„wound“ von Toula Limnaios

„wound“ von Toula Limnaios

Berlin ist immer wieder eine Reise wert

Pick bloggt über seinen alljährlichen Berlin-Besuch und landet bei „Mr. B“

Jedes Jahr fährt Günter Pick mindestens einmal nach Berlin. Dieses Mal standen eine Oper, „Jewels“ und die neue Halle-Tanz auf dem Programm.

Berlin, 06/06/2016

Mindestens einmal im Jahr steht Berlin auf meiner Agenda. Man könnte sicher oft genug Ereignisse finden, die sich in dieser Stadt das Publikum streitig machen, denn jeden Abend sind in den unzähligen Spielstädten vielversprechende Vorstellungen zu sehen. Den Ausschlag für meine Reise gab diesmal die Premiere der Oper „Juliette“ von Bohuslav Martinů in Barenboims Staatsoper. Inszeniert wurde sie von dem Regieteam Claus Guth und Ramses Sigl sowie dem Bühnenbildner Alfred Peter, der eine akustisch ideale Bühne gebaut hat, die den schwierigen Raum des Schiller Theaters für die Gesangsprotagonisten Magdalena Kožená und Rolando Villazón um Klassen aufwertete.

Bei dieser Oper handelt es sich um einen Schauspieltext des Franzosen Georges Neveux mit dem deutschen Titel „Juliette oder Schlüssel der Träume“. Leider bleibt nur das Bühnenbild absurd-träumerisch und ist damit das einzige Element, das dem Titel entspricht. Der Tanz, auf den ich gesetzt hatte, sowie die Tänzer, wenn man sie als solche überhaupt ausmachen konnte, blieben fast völlig auf der Strecke. Das trifft leider ebenfalls auf den Text zu, der in dieser Oper allerdings besonders wichtig wäre. Nicht einmal bei Rezitativen kam er verständlich in der siebten Reihe an, was ihn wenig hilfreich machte. Da wäre vielleicht die tschechische Urfassung besser gewesen als die französische Variante. Hätte man dann doch gleich den Versuch unterlassen, den Text verstehen zu wollen. Von Claus Guth hatte ich insgesamt eine stringentere Personenführung erwartet. Gerade der Michel, die Rolle des wunderbaren Villazón (man kann nicht anders, als ihn zu lieben) lief immer wieder aus dem Ruder. Dabei ist dieser Buchhändler in Juliette doch wahrlich keine Disney-Figur. Ich verstehe aber jetzt, warum diese Oper in Deutschland kaum je gespielt wurde, obwohl sie musikalisch sehr lohnend ist. Und das Duo Barenboim-Martinů, das passt wie ein Handschuh!

Fast genauso wie das Zusammenspiel des Orchesters der Deutschen Oper mit dem Dirigenten Robert Reimer bei Balanchines „Jewels“ am Staatsballett Berlin. Ich hatte das Stück, einen der wenigen Abendfüller, die „Mr. B“ gemacht hat, schon bald nach der Uraufführung gesehen. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, ob es in London oder woanders war. Aber an wen ich mich in dieser Aufführung erinnere, ist Violette Verdy, die ich nur dieses eine Mal auf der Bühne gesehen habe. Damals fand ich, dass sie die Einzige war, die sich abhob von dieser kühlen amerikanischen Tänzergeneration, in der scheinbar alle um die Wette tanzten, und die Charme, Liebenswürdigkeit und Freude ausstrahlte. Als ich ihr viel später in ihrem kleinen Büro, als Direktorin des Pariser Opern Balletts begegnete, hatte sie noch genau dieselbe Aura, was auch in jenem Institut etwas durchaus Angenehmes hatte. Sie war eine außergewöhnliche Frau, keine rein technisch-perfektionistische Ballerina, eher ein Bindeglied zwischen dem alten und dem neuen Kontinent und es ist kein Wunder, das Balanchine gerne mit ihr arbeitete.

Als ich den Abend damals sah, fand ich die Choreografie altbacken und ein Zugeständnis des Meisters an sein New Yorker Publikum, vielleicht auch an die Sponsoren, von denen das New York City Ballet, sowie fast alle anderen Kompanien auch, abhängig war. Merkwürdigerweise war dieser Eindruck in Berlin weniger stark, vielleicht auch wegen der neuen Kostüme von Lorenzo Caprile, denn Barbara Karinska war ja echt amerikanischer Geschmack. Und die Besetzung ein Feuerwerk, was das Staatsballett hier zu bieten hat, mit Krasina Pavlova und Marian Walter, Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru, sowie Shoko Nakamura, die vom Publikum besonders mit Applaus überschüttet wurde. Es hat mir gut getan, die Kompanie mal wieder in der Deutschen Oper zu sehen, wo sie optisch gut wirkt und sich austanzen kann! Da erinnerte ich mich doch gleich an Patricia Neary, die „Rubies“ mit aus der Taufe hob. Für sie konnte keine Bühne groß genug sein!

Dann habe ich noch einen Besuch in der sanierten Halle-Tanz gemacht. Toula Limnaios und Ralf Ollertz können sich wirklich freuen über die Verbesserungen ihrer Heimatbühne. Es kam mir so vor, als hätte ich das auch dem Stück „wound“ angesehen: der zweite Teil der Choreografie bricht plötzlich aus der für Toula oft typischen grüblerischen Haltung, die sie mit vielen ihrer Kollegen teilt, aus, und führt in jubelnde Tanzgebilde. Ralf folgt ihr dabei allerdings nicht. Aber ich denke, das ist auch gut so. Jedenfalls ist diese tangoartige Choreografie ein Meisterstück und der Tänzer Daniel Afonso leistet eine außergewöhnliche Tour de Force, wenn die Damen versuchen, ihn aus der Reserve zu locken. Man könnte fast denken, es sei sein Stück. Auch hier leider wieder ein kaum verständlicher Text, diesmal zu Goya und auf Englisch. Verschlüsseln ist ja gut, aber wenn ich überhaupt nicht dahinterkomme, was gespielt wird, gehe ich frustriert nach Hause. Trotz des Textes: wenn man denkt, es neigt sich dem Ende zu, sprüht Toula noch einmal Funken mit einem Solo für den unnachahmlichen Hironori Sugata. Ein großer Erfolg für „20 jahre cie. toula limnaios“.

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