„Khaos“ von Laurent Chétouane

„Khaos“ von Laurent Chétouane

Schöne Idee, enttäuschend umgesetzt

„Khaos“ von Laurent Chétouane in der Kampnagelfabrik

Ein spannendes, zeitgemäßes Thema hat Chétouane sich für sein neues Stück ausgesucht. Leider bleibt die Umsetzung deutlich hinter dem Konzept zurück.

Hamburg, 18/12/2016

Die Idee, über das Chaos in der Welt und den Begriff selbst ein Tanzstück zu machen, hat etwas Bestechendes – herrscht doch an vielen Orten auf diesem Globus heute tatsächlich Chaos, auch sind wir heute schnell bei der Hand, alles Mögliche, was nicht dem Gewohnten entspricht, als chaotisch zu bezeichnen: die Krise in Griechenland, die Wahl von Trump – und vieles mehr. Chaos, so erläuterte Laurent Chétouane selbst in einer Einführung zu seinem Stück vor der Vorstellung, ist immer verbunden mit Angst. Mit der Angst davor, das Bestehende zu verlieren. Angst vor dem Ungewissen, was dann stattdessen kommt. Chaos, das bedeutet, nichts mehr gestalten zu können, den Mächten hilflos ausgeliefert zu sein. Nicht zuletzt, so Chétouane, haben Populisten heute so viel Zulauf, weil sie versprechen, dass wir das Bisherige, Gewohnte wiederbekommen. Ein spannendes Thema, zumal der Begriff „Khaos“ im Griechischen sehr vielschichtige Bedeutung hat: klaffender Raum, gähnende Leere, Schlucht, Horizont. Und vor allem höchst reizvoll die Idee, vor diesem Hintergrund und angesichts der Weltlage die Gedanken dazu in Tanz auszudrücken.

Chétouane hat sich dafür Musik von drei sehr gegensätzlichen Komponisten ausgesucht: Johann Sebastian Bach, Wolfgang Rihm und John Cage. Bach – das ist Ordnung, Struktur pur. Mit Rihm wird, so Chétouane, aus dem sehr Strukturierten etwas Unkontrollierbares, was dann bei Cage als eine eigene Utopie entstehen kann. Und wie entsteht Chaos im Tanz? Indem man die Stabilität des Tänzers, die Senkrechte, verlässt, sagt Chétouane. Und indem er nicht mehr aus dem Sehen, sondern aus dem Hören heraus tanzt.

Was die vier Tänzer (drei Männer, eine Frau) dann allerdings über 90 quälend lange Minuten hinweg zusammen mit drei Musikern (Klavier, Cello, Violine) auf der komplett leeren Bühne der K2 entwickelt haben, war gänzlich uninspiriert und barg einen extrem hohen Ermüdungsfaktor. Die Musik war ein nicht mehr zu identifizierender Mischmasch der drei Komponisten – allein der Bach war hin und wieder zu ahnen, wurde aber nie wirklich ausgespielt, sondern immer gleich wieder gebrochen und verfremdet. Das war tatsächlich chaotisch, aber eben in dieser Art wenig aufrüttelnd, eher einschläfernd.

Das gilt leider auch für die Choreografie. Die Tänzer beschränkten sich darauf, mit den Armen zu wedeln, über die Bühne zu gehen, zu torkeln, zu laufen, zu rennen, zu schreiten, zu kreiseln, zu kippen und hin und wieder auch mal zu fallen. Die meiste Zeit blieben sie aber eben doch aufrecht, auch wenn die Knie immer mal wieder nachgaben – der Oberkörper war überwiegend aufgerichtet, anders kann man halt auch nicht auf zwei Füßen stehen oder gehen. Nur einmal, nach gut zwei Drittel der Zeit, gab es eine kurze Sequenz, in der alle am Boden lagen und auch die Musik eine Pause machte. Stille überall. Bis dann doch alles wieder in der üblichen Art weiterging, um darin zu enden, dass alle – Musiker wie Tänzer – zu einer der drei begrenzenden Wände der K2 gingen und mit dem Gesicht zur Wand stehen blieben. All das, was Chétouane in seiner Einführung so anschaulich vermittelte, fand sich in diesen anderthalb Stunden in keiner Weise wirklich wieder. Schade.
 

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