„Time and Spaces: The Marrabenta Solos“ von Panaibra Gabriel Canda.

„Time and Spaces: The Marrabenta Solos“ von Panaibra Gabriel Canda.

„Realitäten“ aus Afrika und Europa

Festival „Shifting Realities“ als transkontinentaler Austausch in Hellerau eröffnet

In „Time and Spaces: The Marrabenta Solos“ und „Fragiland“ treffen Hautfarben, Epochen und Individuen aufeinander.

Hellerau, 05/02/2017

Am Ende des einstündigen Solos „Time and Spaces: The Marrabenta Solos“, wir sind in der unmittelbaren Gegenwart angekommen, am Sonnabend, den 4. Februar 2017, gegen 21.00 Uhr, im großen Saal des Festspielhauses, in Hellerau, dem Europäischen Zentrum der Künste in Dresden, liegt der Tänzer Panaibra Gabriel Canda aus Mosambik am Boden. Er keucht, die schwarze Haut des Mannes glänzt im Schweiß, das Licht verlischt, der Atem des Menschen nicht, seine Worte, geflüstert, geschrien, gestammelt, gehaucht, sind im Raum: Mein Körper, meine Knochen, meine Haut, meine Heimat, ich bin Körper, am Boden, ich lebe. Zuvor, nach biografischen Mitteilungen, hat Panaibra Gabriel Canda seinen Körper, die verletzliche Haut seiner Seele, den brutalen Besitzansprüchen der Geschichte seines Landes Mosambik ausgesetzt.

So haben sich die Spuren der Herrschaften unauslöschbar in die Haut seines afrikanischen Körpers geschrieben. 500 Jahre portugiesische Kolonialzeit, Unabhängigkeitskämpfe, Bürgerkriege, die Nelkenrevolution, kommunistische, marxistisch-leninistische Herrschaften mit Umerziehungslagern, die Körper der Menschen sollten sozialistisch werden, derzeit Versuche einer Demokratisierung, denen der Künstler, der zuvor Buchhalter war, misstraut. Und immer wieder ist es der Tanz, die Kraft der Bewegung, die Musikalität dieses afrikanischen Körpers, der sich mit aller Kraft dagegen wehrt, ausgelöscht zu werden.

Tänzerisch geht das von kraftvollen Szenen des Schattenboxens gegen den eigenen Körper über Momente ritueller Erinnerungen oder solchen folkloristisch gebändigter Verträglichkeit in exotischem Unterhaltungsbedürfnis europäischer Annehmbarkeit. Denn, so der Künstler im Gespräch mit Arnd Wesemann in der Süddeutschen Zeitung, „Europa sorgt für die Freiheit der Kunst, aber immer nur zum Preis, den Europäern gefallen zu müssen.“ Immer wieder Momente grausamster Erinnerungen. Der Tänzer trägt einen Helm, der ist voller Nägel, als sollten diese ihm ins Gehirn getrieben werden. Er dreht den Helm um, trägt jetzt eine monsterhafte Maske aus Metall, ein schwarzer Körper ohne Gesicht. Ein Tanz um Leben und Tod, im wahrsten Sinne um die eigene Haut zu retten, auf der Suche nach individueller Freiheit, eine Abfolge einsamer Solos, aufrecht, gebeugt, am Ende am Boden, der Atem bewegt den Körper.

Zur Bewegung, der an diesem Abend in Hellerau wohl niemand im Saal unbewegt folgen dürfte, kommt die Musik des Gitarristen Jorge Domingos. Ausgehend von der Marrabenta-Musik aus der Kolonialzeit nimmt der Musiker die Zerreißproben, denen die Haut des Tänzers ausgesetzt ist, auf und verwandelt die Anklänge der Gefälligkeit in scharfe Brüche elektronischer Härte des Klanges, um dann immer wieder mit behutsamen Klängen die Verzweiflung des Tänzers mit einem Klangmantel des unsichtbaren Schutzes zu umhüllen. Schade nur, dass im großen Saal des Festspielhauses doch etliche Plätze leer blieben.

Voll besetzt hingegen im Anschluss der kleine Nancy-Spero-Saal nebenan zur Uraufführung „Fragiland“. Vier Künstlerinnen und Künstler, Jason Jacobs aus Frankfurt, geboren in Pittsford, New York, Souleymane Ladij Koné aus Quangadougou, Burkina Faso, Kátia Manjate aus Maputo und die in Berlin lebende Dresdnerin Anna Till, haben sich in Afrika und Deutschland der Fragilität ihrer Existenzen ausgesetzt. Als wollten sie dieser Erkenntnis trotzen, beginnt ihre Performance mit einem bewegten Bild von trügerischer Zärtlichkeit aus beinahe partymäßigen Umarmungen, die sich aber bald in die so gern ausgeblendete Verknäulung und damit verbundener, gegenseitiger Behinderung wandelt. Da zeigt sich nicht nur die Fragilität einer jugendlichen Vision, auch die Fragilität der Technik des Lichtes kommt hinzu, denn die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich im Dunklen. Aber unbeabsichtigte Korrespondenzen, und sei es wie hier eine technische Panne, können durchaus auch einen offensichtlich noch offenen Prozess dieses Projektes befördern, das ja nicht zuletzt auch von der Kraft improvisierte Momente lebt.

Wenn sie dann doch wieder im Licht stehen, dann ist auch der elektronische Sound von Johannes Till hart und militant geworden und die Wunschträume der zärtlichen Vermischung ihrer Hautfarben sind dahin. Jeder und jede trägt allein mit der Farbe der Haut seine Zuschreibungen mit sich und wehrt sich dagegen kraft der Zuschreibungen, die sie anderen geben. Schwarz oder Weiß, Mann oder Frau, Abneigung oder Zuneigung, ausgrenzen oder annehmen. Man spürt, wie diese jungen Künstlerinnen und Künstler von Fragen bewegt sind, die sie nicht beantworten können und wollen, denen sie sich aber stellen, sogar mit Humor und Augenzwinkern.

Ihre Haut können sie nicht ablegen, ihre Herkünfte und Prägungen auch nicht, aber äußere Eingrenzungen. Also, Hosen runter, alle, immer in Bewegung bleiben. Da bleibt das Stolpern nicht aus, aber sie fangen sich auf, sie sind sich behilflich bei diesen kleinen Akten der Befreiung. Und in sich steigerndem Tanz, wenn sie zusammenkommen, miteinander und in kreativer Lust ausgelassen dahin tanzen, dann blitzen doch so schöne wie visionäre Momente auf, diese Fragilitäten auch als Chancen zu erleben. Lachen hilft, tanzen auch, Musik erst recht. Aber dann schleicht sich doch die Frage ein, stimmt das alles noch, stimmt das Licht oder trügt der Schein. Als wollten sie erkunden, wer sie sind, wer ihr Gegenüber ist, sie betasten ihre Haut, befühlen die Haare und sie werden der Zerbrechlichkeit ihrer Wünsche nicht Herr. Es treibt sie auseinander, gegeneinander, das gilt es aufzuhalten, bis um nächsten Versuch. „Ich bin fertig“ hatte die Tänzerin Kátia Manjate mehrfach gerufen, aber das Licht geht nicht aus, noch eine kreative Panne, kein Blackout, wieder ist dieser wunderbare Charme der Unvollkommenheit gefordert, und den haben sie, diese tanzenden ‚Fragiländerinnen und Fragiländer’, irgendwo, zwischen Europa und Afrika, in diesem Moment auf dem Festival „Shifting Realities“ in Dresden.

Das Festival geht weiter, noch bis zum 11. Februar. So wird am 9. und am 10.02., erstmals in Dresden die über 70-jährige afrikanische Tänzerin Germaine Acogny zu erleben sein. Das Besondere daran, sie hatte sich immer gewünscht Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ zu tanzen, kein Geringerer als Maurice Béjart hatte es Anfang der 70er Jahre seiner ‚Auserwählten’ versprochen für sie dieses Stück zu kreieren, er hat sein Versprechen nicht halten können. Fast 40 Jahre später hat der französische Choreograf Olivier Dubois der „Grand Dame des afrikanischen Tanzes“ ihren Wunsch erfüllt.

 

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