Magie zwischen Schwulst und Pomp

Das National Ballet of China gastierte bei den 43. Hamburger Ballett-Tagen

Zu sehen gab es eine wilde Mischung aus Klassik und Moderne, Kitsch, Opulenz und kleinen magischen Momenten – alles auf technisch höchstem Niveau.

Hamburg, 18/07/2017

Zum zweiten Mal nach dem ersten Besuch 2011 mit „Die rote Laterne“ gastierte das 1959 gegründete National Ballet of China bei den Hamburger Ballett-Tagen. Zu der in Peking beheimateten Kompanie besteht eine freundschaftliche Verbindung, die Chinesen haben auch Neumeier-Werke im Repertoire. Jetzt zeigte die 60-köpfige Truppe sechs chinesische Kreationen, eine wilde Mischung aus Klassik und Moderne.

Den Anfang machte der zweite Akt aus „Der Ruf des Kranichs“ in der Choreografie von Feng Ying, der Künstlerischen Direktorin des Ensembles. Er erzählt die (wahre) Geschichte eines jungen Mädchens, das sich der weltlichen Liebe verweigert und stattdessen der Rettung der Kraniche verschreibt, wobei es tragischerweise im Sturm den Tod findet. Das hätte durchaus eine vielschichtige und bewegende Geschichte werden können, denn Kraniche stehen in der chinesischen Kultur für ein langes Leben, Treue und Glück. Die Inszenierung von Feng Ying allerdings ist – zumindest für an der Neumeier-Tradition geschulte Augen – doch ein bisschen arg verkitscht und erinnert eher an Bollywood-Filme, begleitet von der pompösen Musik des chinesischen Komponisten Shen Yiwen.

Natürlich tanzt die ganze Kompanie technisch auf höchstem Niveau, und natürlich ist es opulent anzuschauen, wenn 24 gleich große Tänzerinnen in der Anmutung des Schattenaktes aus „La Bayadère“ über zwei schiefe Ebenen im Gleichschritt den Rücken vogelgleich verbiegen und die Hände anmutig über die Köpfe heben. Aber es kommt einem doch ein wenig gekünstelt vor, wie die junge Frau den Liebhaber zurückweist und sich ganz dem Schutz der Vögel widmet, die von gnomenhaften Unholden im Sturm bedroht werden. Ebenso unsäglich verkitscht, wie die junge Frau dann plötzlich in einem feurig-roten Höllenschlund verschwindet, um flugs als weiß gekleidete Lichtgestalt wiederaufzuerstehen, um dem verschmähten Jüngling zu erscheinen und ihm seinen Weg zu weisen. Dagegen erscheint jede klassische „Giselle“ schon fast puristisch.

Zum Aufatmen folgte dann nach der Pause mit „Close Your Eyes When It’s Getting Dark“ eine hochmoderne Choreografie in Schwarz-Weiß von Zhang Zhenxin zu elektronischer Musik von Eric Serra, Ryoji Ikeda und David Eugene Edwards. Der Switch von der zuckrigen Klassik zum fetzig-modernen Tanzstil gelingt perfekt, ebenso die Dynamik im Wechselspiel zwischen weiblich und männlich auf der Suche nach Antworten auf die Frage: „Wie gestalten wir unsere eigene und unsere gemeinsame Geschichte?“ (Zitat aus dem Programm). Hier wird das neue China augenfällig erkennbar.

Mit dem Pas de Deux „How Beautiful is Heaven“ folgte gleich danach das berührendste und poetischste Stück des Abends (im Rahmen einer Nijinsky-Gala war es schon einmal in Hamburg zu sehen). Es ist die kurze Geschichte einer krebskranken jungen Frau, die sich – begleitet von ihrem Partner, der sie immer wieder stützt und hält – ihrem unabwendbaren Schicksal stellt und ins Licht geht. Ein magischer Moment.

Das nächste Stück „Ji Gong (Buddha-Ji)“ ist ein amüsantes Solo des großartigen Wu Siming in der Choreografie von Hu Yan. Es geht dabei, so sagt das Programm, um „eine reale Person aus der Song Dynastie (1150-1209)“, deren „Humor, Großzügigkeit und universelles Mitgefühl“, und um seine „Erleuchtung, die er als Folge von Wahnsinn und Stummheit erlebt hat“. Viele Bewegungen erinnern hier an traditionelle chinesische Tänze, und Wu Siming meistert diese technisch höchst anspruchsvolle Herausforderung auf atemberaubende Weise. Ein weiterer Lichtblick an diesem Abend. Das vierte kurze Stück des Abends war „Sacrifice“, ein Pas de Deux in der Choreografie von Fei Bo. Er endet mit der Opferung der Frau und ist ein weiteres Beispiel für die technische Perfektion, mit der die Chinesen tanzen, an diesem Abend waren es Xu Yan und Zhang Yao.

Den Abschluss bildete dann wieder Schwulst pur: „Yellow River“, eine Reminiszenz an den Gelben Fluss, einen der bedeutendsten Flüsse der Welt und der zweitgrößte in China. Die Choreografie von Chen Zemei datiert aus 1999, die Musik besteht aus einer voluminösen Klavierkonzert-Fassung der „Yellow River Cantata“ von Xian Xinghai, die der Pianist Yin Chengzong zusammen mit drei weiteren Musikern erstellt hat. In Kombination mit den Massenszenen der jungen Revolutionäre wirkt das furchtbar überladen und vorgestrig. Daran ändert auch die technische Perfektion nichts, mit der die Kompanie die teilweise akrobatischen Höchstschwierigkeiten und die grafischen Bewegungsmuster der Ensembles meistert. Ob so ein Stück tatsächlich der Bedeutung des großen Flusses gerecht wird, den dieser für China hat, können nur die Chinesen selber beantworten. Für europäische Augen mutet das mit seiner Uniformität und Gleichmacherei eher etwas gruselig an. Das Publikum war dennoch begeistert und applaudierte zu einem genau ausgeklügelten Verbeugungszeremoniell, währenddessen die Musik noch weiterlief.

 

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