„Firebird“ von Tim Rushton

„Firebird“ von Tim Rushton

Mitleiden, Mitfreuen

Pick bloggt über das Gastspiel des Danish Dance Theatre im Forum Leverkusen

Tim Rushtons „Firebird“ und „Kridt“ hinterlassen konträre Eindrücke beim Publikum: das eine berührt, das andere wird auf Distanz gehalten.

Leverkusen, 07/05/2017

Ein ausverkauftes Haus kann dem Veranstalter, dem Kulturreferat der Stadt Leverkusen, nur recht sein. Meiner Erinnerung nach stand das Referat immer etwas im Schatten der konkurrierenden Kulturabteilung des Bayer Konzerns (Erfinder des Aspirins, dem Leverkusen überhaupt Ruhm und Namen verdankt), der sich beispielsweise das horrend teure Nederlands Dans Theater leisten konnte. Wie ich mir sagen ließ, beschränkt es sich seit einiger Zeit, nein nicht nur auf Fußball, sondern auf sein eigenes Theater, das vor einiger Zeit um- und ausgebaut wurde. Es war für die Mitarbeiter des Konzerns als Erholungshaus gedacht und wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut.

Zum Gastspiel des Danish Dance Theatre im Kulturzentrum Forum gibt es Gutes zu berichten, denn die Kompanie arbeitet technisch auf sehr hohem Niveau und wird geführt von Tim Rushton, einem Engländer vom – wie könnte es anders sein – Sadler‘s Wells Theatre/Birmingham Royal Ballet. Nach Engagements u. a. in Düsseldorf, Malmö und endlich am Royal Danish Ballet suchte er in Kopenhagen seine eigene choreografische Sprache. Seine Programmgestaltung geht vielleicht darauf zurück, dass sich da ein Choreograf seiner Wurzeln erinnert und Strawinskys berühmtem Feuervogel (getanzt von Maxim-Jo Beck McGosh) wieder mal auf die Füße verhilft.

Fliegen will die Amphibie eher nicht, was der Uraufführung der Ballets Russes (1910) und dem Schöpfer Michel Fokine auch keinen Abbruch getan hatte. Dieses Fabelwesen muss nun, nicht auf Spitze tanzend, einem weiß gekleideten Mann/Prinz (Joe George) helfen, der sich ins Reich des Zauberers Kastschej (Alessandro Sousa Pereira) verirrt. Obendrein findet er eine Gefangene/Prinzessin (Lucia Pasquini), die bei ihm Schutz sucht. Sie verlieben sich ineinander, wollen gemeinsam fliehen. Dies gelingt ihnen auch – kriechend, rollend, aber auch springend und sich biegend, alles was eine moderne Tanztechnik eben hergibt. Der Kampf zwischen diesen fast glitschig sich gebärdenden Unholden kann so viel spannender dargestellt werden.

Kastschej spielt in dieser Inszenierung eine Hauptrolle – im Gegensatz zu Strawinskys Original, in dem es immer in tiefsten Tönen orgelt, bis zum Schluss, wenn es zum Eklat kommt. Und der Schluss wird hier ganz besonders drastisch dargestellt, wenn Kastschej an einer von drei rollenden und bespielbaren Rückwänden aufgespießt wird. Diese fahrbaren Wände werden im Laufe des Stückes durch immer neue Perspektiven zu neuen Räumen. Durch zusätzliche Videoprojektionen ist die Bühne mal ein undurchdringlicher Urwald, dann beim Zusammenfinden des Liebespaares ein lieblicher Raum, später aber brennt das Ganze lichterloh. Am Ende spendet das Publikum auch für die Bühnenbildner (Johan Kølkjær und Martin Tulinius) einen Applaus wie Meeresrauschen, passend zur Schlussprojektion.

Im zweiten Teil des Abends zeigt Tim Rushton „Kridt“ (Kreide), das 2005 den renommiertesten dänischen Theaterpreis erhielt, den REUMERT-PREIS für die „Best Dance Production of the Year“. Während jemand mit einem Stück Kreide Schriften an eine Wand kratzt, liegt ein Mann auf dem Boden, bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben. Die Augen begegnen sich. Die körpereigene Erinnerung reißt das Geschehen an sich.

Es bleibt bei reichlich interessanten, aber recht abstrakten Begebenheiten, die durch sich raffiniert verrenkende Tänzer punkten können. Allerdings hat die Produktion wohl nicht so sehr den Nerv getroffen, wie es ein Stück wie „Der Feuervogel“ vermag. Dort etablierte sich eine Spannung durch die schnell durchschaubare Handlung, durch das Ineinanderwirken von Gut und Böse und von Kräften, die nicht einmal bis ins letzte Detail erklärbar sein müssen. „Kridt“ jedenfalls brachte das Publikum nicht dazu, auf der Kante des Sessels zu sitzen, obwohl choreografisch verschiedenste gute Ideen dabei waren.

Ich fürchte, letztendlich ist das nicht der Grund, warum das Publikum ins Theater kommen will. Mitleiden und mit Mitfreuen wollen sie sich, und zwar an interessanten Körpern, die das tun, was keiner von den achthundert Zuschauern auch nur andeutungsweise nachmachen könnte, geschweige denn sprachlich weitergeben. Man staunt darüber und ist dankbar, dabei gewesen zu sein. Wenn die Musik dann auch noch dabei unterstützt, Atmosphäre zu erzeugen, geht man beglückt seiner Wege.

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