„Mon Élue Noire“ von Olivier Dubois; Germaine Acogny

„Mon Élue Noire“ von Olivier Dubois; Germaine Acogny

Ein Paukenschlag mit Germaine Acogny

Pick bloggt über seinen Besuch bei „Mon Élue Noire“ im tanzhaus nrw

Bei der Eröffnung des Festivals „Shifting Realities“, das auf einer Kooperation zwischen hiesigen und afrikanischen Jung-Choreografen beruht, begeistert die 70-jährige Tänzerin in einem von Olivier Dubois kreiertem Solo zu „Sacre du Printemps“.

Düsseldorf, 07/02/2017

Der Ballettchef des Ballet du Nord und Centre chorégraphique nationale Roubaix Nord-Pas de Calaise Olivier Dubois hatte die glorreiche Idee mit Germaine Acogny ein Stück zu machen, ehe sie ihren 70. Geburtstag feiern würde. Und tatsächlich ist es ihm gelungen, sie davon zu überzeugen, dass ihr das guttun würde. Er behielt Recht und die Premiere von „Mon Élue Noire“ fand vor ziemlich genau zwei Jahren in der fabrikPotsdam statt. Bei diesem Festival im Schatten der Hauptstadt beweisen Laurent Dubost und Sven Till ein glückliches Händchen, alljährlich etwas Besonderes anzubieten. Auch das tanzhaus nrw in Düsseldorf hat eine der besten Ballettkompanien neben sich, aber es ist ja nichts Neues, dass sie neben dieser mit ihrer ganz eignen Handschrift großen Erfolg haben.

Die Idee für das Afrika-Festival „Shifting Realities“, das auf einer Kooperation zwischen hiesigen und afrikanischen Jung-Choreografen beruht, scheint mir interessant, denn von afrikanischen TänzerInnen und Choreografen mit ihrer ganz eigenen Tanztradition können wir viel lernen: Vor allem, dass Tanz ein Lebensgefühl ist, das zwar keine Probleme lösen kann, aber doch dazu beiträgt, ein positives Lebensgefühl zu wecken. Das zeigt, dass das rhythmische Körpergefühl eigentlich bei jedem Menschen vorhanden ist, wenn auch oft versteckt, und geweckt werden kann.

Ich weiß nicht, ob Germaine Einfluss darauf hatte, welche Musik verwendet würde. Ich hätte mich sicher nicht getraut „Le Sacre du printemps“, dieses einmalige Werk des vorigen Jahrhunderts, das Strawinsky für die Ballets Russes komponiert hat, zu verwenden. Der Skandal bei der Uraufführung 1913 im Pariser Théâtre de Champs-Élysées machte es zu einem wichtigen Stück des Jahrhunderts, an das sich nicht jeder Choreograf traut. Maurice Béjart hat jedoch mit seiner Version bewiesen, dass diese Musik ihn zu einem seiner besten Werke trug. Und auch die ein Vierteljahrhundert später entstandene Version von Pina Bausch zeigt die Kraft des Frühlings in einer kruden Ursprünglichkeit, die noch unsere heutigen Instinkte wach ruft.

Im Fall von Germaine und ihrem Choreografen ist vieles davon zu sehen und der junge Mann hatte Recht, sich auf diese einmalige Interpretin zu kaprizieren. Wenn die wenigen leisen melodischen Töne beginnen und die Bühne den Blick freigibt auf diese große Frau mit dem „Muskelbau eines 25-jährigen Mannes“ (Arnd Wesemann über sie in der Zeitschrift „Tanz“), und der unvermeidliche Rhythmus von „Sacre du Printemps“ beginnt, den diese stampfend wie eine junge Kriegerin aufnimmt, weiß man schon, sie wird gewinnen. Der ganze Abend findet in einer schwarzen überdimensionalen „Telefonzelle“ statt – falls das noch jemand kennt – sechs Meter hoch und circa vier Quadratmeter im Durchmesser, ausgestattet mit allen Tricks der Beleuchtung und anderen Überraschungen, samt einer Versenkung, die von Germaine geöffnet werden kann, und drei aufgestellten Bodenplatten, die in gelber Farbe mit perückenartigen, gesichtslosen Portraits bemalt werden.

Germaine sorgt dafür, dass nie auch nur die Spur von Langeweile aufkommt: wie diese Frau zu ihrem siebzigjährigen Körper zurückfinden darf, und wie sie es im täglichen Leben zuweilen zu tun beliebt, die Pfeife zu rauchen, ohne dabei selbst in der Versenkung enden zu müssen! Germaine ändert darüber hinaus ein halbes Dutzend Mal ihre Kostümierung, ein schwarzer Büstenhalter wird, mit dem Rücken zum Publikum, durch einen weißen ersetzt, mal trägt sie eine Langhaarperücke, ein Tuch oder ihre geschorene Glatze. Sie spricht Texte in französischer Sprache, die sie wie ihre Muttersprache beherrscht, ich aber nur bruchstückweise verstanden habe (auch aus akustischen Gründen), was mich zur Musik kommen lässt.

Das Werk läuft nicht, wie es geschrieben und eingespielt wurde, es ergeben sich Pausen und es wird möglicherweise auch nicht vollständig abgespielt. Aber darauf wollte ich mich während der Vorstellung nicht konzentrieren oder konnte es nicht. Und dies obwohl ich ausgerechnet dieses Werk in Düsseldorf in einer der besten Choreografien von Erich Walter studiert und sehr gerne getanzt habe, auch wenn wir uns zu Tode zählten. Bis eines Tages Grischa Barfuß, der Intendant, nach einer Orchesterprobe, die wohl etwas holprig war, zu uns kam und sagte: „Ihr müsst weniger zählen und stattdessen, wo es besonders schwierig ist, den Rhythmus im Geist sprechen: „Dalapiccola, Dalapiccola, bum-bum“ .Es hat tatsächlich geholfen. Das hatte er aber nicht selbst erfunden, sondern Musiker, die dieselben Probleme mit der Musik haben, hatten es ihm erzählt. Nun, dieses Problem hat Germaine sicher nicht gehabt, wenn auch, wie sie zugibt, manche Passage schwierig für sie war. Wenn man aber allein auf der Bühne ist, fällt das, bei einer solchen Musikalität, wie Germaine sie hat, nicht auf. Und um nochmal auf das instinktive Rhythmusgefühl zurückzukommen, man würde ihr einen Fehler nie anmerken!

Ob diese Version von Dubois allgemeingültig wäre, wage ich zu bezweifeln, denn es gibt im Text auch Anmerkungen über die koloniale Zeit in Afrika. Ich war mit dem Geschehen voll ausgelastet und damit, ein liebevolles Auge auf die Interpretin zu werfen, die sowohl bewegungsmäßig als auch im Ausdruck keine Wünsche offenließ, so dass ich glücklich das Tanzhaus verließ.

Ich muss leider noch einige Worte zu der zwei Abende später stattfindenden Vorstellung des Festivals verlieren. Nach der Weltklasse-Eröffnung folgte der tiefe Absturz zu einem Kindergeburtstag mit Erwachsenen, mit dem Titel „Specific people create specific problems“ von Ayuso, Lo, Rotteveel und Sunday. Nach ein wenig afrikanischer Musik und Rhythmen als Ouvertüre rutschte es gleich zu Michael Jackson und Hollywood ab. Das Ganze hatte für mich einfach nicht genug Niveau und erinnerte an eine Kreuzfahrt, bei der Entertainer für die abendliche Unterhaltung zu sorgen haben und kräftig das Publikum dabei miteinbeziehen. Die gute Idee eines Austauschs zwischen Afrika und Europa hatte in diesem Fall ein gegenteiliges Ergebnis. Nach diesem ersten Teil hätte ich noch ein zweites Werk anschauen wollen. Da es aber, angesetzt auf 21 Uhr, nach einer halben Stunde noch nicht begonnen hatte, entschied ich mich, aufzugeben und meine aufgestaute schlechte Laune nicht in diese Vorstellung als Hypothek mitzunehmen. Ich begab mich zum Hauptbahnhof, wo mich ein schwacher Trost erwartete: die Deutsche Bahn war pünktlich.

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