Geist und Seele

Der Ballettabend „Corpus“ mit dem Ballett Zürich und dem Orchestra La Scintilla zeigt zwei Uraufführungen

Ein später Besuch bei Felipe Portugals „disTANZ“ und Douglas Lees „Lady with a Fan“, die zeitgenössisches Ballett im besten Sinne zeigen – neu und doch nicht losgelöst von Traditionen.

Zürich, 24/06/2017

Wie eine sphärische Membran oder eine ferne Galaxie mutet die über der Bühne schwebende, aus Metall löchrig-gewebte Skulptur (Bühne Marko Japelj) an. Langsam senkt sie sich, trennt die Bühne, gibt Wege frei. Das Licht (Martin Gebhardt) bahnt sich seinen Weg durch die Öffnungen, fällt auf die TänzerInnen und wird doch wieder gebrochen. „disTanz“ heißt das neue Stück von Felipe Portugal. In diesem geht er auf die Suche nach der ‚Tänzerseele‘. In ästhetisch fein durchdachten und emotional berührenden tänzerischen Begegnungen finden ‚Corpus‘ und ‚Anima‘, eins und dennoch getrennt, zusammen, lösen sich voneinander und sind in ihrer Eigenständigkeit doch unablässig voneinander angezogen. In einer Reihe von Pas de deux, mal vereinzelt, mal in der Gruppe getanzt, überführt der junge Choreograf und Solotänzer des Zürcher Balletts dieses schon theoretisch schwer fassbare Konzept in klare und doch so vielsagende Bewegungsbilder. Verschlungene Hebefiguren, große körperliche Nähe zwischen den TänzerInnen und das immer wieder erneute Auseinanderdriften von Körper und Seele ermöglichen einen Blick ins Innere der ‚Tänzerseele‘.

Sind diese fließenden und doch hochkomplexen Bewegungsfolgen schon für sich eine Herausforderung, führt Portugal sein Spiel mit der Gleichzeitigkeit von Anziehung und Abstoßung noch weiter. Im Orchestergraben sitzt das auf alte Musik und historische Aufführungspraxis spezialisierte Orchestra La Scintilla und spielt die Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann. Ergänzt werden die Barockkompositionen von Sound-Collagen von Christophe Barwinek. Ziemlich klar und strukturiert wirkt diese Musik und könnte wunderbar als tragendes Fundament für eine Choreografie dienen, doch Portugal setzt dem Ganzen eine Fülle an Dynamikwechseln entgegen, die eine anhaltende Spannung erzeugen.

Bleibt Felipe Portugal in seiner Schrittwahl durchaus im Rahmen des neoklassischen Balletts, setzt er dynamisch ungeahnte Akzente. Die ästhetisch durchdachte Bewegungssprache, bis ins Detail exakt ausgeführt von der Zürcher Kompanie, in Kombination mit einer sensiblen Emotionalität macht diese Choreografie zu einem wahren Genuss – intellektuell und emotional.

Auf die Suche nach der geheimnisvollen Identität der „Lady with a Fan“ begibt sich Douglas Lee in seinem neuen Werk. Pate gestanden hat, sicher nicht nur für den Titel, sondern auch für die strenge, an das spanische Barock erinnernde Atmosphäre, Diego Velázques berühmtes Gemälde „Die Dame mit dem Fächer“. Noch immer sind sich die Kunsthistoriker nicht einig, wer die schwarz gekleidete, den Betrachter direkt anblickende Dame ist. Doch Lee choreografiert hier weder einen kunsthistorischen Krimi noch eine psychologisierte Identitätssuche. Vielmehr lässt er sich auf das Unbekannte dieser Frau und mit ihr auf das Unbekannte des Barock, dieser weit zurückliegenden Epoche, ein.

Ganz in Grau gehalten sind Bühnenbild und Kostüme (ebenfalls Douglas Lee), einzelne verschiebbare Bühnenwände bilden immer wieder neue Räume. Schummriges Licht, das von den grauen Wänden und den minimalistischen, mit einzelnen Barockelementen ausgestatteten Kostümen noch zusätzlich geschluckt zu werden scheint, lässt die Szenen wie hinter einem Schleier aus vergangener Zeit wirken. Versteckt unter vielen Lagen schweren schwarzen Stoffs, der in den zahlreichen Hebefiguren eine ganz eigene Dynamik entwickelt, schleicht sich die ‚Dame mit dem Fächer’ (sehr ausdrucksstark Katja Wünsche) immer wieder in das Geschehen, wird bewundert, ignoriert, in Kommunikationen verwickelt, um schlussendlich ihres ausholenden Kleides beraubt doch nicht mehr von ihrer Identität preisgegeben zu haben als zu Beginn.

Wie einzelne Schlaglichter auf barocke Ästhetik wirken Lees Szenen, die in ihrer Bewegungssprache die Strenge von Tableaux vivants mit der Groteske von Moriskentänzern gekonnt verbinden. Und doch bleiben die Bewegungen in einem klar zeitgenössischen Ballettidiom, das Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart zu verbinden scheint. Auch hier spielt das Orchestra La Scintilla live. Abwechselnd erklingen Michael Gordon (*1956) und Antonio Vivaldi. So klar beide Komponisten auf ihre Zeit verweisen, so viele Übergänge sind auch zu hören, die die Distanz von 300 Jahren mit einer sorglosen Leichtigkeit überbrücken.

Wie im Flug vergehen die knapp zwei Stunden des neuen Zürcher Ballettabends, der mit „disTANZ“ von Felipe Portugal und „Lady with a Fan“ von Douglas Lee zwei spannend durchdachte und tänzerisch wie musikalisch wunderbar umgesetzte Choreografien bietet.

 

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