Dreimal Ravel

Choreographien von Balanchine, Robbins und Cherkaoui/Jalet an der Pariser Oper

Ein über musikalische, thematische und choreographische Parallelen zusammengestellter Abend – doch handelt es sich bei allen drei Werken nicht um die größten Meisterwerke ihrer Schöpfer.

Paris, 24/05/2017

Etwas über ein Jahrhundert, nachdem Théophile Gautier das Libretto des berühmtesten romantischen Balletts verfasste, choreographierte George Balanchine mit „La Valse“ das Ballett, das „Giselle“ eigentlich hätte werden sollen. Inspiriert von Heine und einem Gedicht von Victor Hugo, hatte Gautier ursprünglich geplant, das Ballett in einem prunkvollen Ballsaal spielen zu lassen. Ein Tanz sollte auf den nächsten folgen, bis die überhitzte Giselle beim Verlassen des Balls von der eisigen Hand der Königin der Willis berührt wird und stirbt.

Ähnliches geschieht in Balanchines „La Valse“ aus dem Jahr 1951: Der erste Teil zu Ravels „Valses Nobles et sentimentales“ ist ein opulentes Divertissement in feiner Gesellschaft. Drei Damen mit langen weißen Handschuhen und schillernden Kostümen von Barbara Karinska zelebrieren manierierte Ports de Bras und verfolgen ihre gesellschaftlichen Riten wie mondäne Willis. Eine Reihe fröhlicher Walzerpaare tanzt über die Bühne, bis schließlich eine Dame in einem strahlend weißen Kleid erscheint (Laetitia Pujol, eine geschätzte Giselle der Kompanie, die sich diese Spielzeit von der Bühne verabschiedet). Sie begegnet einem jungen Mann (Stéphane Bullion), mit dem sie sich zunächst leicht affektiert, dann immer inniger unterhält, bis die beiden zu tanzen beginnen. Im zweiten Teil zu Ravels „La Valse“ tritt der Tod (Florian Magnenet) in den Saal, eine Rotbart-Figur, die Roland Petit zu seinem Phantom der Oper inspiriert haben könnte. Nach einem unsanften Pas de deux mit dem Tod fällt die Tänzerin leblos auf das Parkett, eine hochdramatische und expressionistische Szene, wie man sie bei Balanchine selten findet. Am Ende des Balletts heben die Walzergäste die Verstorbene über ihre Köpfe und wirbeln um sie herum wie die Willis um den sich zu Tode tanzenden Hilarion.

Das darauffolgende Ballett, „En Sol“ von Jerome Robbins aus dem Jahr 1975, ist hingegen eine Ode an das Leben: Junge, schöne Menschen, farbenfroh kostümiert von Erté, vergnügen sich an einem Badeort. Das begehrteste Paar (Myriam Ould-Braham und Mathias Heymann) lässt sich zunächst einzeln von den Vertretern des anderen Geschlechts bewundern und findet dann zu einem delikaten Pas de deux im besten neoklassischen Stil zusammen. Trotz des Engagements der Tänzer und des Orchesters unter der Direktion von Maxime Thomas kann man schwer behaupten, dass es sich bei diesem Ballett um eines der gelungensten von Robbins handelt. Es hat weder den Humor von „The Concert“, noch die dramatische Tiefe von „The Cage“ (das thematisch, wenn auch nicht musikalisch sehr gut zu Balanchines „Valse“ passen würde und anders als „En Sol“ allzu lange nicht mehr in Paris auf dem Spielplan stand) noch die choreographische Subtilität beispielweise von „Other Dances“.

Den Abend beschloss der „Bolero“, den Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet 2013 für das Ballett der Pariser Oper schufen. Dieses in Kooperation mit der Performance-Künstlerin Marina Abramovic und dem Lichtkünstler Urs Schönebaum konzipierte Stück ist optisch höchst eindrucksvoll: Spiegel reflektieren die Tänzer, die in schwarzen Capes oder Skelettkostümen (Riccardo Tisci) über die Bühne wirbeln wie Elektronen, welche sich gegenseitig anziehen, kurz aneinander hängen bleiben und dann wieder abstoßen. Auf der Bühne bilden zahllose Lichtpunkte immer neue, oft kreisförmige Formationen, sodass das Auge kaum mehr zwischen Bühne und Spiegelbild oder zwischen einzelnen Tänzern unterscheiden kann. Allerdings klingt dieser fesselnde optische Effekt nach einigen Minuten ab, und es entsteht der Eindruck von sich kaum verändernder Wiederholung, die im Gegensatz zum Crescendo der Musik steht. In Abgrenzung von Maurice Béjarts „Bolero“ wollten die Choreographen hier ein Werk ohne eine zentrale Figur schaffen, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, ohne die wachsende Ekstase, die Béjarts Werk charakterisiert. Jedoch führt das Fehlen eines choreographischen Schwerpunkts und jeglicher merklicher Entwicklung – vom Ab- und Anlegen von Teilen der Kostüme abgesehen – dazu, dass das fünfzehnminütige Stück allzu lang erscheint.

Ravels Musik und gewisse thematische und choreographische Parallelen – die Reflektion über Leben und Tod, die Wirbel um die eigene Achse, in denen sich die Individualität der Tänzer zu verlieren scheint – rechtfertigen wohl die Zusammenstellung dieses Abends, und die Wiederaufnahme von Balanchines hier lange nicht gesehenem Ballett „La Valse“ ist durchaus zu begrüßen, doch handelt es sich bei allen drei Werken nicht um die größten Meisterwerke ihrer Schöpfer. Der nächste Ravel-Abend steht bereits für die kommende Spielzeit auf dem Programm, mit Benjamin Millepieds „Daphnis und Chloe“ und dem „Bolero“ in der Fassung von Maurice Béjart.

 

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