Susanne Linkes „Hommage à Dore Hoyer“ am Theater Trier: „Affekte“ mit Paul Hess und Luiza Braz Batista

Susanne Linkes „Hommage à Dore Hoyer“ am Theater Trier: „Affekte“ mit Paul Hess und Luiza Braz Batista

Leise und laute Töne

Pick bloggt über ein Wochenende in Trier

Während sich Susanne Linke mit der Ausdruckstänzerin Dore Hoyer und deren künstlerischem Erbe beschäftigt, nimmt sich Urs Dietrich vor der Kulisse einer ausgegrabenen römischen Therme Teile aus Pergolesis „Stabat Mater“ vor.

Trier, 13/12/2016

Dore Hoyer ist eine der letzten Vertreterinnen des Ausdruckstanzes und weder Schülerin von Mary Wigman noch Kurt Jooss. Beeinflusst war sie durch die Palucca-Schule in Dresden und ihre Gymnastikbildung, die sie bei einer Schülerin von Emil-Jacques Dalcroze erhielt. Leider bin ich ihr nie begegnet, aber an der Folkwanghochschule war ihr Name durchaus geläufig und ihr engster musikalischer Mitarbeiter, Dimitry Wiatowitsch, war als Korrepetitor und Pianist fest beim Folkwang-Ballett engagiert. Mit ihm habe ich mehrfach über sie gesprochen. Unter Kollegen war sie wohl als Eigenbrötlerin bekannt, trotzdem hat sie es als eine der wenigen zu jener Zeit fertiggebracht, an Theatern fest engagiert zu sein und daneben ihre Solotanzabende zu erarbeiten, die ihr dann diesen Nimbus brachten.

Auch die Tatsache, dass die Wigman sie für die Rolle des Opfers in „Le Sacre du Printemps“ in Berlin wählte, trug zu ihrem Ruhm bei. Susanne Linke hat sie in der Zeit, als sie in Berlin im Wigman Studio anfing zu tanzen, noch auf der Bühne gesehen. Und die Neueinstudierung der Soli „Afectos Humanos“, die sie mit Renate Graziadei, einer außergewöhnlichen Tänzerin aus Berlin, gerade gemacht hat, ist so wunderbar, dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, dass jemand anderes so glaubwürdig in diesen Tänzen sein könnte. Sie wirkt manchmal so zerbrechlich, wie Pina es war, von der man dachte, dass sie bei einem plötzlichen Durchzug von der Bühne fallen würde. Gleichzeitig ist sie eine starke, drahtige Frau, so wie auch die Hoyer auf Fotos aussieht.

Aus eigener Anschauung kannte ich die Tänze zwar von anderen Interpretinnen, aber Susa habe ich darin bisher nicht gesehen. Ich kannte nur Filmausschnitte, jene, die auch während der Kostümwechsel ein wenig verfremdet eingeblendet werden, was anfangs interessant ist. In der Repetition verliert es aber an Reiz, und auch das Umziehen auf offener Bühne kann über den Leerlauf nicht hinwegtäuschen.

Nach der Pause, in Anlehnung an den Titel des ersten Teils, folgt eine choreografische Auseinandersetzung mit dem Erbe Dore Hoyers, die Susanne 1987 mit Urs Dietrich erarbeitet hat, getanzt von Luiza Braz Batista und Paul Hess, der, obwohl schwarz gekleidet, ein angenehm dominanter Partner in diesem mehrfarbigen Duo ist. Ein junges Paar, das durch Hochs und Tiefs einer Beziehung geht, sorry tanzt. Zum ersten Mal an diesem Abend tauchen auch Anflüge von freundlich-fröhlicher Lebenslust auf, die man auszuleben versucht.

Eine wertvolle Choreografie, die fast aus dem Rahmen fällt. Denn der dritte Teil mit dem Titel „Effekte“ aus dem Jahr 1990, mit dem zweiten Paar Lucyna Zwolinska und Sergej Zhukow, ist ein anspruchsvoll choreografiertes Duo. Diesmal merkwürdigerweise in Weiß gekleidet, hat es die Aussichtslosigkeit unserer Zeit zum Thema. Leider ist diese Botschaft bei mir nicht angekommen, aber den Tänzern kann man keine Schuld geben. Denn sie leben wohl schon in einer Zeit ohne Gefühle. Mir hat sich das nicht erschlossen, durch das Klettern über Tournee-Koffer und das sich hinter Plastikscheiben abriegeln. Es ist vielleicht sehr „modern“, für mich aber insgesamt nicht schlüssig.

Der Abend von Urs Dietrichs neuester Choreografie findet vor einer herrlichen Kulisse in einer ausgegrabenen römischen Therme statt, fast um die Ecke beim Stadttheater, wo auch sonst so viele andere Sehenswürdigkeiten in Trier zu finden sind, die immer wieder an die große Zeit dieses Ortes als bedeutendste Stadt nördlich der Alpen verweisen. Die Porta Nigra kennt ja jedes Kind, aber es gibt nicht nur dieses Juwel, sondern auch Kirchen in ehemaligen kaiserlichen Palästen etwa. Man muss sich dorthin immer, auch wenn kein Weihnachtsmarkt stattfindet, an unzähligen Touristen vorbeikämpfen, fast wie im Vatikan.

Urs hat ein Spätwerk von Pergolesis „Stabat Mater“ ausgewählt, das live von Malte Kühn am Orgelpositiv gespielt wird. Das Szenenbild ist ausgestattet mit weiß abgedeckten Sitzmöbeln, wie man sie aus Inszenierungen von Wohnungen kennt, die nur zeitweise als Residenz dienen. Der Countertenor Fritz Spengler nimmt schon vor Beginn dort Platz, als habe er sich verirrt mit seinem E-Book. Doch als er anfängt zu singen, wird klar, dass er ein Angelpunkt dieser Aufführung sein wird. Auch die Sopranistin Frauke Burg mit ihrer engelsreinen Stimme, die teilweise aus dem Off erklingt, sorgt für ein großes akustisches Vergnügen, was an so einem schwierigen Ort nicht selbstverständlich und nicht zuletzt der Tontechnik (Stefan Kaindl) zu verdanken ist.

Insgesamt erscheint es mir ein Chef d‘oeuvre des Choreografen, voller Widersprüche, die sich aus der religiösen Textgrundlage ergeben und möglicherweise auch in der inneren Zerrissenheit ein Porträt von ihm zeichnen. Ich werde nicht versuchen, eine Beschreibung der erfundenen, verschiedensten Charaktere hier nachzuerzählen, geschweige denn sie zu kommentieren. Und ich muss gestehen, dass ich nach den leisen Tönen des ersten Abends ein solches Vollbluttheater nicht erwartet hatte. Es nimmt zeitweise Breughelsche Züge an, die so wenig einer Erklärung bedürfen, wie sie interessant zu verfolgen sind und von den einzelnen Tänzern mit voller Wucht dargestellt werden – was für dieses Ensemble spricht.

Es gibt keine Antworten auf die verschiedensten Assoziationen. Ich war voll ausgelastet mit diesem Rausch an rätselhaftem Geschehen, wie es nur lebendiges Theater bieten kann, wenn es sich denn mit Fragen von Leben und Tod, Gut und Böse beschäftigen will oder muss. Der einzige Einwand, den ich zu dieser Inszenierung hatte (und selbst der ist durch zeitlichen Abstand geringer geworden): Braucht dieses Stück Texte, hysterisch ins Publikum geschrien und in polnischer (?) Sprache? Es ist unerklärlich und ich habe es als sehr störend empfunden, weil es ein sonst stimmiges Gesamtwerk verstört. Mit Sicherheit ist aber auch das aus dem Inneren des Choreografen und nicht aus Versehen entstanden.

Die Tänzer hatten sicherlich so etwas wie Rollen, nach denen sie zu erkennen gewesen wären, aber das Programmblättchen ist damit wohl überfordert, es nennt auch nur die Namen der Sänger, nicht das Stimmfach, aber glücklicherweise den Ausstatter Alfred Peter!

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