„The Pose“ von Constanza Macras/DorkyPark.

„The Pose“ von Constanza Macras/DorkyPark.

Alles nur Schein

Beer and me, that's it: Constanza Macras' „The Pose“ an der AdK Berlin

Das interdisziplinär erfahrene, internationale Dorkypark-Team um die Choreografin ist über vier Stunden mit viel Energie, Tempo und Spiellaune in Aktion. Der globale Kult ums eigene Ich wird dabei sommerlich leicht, humorvoll parlierend gespiegelt.

Berlin, 12/07/2017

Selbstinszenierung und Selbstoptimierung feiern Hochkonjunktur insbesondere in einer so schrankenlos partysüchtigen Egomanen-Metropole wie Berlin. Hier lebt die in Argentinien geborene Choreografin Constanza Macras seit mehr als zwei Jahrzehnten. Ihre unkonventionell kraftvollen Kreationen touren deutschland- und weltweit. Nach vier Jahren Abstinenz erlebte mit „The Pose“ wieder eine Dorkypark-Produktion ihre Berliner Uraufführung. Das interdisziplinär erfahrene, internationale Dorkypark-Team (ergänzt um 25 Gast-Performer) ist über vier Stunden mit viel Energie, Tempo und Spiellaune in Aktion. Der globale Kult ums eigene Ich wird dabei sommerlich leicht, humorvoll parlierend gespiegelt; bitterböse schrille abgründige Sequenzen sind rar.

Die Zuschauer sind in Bewegung, wandern zunächst in drei Gruppen zu drei parallel bespielten Aufführungsorten in der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Abendsonne liegt über dem Garten, die große Linde spiegelt sich in der Wasserfläche, durch Stelen tritt eine ältere Frau (Ana Mondini) in schwarzem Kleid und grünen Heels. Ihr souveräner Gang verliert sich in Unsicherheit, sie taumelt über den Rasen, später angstbesetzt in die Arme eines schlaksigen Jungen. Kleinste Spuren von Paartanzposen verflüchtigen sich in einem langsamen Kippen, Schwingen, Fallen. Eine junge Frau verknotet ihre Gliedmaßen, stürzt barfuß ins Wasser. Für ein paar Sekunden bevölkert eine bunte Tanzgruppe mit stereotypen MTV-Bewegungen den Garten. Schauspieler Luc Guiol auf erfolgloser Jobsuche kommentiert sprachlich präzise und amüsant seine absurden Fotoreihen für Casting-Agenturen, die vor den Zuschauern auf einem Screen erscheinen. Diese Selbstkommentierung eigener Porträt-Fotos gekoppelt mit körperlicher Selbstbefragung zieht sich auch bei den anderen Hauptakteuren überzeugend durch alle Stationen.

Im Sitzungssaal führt Miki Shoji lächelnd plappernd ihre banalen Selfies in Flugzeugen, Hotels, Flughäfen, Zimmern rund um den Erdball vor: „It´s me, I was drunk, felt so good, made a photo...“. Eine andere Frau, deren Körper in einem akrobatischen Solo von innen heraus zu zerspringen drohte, besingt zur Gitarre Urlaubsbanalitäten. Der androgyne Japaner Nile Koetting in Glitzershorts legt sich selbst Handschellen an, schreitet als Paradiesvogel, gräbt sich in die Erde ein und öffnet seine gefesselten Hände wie ein Blütenkelch. In der Beschreibung seiner austauschbaren Fotos als Model eröffnet er dem Publikum die dahinter verborgene Spur seiner persönlichen Geschichte einer psychotischen Kindheit als Außenseiter. Diese bewusste Doppeldeutigkeit ist ein starkes Moment, bleibt leider die Ausnahme.

Im Besprechungsraum kommentiert eine Frau ihre Selfies als sexy Telenovela. Erlernte Selbstverliebtheit kreist bei Emil Bordás Slow-HipHop-Balance um eine Hand. Der Südafrikaner Thulani Lord Mgidi agiert in zerstückelten Bewegungsfragmenten und schießt Selfies auf Demos; die Welt verstehen lernt er nicht. Im Zeitraffer von gehetztem Kleider- und Requisitentausch formen die Akteure auf der Studiobühne vor allen Zuschauern 'lebende Bilder', die in immer neuen Arrangements erstarren. Ein virtuoses Posen-Sammelsurium der Theater-, Film- und Tanzgeschichte für emotionale Zustände und Beziehungen erzeugt kurze Lacher im Publikum. Doch die Gesten ermüden, die Performance zerfasert, findet keine schlüssige dramaturgische Raffung. Wenn im Finaltableau vor der Pause alle Performer unisono in sterbender Schwan-Pose zu Boden gehen, klingt der Sub-Text der klassischen Ballettmeisterin „All hope is lost“ wie ein skeptisches Omen. Nach der Pause kann der Parcours nochmals in drei Gruppen erlebt werden, der Fokus weitet sich auf unterschiedliche Kulturen und Gesellschaften.

Constanza Macras choreografiert und arrangiert „The Pose“ in der Kombination aus intensivem Tanz-Spiel, assoziativem Text, banalem Sound und Architektur als Erinnerungsräume, in denen Achtlosigkeit und Achtsamkeit walten. Alle Akteure reiben sich im Befragen und Aufbrechen tradierter scheinbar festgeschriebener Sprach- und Körperbilder. „The Pose“ ist ein mehrstimmiger Langzeit-Kommentar zur weltumspannenden Selfie-Manie. Er verweist auf die Hoffnungen und Ängste hinter den Bildern, den Posen, dem Lächeln. Die Überlänge des Projektes erschöpft sich in Wiederholungen mit Variationen und nimmt dem Anliegen den Biss.

 

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