ - „Besser krank oder arm?“ – „Besser vertrieben oder staatenlos?“. Das alles tut nur ein wenig weh, so wie wenn man sich am Wein verschlucken würde, schlimm ist es nicht. Man durfte ein bisschen mitreden, konnte sehen, wie die anderen entscheiden. Und man gehörte an diesem Abend ja dazu: Denn man saß im Theater. Und nicht draußen. Wie die Obdachlosen.

Bei alledem verdrängt man auch den Gedanken, dass hier ein aus Israel stammender Choreograf der jungen Generation in Deutschland arbeitet, der vielleicht sehr viel zu dem schweren, berechtigten Thema sagen könnte, jedoch geradewegs vor lauter Nettigkeit den Zug verpasst.

Gorlicki ist, ähnlich wie einer seiner Lehrmeister Itzik Galili, der die Manipulation des Zuschauers liebt, dabei ein ziemlich kluger Kopf. Seine Bühnenwerke, das zeigt auch die Uraufführung „Lucky Bastards“, haben einen stark konzeptionellen Ansatz und spielen mit den, wenn auch mittlerweile überholten postmodernen Strategien der Inszenierung: hochgehalten wird, hier besonders, die Partizipation des Zuschauers auf der Bühne. Zelebriert wird ein ruhiges Storytelling und Arabic Singing durch eine marrokanisch-niederländische Sängerin (wunderschön: Karima el Fillali), die von ihrer Vergangenheit als Scheidungskind erzählt. Und auch der Miteinbezug aktueller Massenkunstformen darf nicht fehlen, hier Freestyle Rap und Human Beatboxing, herrlich vorgetragen von Tobias Borke und Philip Scheibel - kalte, da viel auf Distanz gehende Ironie inbegriffen.

Bis auf wenige Momente vollzieht das Stück, das er auch eine „Gala“ nennt, seine Sinnproduktion insgesamt über die gesprochene Sprache. Getanzt, in drei Duetten, oder bewegt wird, was zuvor erzählt wurde. Oder auch nicht. Die Länge der getanzten Sequenzen, die vor allem aus in Lichtquadrate gesetzte Bewegungssequenzen bestehen, wechselt zu sehr langsam bis sehr schnell. Dadurch bekommt man Einblick in jene Prozesse, wann eine Bewegung narrativ wird oder eben nicht. Das ist spannend, verläuft aber ins Leere.

Die Sollbruchstelle von „Lucky Bastards“ liegt ungefähr in der Mitte des Stückes. Michelle Cheung, die schon für Ihre Fähigkeit bekannt war, expressiv tanzen und brüllen zu können, tat genau dieses. Sie tanzte und brüllte, weil sie zuvor, im Gegensatz zu den anderen, von Philip Scheibel, der Human Beatbox, nicht gesehen wurde. Jedes Mal, wenn sie versuchte - wie ihre Kollegen Evandro Pedroni und Jasmine Ellis - mit ihrem Tanz dessen Aufmerksamkeit zu erhaschen und in einen Bewegung-Musik-Dialog mit ihm zu kommen, wandte der sich frustriert ab. In diesem Moment öffnete sich quasi ein Krater und man blickt in den Abgrund einer verlassenen oder geschiedenen Frau, die vielleicht genau dieses Schicksal erleidet, weil sie irgedwelche Erfahrungen des Übersehens-Werdens in ihrer Kindheit nicht aufgearbeitet hat. Doch anstatt Cheung weggehen oder in ein kraftvolles, ausdrucksstarkes Trio mit den anderen gleiten zu lassen, verstummt sie, muss sich anschauen lassen, die Tränen trocknen und wieder Bewegungsskulpturen vollziehen.

Der einzige spannende, da eben nicht lesbare Moment am Ende besteht darin, dass Evandro Pedroni sich alleine in einem Haufen silberner Glitzerpapierchen rollt und quält, in feinem Dialog mit Scheibel. Das sieht verdammt einsam aus. Es ist hier etwas zu sehen. Zu spüren. Vielleicht traut sich Gorlicki in seinem nächsten Stück, wirklich etwas von sich selbst zu zeigen. Verbindlich zu werden. Denn das braucht die Welt. Nett sein können alle.

 

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