Der vierteilige Ballettabend „(R)Evolution“  am Theater Augsburg
Der vierteilige Ballettabend „(R)Evolution“ am Theater Augsburg

Augsburg geht in die Zielgerade

Pick bloggt über einen gemischten Abend und einen entstaubten „Nussknacker"

Am Theater Augsburg mischte sich bei „(R)Evolution“ Neues mit Traditionellem und im „Nussknacker“ ein Geburtstag mit E.T.A Hoffmann. Beide Programme sind nach wie vor ausverkauft, wurden jetzt aber abgesetzt - ehe die letzte Premiere kommt.

Augsburg, 14/02/2017

Vierteiliger Ballettabend „(R)Evolution“

„(R)Evolution“ ist ein „kleiner“ Abend mit vier Nicht-Jungchoreographen aus Belgien (Ballettchef in Chemnitz bis 2013), Deutschland (Ballettdirektor Leipzig), Kanada (bis 2016 Ballettdirektion Mannheim), Polen (Ballettdirektor in Warschau) und ergibt eine illustre Mischung.

In der Reihenfolge des Programms: „Brel-Suite“ von Lode Devos, das auf Erfolg beim Publikum zielt und zum Volltreffer wird. Da Lode vor allem Musik und Texte von Jacques Brel zwar nicht wörtlich nimmt, sie aber doch recht schwermütig sind, bleibt die Party, die er uns präsentiert, etwas bleiern über dem Bühnenboden. Obwohl die Tänzer und ihre Partnerinnen all ihre Tricks als Solisten wie ein Feuerwerk abbrennen, lässt sich die Stimmung nicht verändern. Vielleicht liegt es an der Beleuchtung. Schummriges Licht, schwarze Hosen auf schwarzer Bühne – das ist nicht sonderlich aufregend.

Der Titel „Pour un clin d'œil“ betrachte ich als Augenzwinkern und er könnte auch von Brel stammen. Ist aber nicht so, sondern ein Stück von Mario Schröder, dessen choreografische Handschrift glücklicherweise seine tänzerische Herkunft – die Palucca-Hochschule in Dresden – nie ganz verleugnet, und diesmal vielleicht in Richtung William Forsythe deutet. Es zeigt die Auseinandersetzung der Geschlechter, stark getanzt von Yun Kyeong Lee und Alexander Karlsson. In einem Fall endet es erst einmal damit, dass sie ihm die Spitzenschuhe vor die Füße schmeißt. Die beiden finden dann trotzdem verschlungene Wege und gehen schließlich geradewegs von der Bühne.

Nach der Pause, frisch und gestärkt, kommt der Höhepunkt, den man im zweiten Teil erwartet, aber Dominique Dumais‘ „My Desert, My Rose“ hat das bei Weitem zeitgenössischste Stück beigesteuert, dem man seine Herkunft aus der „neuen Welt“ sogleich ansieht. Zwei Paare tanzen auf Socken, verbrezeln sich und finden wieder auseinander. Erstmalig an diesem Abend entwickeln die Tänzer in dieser Choreografie eine gelassene Atmosphäre. Alles geschieht wie selbstverständlich und es macht Spaß, einfach nur zuzuschauen, ohne zu hinterfragen. Beispielsweise, warum sich hinten eine Tür öffnet und auf der fast dunklen Bühne Gestalten in langen Gewändern ins Schlaglicht nimmt, die überraschende, auch unerklärliche Dinge tun.

Das muss bei dem Titel und der Musik der gestrigen Popszene nicht begründet werden und bringt trotz der Länge des Abends keine Unruhe auf. Und hier, ehe ich zum letzten Stück komme, möchte ich doch erwähnen, wie erstaunlich sicher die Tänzer von Robert Conns Kompanie in den wirklich sehr unterschiedlichen Stilrichtungen sind. Umso größer auch das Verdienst seiner Mitarbeiter, Armin Frauenschuh, der aus der Neumeier-Schule kommt, und Jens Weber, den die „Staatliche“ – lang ist's her – in Berlin poliert hat und der erst seit dieser Spielzeit Proben und Training leitet. Wenn drei solche Herren mit großen Talenten arbeiten, bringt das halt große Ergebnisse!

Der Titel des letzten Stücks zu Schuberts Streichquartett und -quintett zum Mitsummen ist „Adagio & Scherzo“. Das von Krzysztof Pastor choreografierte Stück als Rausschmeißer zu bezeichnen, wäre fahrlässig, denn es ist weit mehr als das. Eine wertvolle Choreografie für Spitzentänzer und wird auch so getanzt, in der Nachfolge von Balanchine. Sehr musikalisch, so dass ich manchmal sogar an Robbins denken musste. Pastor aber bleibt bei der Form und möchte keinen Charme versprühen. So kommen keine „Dances at a Gathering“ heraus, aber wenn man so will, wurden zeitgenössische Ballettformen von Krzystof Pastor in Warschau 2014 erfunden.

„Nussknacker“ von Mauro de Candia

Mauro de Candia hatte „Nussknacker“ für den Ballettdirektor Robert Conn erarbeitet, das für eine doch relativ kleine Kompanie zurecht geschnitten werden musste, was, um es gleich vorweg zu nehmen, gelungen ist. Das gebaute zeitlose Interieur könnte aus den 30er Jahren stammen und ist mit mehreren hohen Türen versehen, durch die, wenn sie geöffnet sind, verschiedene Räume suggeriert werden, mal ein Treppenhaus oder auch Zahnräder wie im Inneren einer Riesenuhr. Mit der Ouvertüre, übrigens live gespielt von den Augsburger Symphonikern unter Leitung von Samuele Luigi Sgambaro, sind wir schon mittendrin.

Da sitzt ein merkwürdig gekleideter Mann in gepunkteter Hose auf einem weißen Esstisch und absolviert um den Tisch herum ein Solo, das aber nicht Aufschluss darüber gibt, wer er denn sein könnte, selbst wenn man E.T.A. Hoffmann auswendig gelernt hätte. Zum Ende der Musik verschwindet er durch die Tür mit den Zahnrädern und die Bühne wird offensichtlich von den Besitzern dieses herrschaftlichen Anwesens bevölkert – wie sich später herausstellt den Eltern der Klara. Ach nein, sie heißt ja wie bei Neumeier Marie, weil Mauro und seine Dramaturgin Patrizia Stöckemann sich für eine Version entschieden haben, die man das ganze Jahr über spielen kann. Man feiert nämlich den Geburtstag der jungen und ziemlich ungezogenen Tochter (Michaela Paolacci), die nicht mehr auf pink steht, sondern lieber zur Abwechslung Fußball spielen würde – das ist aber nur meine Interpretation.

Jedenfalls führt sie in den folgenden Szenen derartige Veitstänze auf, die nur von Marcia Haydée als Widerspenstige zu überbieten sind. Ich kann darauf verzichten, den Fortgang zu erzählen, denn so anders als der bekannte Stoff ist diese Rahmenhandlung nun nicht. Im Laufe der Feierei erscheint jedoch dieser merkwürdige Mensch vom Anfang wieder, diesmal mit einem Sohn, Verwandten oder Freund (?) im Schlepptau. Laut Besetzung ist er der Neffe (Tamás Darai). Ein junger Mann mit guten Manieren und sehr begabt dabei, den Damenbesuch bei Maries Geburtstagsparty in beste Laune zu versetzen. Natürlich wird er später der Prinzenersatz.

Auch wenn sie sich fortgesetzt danebenbenimmt und das obligate Nussknacker-Geschenk in Stücke haut. Jener Akt vor der Pause endet dann auch mit einem coup de théâtre: dem Absturz eines Riesenleuchters, was im Ausweichquartier des Theaters, einer Messehalle, leider nicht funktioniert. Stattdessen fielen nur die Perlenketten des Leuchters zu Boden, deren sich Marie sofort bemächtigt. Das Orchester sitzt ebenerdig vor der Bühne, das hat mich aber nicht gestört, im Gegenteil. Auch die Akustik, möglicherweise von der Tontechnik etwas aufgehübscht, lässt nicht zu wünschen übrig.

In diesem Zusammenhang sollte ich erwähnen, dass Mauro die Partitur verändert und die Reihenfolge der einzelnen Nummern ausgetauscht hat, was für sein Szenario besser erschien, und auch zwei oder drei andere Musiken von Tschaikowsky eingefügt hat. Das ist alles durchaus nachzuempfinden. Nach der Pause macht das Stück dann den großen Schwenk weg vom weichgespülten hin zum echten E.T.A. Hoffmann-„Nussknacker und Mäusekönig“, wenn Marie träumt sie sei das hässliche Mädchen Prinzessin Pirlipat. Da wird alles eine Nummer bizarrer, aber durchaus im Rahmen dessen, was man kennt.

Was außergewöhnlich ist, sind die Tänzer, die Staatsballett-Format beweisen, und ich hoffe, dass sie durchhalten auf diesem Niveau bis zum großen Abschied von Robert Conn. Niemand weiß offiziell, wer dann die Leitung der Kompanie übernimmt. Sollte es der aus Hagen sein? Denn für ihn wurde ja Alfonso Palencia als Nachfolger vorgestellt ...

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