„Ariadna“ von Marcos Morau
„Ariadna“ von Marcos Morau

Da muss man durch

Zum neuen Tanzabend „Grenzgänger“ beim Hessischen Staatsballett

Auch wenn das neu gegründete Hessische Staatsballett einen eher behäbigen Namen hat – stilistische Vielfalt und Zeitgenossenschaft werden im Programm großgeschrieben. Zum Saisonende hat man zwei jüngere Choreografen, Marcos Morau und Damien Jalet eingeladen.

Wiesbaden, 29/05/2016

Auch wenn das neu gegründete Hessische Staatsballett (Darmstadt/Wiesbaden) einen eher behäbigen Namen hat – stilistische Vielfalt und Zeitgenossenschaft werden im Programm groß geschrieben. Zum Saisonende hat Kurator Bruno Heynderickx zwei jüngere Choreografen mit großen Achtungserfolgen eingeladen, das Kleine, aber dennoch relativ große Darmstädter Haus zu bespielen. Die Beiden durften sich je zehn TänzerInnen des Ensembles aussuchen und die bühnentechnischen Möglichkeiten ausspielen. Insbesondere die Drehbühne hatte es den Choreografen angetan – aber damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten von Marcos Morau („Ariadna“) und Damien Jalet („Thr(o)ugh“), die zusammen den Tanzabend „Grenzgänger“ kreierten.

Marcos Morau gibt in seinem 40-Minuten-Stück ein eindeutiges und leider auch eindimensionales Statement zur Diskussion um die Rolle der Schönheit in der Kunst ab. Die schöne, freilich im Schlaf der Vergangenheit verpflichtete „Ariadna“ ist als Riesenskulptur auf der Bühne präsent. Zehn TänzerInnen fungieren als schwarz-weiß uniformierte Wächter mit austauschbaren Pagenköpfen. Witzig ist ihre streng durchgestylte Bewegungssprache: an Marionetten erinnernd, die von ungeschickten Händen geführt werden. Mal scheint es für den Bewegungsradius der Gelenke keine anatomischen Grenzen zu geben, mal knicken die Gliedmaßen schon bei der einfachsten Belastung weg. Das artifizielle Bewegungsvokabular demonstriert eine interessante choreografische Handschrift, die Story bleibt dagegen blass. Auch wenn zwischen den Wächtern der symbolischen Schönheit einiges gruppendynamische Hin und Her wogt – an der Grundidee, nämlich der klaustrophobischen Situation, ändert sich von Anfang bis Ende nichts. Der geschlossene Raum ist durch eine Eisentür von der echten, lauten Welt „draußen“ isoliert. Die von draußen können nicht rein, auch wenn sie bedrohlich anklopfen, und die drinnen wollen oder sollen und vor allem können nicht raus. Da helfen auch viele Texte, das Herumfuchteln mit einem Maschinengewehr und ein Pistolenschuss nicht. Getroffen wird die Statue, die erstaunlicherweise Theaterblut verströmt – aber auch danach bleibt alles beim Alten. Viel Aufwand also für eine schlichte Botschaft.

Beim französisch-belgischen Choreografen Damien Jalet geht es dagegen 35 Minuten lang um nichts Geringeres als Tod und Leben – beziehungsweise die Auswirkungen eines extremen Risikos. Zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen sind in „Thr(o)ugh“ eingeflossen: die Begegnung mit dem japanischen Ritual „Onbashira“, bei dem junge Männer unter Lebensgefahr auf gewaltigen Baumstämmen ganze Hänge hinunterrollen – und das unmittelbare Miterleben eines Terroranschlags in Paris. Und so zeichnet sein Stück das Bild einer zehnköpfigen Gruppe im Ausnahmezustand. Eine riesige Röhre (vom New Yorker Installationskünstler Jim Hodges gebaut) dominiert die Bühne, Christian Fennesz sorgte für den passenden elektronischen Soundtrack. Der künstliche tarnfarbene Tunnel bietet rituelle Herausforderung, Bedrohung und Fluchtweg zugleich - und wird am Ende Zufluchtsort. Ums Leben rennen, hinfallen, sich für kurze Zeit tot stellen, den Partner mit hochziehen, ums Leben rennen... so beginnt das Stück, in dem die Röhre langsam zum sich selbst bewegenden Mitspieler wird. Am Ende sind alle Tänzer in der Röhre vereint und kontrollieren gemeinsam deren Bewegung mit ausgestreckten Armen und Beinen. Eine letzte Blickmöglichkeit in die Röhre erinnert an Michelangelos vitruvianischen Menschen. Das starke, tröstliche Bild erntete entsprechenden Applaus.
 

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