„Der Feuervogel“ von Andrey Kaydanovskiy.

„Der Feuervogel“ von Andrey Kaydanovskiy.

Feuervögel im Supermarkt

An der Wiener Volksoper tanzt das Staatsballett drei Uraufführungen von Andrey Kaydanovskiy, Eno Peci und András Lukacs.

Mit Ideen und Details setzen sich die drei jungen Choreografen des Staatsballetts mit Strawinsky auseinander.

Wien, 01/05/2017

Prinzipiell freut, dass Manuel Legris jungen Choreografen die Chance gibt, sich auf den großen Bühnen der Wiener Staats- und Volksoper zu profilieren. Nur so kann wohl herausgefunden werden, ob sich da jemand einmal als „Hauschoreograf“ eignete. Eine Position, die gerade in einem Ensemble, das großes internationales Repertoire tanzt, Identität stiftend wirken und für eine lokale frische Farbe sorgen kann.

Die Namen der drei Choreografen des in der Volksoper angesiedelten neuen Abends des Staatsballetts kennt man bereits von verschiedenen Arbeiten. Alle drei sind außerdem seit vielen Jahren im Staatsballett engagiert. Sich mit Igor Strawinsky (unter der engagierten musikalischen Leitung von David Levi) und damit auch mit Schlüsselwerken der Ära der Ballets Russes zu befassen, macht an sich Sinn und soll wohl auch dem Publikum an der Volksoper, einem Haus, das Oper, Operette und Musical spielt, Unterhaltung „bescheren“. Mehrere Ansprüche wollen da offenbar unter einen Hut gebracht werden. Nicht das Experiment steht im Vordergrund, sondern solide Produktionen sollen entstehen, die mindestens auch eine Spielserie gut laufen können.

Dementsprechend vorbereitet scheinen András Lukacs, Eno Peci und Andrey Kaydanovskiy ihrem Auftrag auch nachgekommen zu sein. Ganz klar legen sie im Programmheft fest, dass sie mit oder ohne Handlung auskommen wollen. Lukács befasst sich in seinen „Movements to Stravinsky“ mit neoklassizistischen Entwürfen fürs Ensemble, die vor allem durch die schwarzen, komödiantisch anmutenden Kostüme einen gewissen Reiz erhalten. Als Mittelstück des Abends zwischen zwei Handlungsballetten platziert, geben seine Entwürfe einer Reihe von Tänzern Gelegenheit, sich auch solistisch zu zeigen. Dass es trotzdem an Spannung und Stringenz fehlt, lässt sich auf die doch sehr persönliche Musikzusammenstellung des Choreografen zurückführen. Mit Ausschnitten aus sehr bekannten szenischen Werken wie unter Anderem aus „Apollo“ (ausgerechnet die Schlussszene - der Gang auf den Parnass) und „Pulcinella“, die sozusagen konzertant eingesetzt werden, ist es schwierig zu überzeugen.

Die Kunstform Ballett lebt durch seine choreografischen Partituren, die Musik nicht nur für die Ohren, sondern vor allem für die Augen festmachen. Das gilt auch für die beiden anderen Werke des Abends, die beide von Michail Fokin in Kooperation mit Strawinsky uraufgeführt worden sind. Eine Möglichkeit, sich etwas von der Wucht der lebendigen „Originale“ zu entfernen – Fokin wird immer noch getanzt –, besteht darin, sich überarbeiteten musikalischen Fassungen zuzuwenden. Peci verwendet Strawinskys Fassung des „Petruschka“ aus dem Jahr 1947, Kaydanovskiy für seinen „Feuervogel“ eine reduzierte Version von Hans Blümer.

Beide sicherten sich auch durch die Mitarbeit von Musiktheater-Dramaturgen ab: Pavol Jurás für Peci, Richard Schmetterer für Kaydanovskiy. Und beide Choreografen arbeiten mit Ausstattern, die die Bühne szenisch sehr besetzen. Sowohl Jurás’ variables Klassenzimmer mit Hintertür ins Unbekannte in „Petruschka“, als auch Karoline Hogls installativ wirkende Bauten eines Geschäftskomplexes für „Feuervogel“ erinnern stark an Schauspiel-Bühnen. Beide Stücke „funktionieren“ auch weitgehend. Peci lässt seinen Petruschka, einen überforderten Volksschul-Lehrer (Davide Dato), an dessen sozialem Engagement scheitern. Die Szenenfolge ist geschickt montiert, die Klassengemeinschaft beherrscht tänzerisch abgezirkelt das Geschehen, der Lehrer verzweifelt sprunggewaltig und die dominante Direktorin (Rebecca Horner) schlängelt sich mit blonder hoher Perücke durch die Inszenierung.

Eine skurrile eigenwillige Tanzsprache verfolgt Andrey Kaydanovskiy, der zuletzt für John Neumeiers Bundesjugendballett tätig war. Seinen „Feuervogel“ kann man auch – sehr frei – als „sozialistisches Ballett“ sehen: als Weiterführung des russischen Märchens in eine fast slapstick-ähnliche Geschichte zu den Themen Macht, Konsum, Arbeiter-Ausbeutung und Scheitern des Kommunismus. Der Flyer-Verteiler Ivan (Masayu Kimoto) im Gockel-Kostüm will mehr von seinem Leben, dringt in einen Supermarkt ein, in dem am laufenden Band produziert wird. Der Unterschied zwischen scheinbar künstlich-geklonten Schaufensterpuppen en masse und Menschen, die zu Puppen, Hampelmännern und Maschinen werden, ist dort ein kleiner. In dieser technokratischen Misere stößt er auf eine überlastete, sich stakkatoartig beschwerende Arbeiterin mit roter Perücke (Horner), der er habhaft werden will. Auf einen erschöpft Wortkaskaden gurgelnden Chef (Mihail Sosnovschi), der an einen abgehalfterten sowjetischen General erinnert, und auf eine schillernde Figur (Dato), im Programmheft als Feuervogel bezeichnet, die unklar bleibt. Seine Feuervögel findet Ivan in dieser an Einfällen dichten, verworrenen, dennoch verlockenden Szenerie in der Arbeiterin und im Posten des Chefs. Der nächste Karrierist aber sucht sich bereits den Weg in den gläsernen Palast, in dem alles kollabiert. Viel Witz und Doppelbödigkeit in einer Markt-Mechanismen nachspürenden Choreografie, die vom großen Ensemble stark mitgetragen wird.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern