Choreografie von Francisco Baños Diaz.

Choreografie von Francisco Baños Diaz.

Andere Orte, anderer Tanz

In der Reihe „Intershop“ choreografieren Tänzerinnen und Tänzer vom Leipziger Ballett an besonderen Orten der Stadt

In diesem Jahr ist es die Leipziger Baumwollspinnerei in Kooperation mit dem LOFFT.

Leipzig, 03/07/2017

„Intershops“ – das waren in der DDR die Geschäfte, in denen man für Westgeld kaufen konnte, was es sonst nicht gab. Für den Leipziger Ballettdirektor und Chefchoreografen Mario Schröder verbinden sich mit diesem Begriff Erinnerungen an die Kindheit, an diesen besonderen Ort mit seinen Farben und Gerüchen, der die Neugier weckte. Um das Besondere, um die Farben der künstlerischen Handschriften geht es auch, wenn unter diesem Motto die Tänzerinnen und Tänzer des Leipziger Balletts eigene Choreografien an eigens ausgewählten Orten vorstellen. In diesem Jahr ist es die Leipziger Baumwollspinnerei in Kooperation mit dem LOFFT, dem Theater, das bekannt ist für Produktionen, Aufführungen und Festivals des modernen Tanzes und demnächst seinen Standort in diesem Leipziger Kulturquartier beziehen wird. Neun Choreografien von acht Tänzerinnen und Tänzern ganz unterschiedlichen Formats erlebten jetzt ihre Uraufführungen.

Der Bogen war sehr weit gespannt, sowohl was die Themen angeht, als auch die künstlerischen Handschriften, die Besetzungen – das reichte vom Solo über die Intimität des Duos bis hin zu Kreationen für größere Gruppen. Und selbst wenn man den Eindruck hatte, dass Themen wie die Fragen nach dem Woher und Wohin, nach dem eigenen Standpunkt, nach dem Gelingen oder Scheitern von Beziehungen so etwas wie die Grundierung bilden, so sind die Herangehensweisen bei der Wahl künstlerischer Mittel doch unterschiedlich. Das führt dann zu verschiedenen Ausdrucksformen und Techniken des zeitgenössischen Tanzes, bewusst auch mit Anklängen an Traditionen und Grundlagen dieser Kunst des bewegten und im besten Falle für die Zuschauer bewegenden Ausdrucks.

Also eine Vielzahl von Geschichten, mitunter sehr persönlich geprägt, dennoch für die Zuschauer offen, um im besten Falle eigene Geschichten darin zu finden, zu erkennen, oder mehr noch, wie es der Tänzer Oliver Preiss zu seiner Kreation „Die Feinheit des Seins“, mit der das Programm beginnt, sagt: Es gehe ihm nicht darum, nur sich selbst zu finden, sondern auch den Zuschauer. Im Ergebnis neun Choreografien, neun unterschiedliche Handschriften, Besetzungen, Musik, Klänge, Stücke von unterschiedlicher Dauer. So kann die Spannung gehalten werden, selbst wenn sich thematische Motive oder tänzerische Techniken wiederholen. Zu erwähnen ist noch die Auswahl der Musik, oft Erinnerungen der Tänzerinnen und Tänzer an ihre Heimat.

Fast wie eine Erinnerung an die Traditionen der weißen Bilder im klassischen Ballett wirkt bei durchaus modernem Tanzstil die Kreation für neun Tänzerinnen und Tänzer von Nikolaus Tudorin. Sanfte Momente, wenn Menschen ganz unterschiedlicher Art zusammen kommen. Ganz anders ein Duett von Fang-Yi Liu: Eine Frau, ein Mann, Kommen und Gehen, wer bestimmt wen, Gemeinsamkeiten, Missverständnisse, peitschende Musik, alles bleibt offen. Und manchmal wird es bunt und heiter, zum Ende des ersten Teils weht in der Choreografie von Bjarte Emil Wederwang Bruland sogar ein Hauch von Broadway durch die Leipziger Spinnerei – auch ein Spiel mit den Wiederholungen und spielerisch, wenn es darum geht, im Tanz das Maß zu finden oder augenzwinkernd den Abgang im rechten Moment zu verpassen.

Nach der Pause überrascht Francisco Baños Diaz mit einer Lichtinstallation zu live gespieltem Sound, mit kraftvollem, eigenwilligem Bewegungsmaterial, starken Soli und häufig mit Bewegungen zum hörbaren Einsatz des Atems, was sehr existenzielle Momente schafft. Ganz anders Yan Leiva in einer sensiblen Hommage an seine Mutter, zwanglos, dennoch in natürlicher Konzentration, fünf Tänzerinnen und Tänzer, zur Musik seiner kubanischen Heimat.

Aber immer wieder: In der Kürze liegt die Würze, vor allem, wenn dann auch noch ein guter Schuss Humor dazu kommt, wie bei der Arbeit von Robert Bruist, die mit großem Augenzwinkern in ein SM-Studio führt, in einen Dark Room, jedenfalls in einen einschlägigen Club; er mit ihm, sie mit ihr, er mit ihr oder mit sich selbst und dann tanzt da so ein netter junger Mann herein, mit Schlips und Kragen, ein freier Raver wie der Choreograf ihn sieht, und der Tanz führt sie alle zusammen, ein irrer Traumtanz: Finden und Verlieren, Anfangen und Aufhören, Ausprobieren.

Der Tanz hat – und das mag paradox klingen, gerade in seinen Maßen viel Weite. Und das macht, bei aller Unterschiedlichkeit dieser Arbeiten, den Reiz, das Besondere dieses Abends aus. Dieser Leipziger „Intershop“ zum Saisonschluss in der Baumwollspinnerei funktioniert auch wesentlich als Zeichen für Kooperationen zwischen städtischem Theater und freier Szene. Bleibt zu hoffen, dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist. Beide Seiten eint ja in diesem Format der Mut zum Risiko und da wären dann auch die Chancen, sich stärker in ästhetischer Hinsicht auszutauschen. Ein Anfang wäre gemacht, die Chancen sollte man nutzen, nicht zuletzt auch deshalb, weil es eine Möglichkeit ist, das grandiose Können der Leipziger Tänzerinnen und Tänzer auch Menschen nahe zu bringen, die noch nicht in der Oper waren, vielleicht dann aber doch mal Lust bekommen. Oder anders herum auch, den Dialog zu befördern und tanzinteressierte Menschen zu erreichen, die noch nie im LOFFT waren.

Noch mal Oliver Preiss, mit dessen Kreation dieser „Intershop“ eröffnet wurde: „Man geht mit Taschen voller Gedanken, jetzt kommt es darauf an, sie einzupflanzen und wachsen zu lassen.“

 

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