Tänzer sind wie Zutaten für kulinarische Delikatessen

Mei Hong Lin verlängert in Linz

„Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich je die europäischen Klassiker choreografieren würde.“

Linz, 27/05/2016

Kein Wunder, dass Mei Hong Lin mit Glucks Tanzoper „Orfeo ed Euridike“ eine ihrer bislang besten Choreografien und Inszenierungen gelungen ist. „Singen, spielen und tanzen gehören in Taiwan zusammen“, erklärt die Linzer Ballettdirektorin und fügt hinzu, im neuen Linzer Musiktheater „greift alles in einander.“ Alle Gewerke und die fünf Sparten kommunizieren und kooperieren. So kam durch die Zusammenarbeit von Musiktheater und Ballett ein Gesamtkunstwerk von vorzüglicher musikalischer und tänzerischer Qualität in einer technisch ausgeklügelten, raffinierten Bühneninstallation zustande.

Damit wurde diese letzte Ballettpremiere in der Intendanz von Rainer Mennicken zu einem Musterbeispiel in der internationalen Karriere der Taiwanesin, die in ihrer Heimat in dem sehr statischen traditionellen chinesischen Tanz ausgebildet wurde, aber damit wenig anfangen konnte. In Rom studierte sie deshalb danach die europäische Dance d‘école an der Accademia Nazionale di Danza und schloss Lehrgänge in zeitgenössischem Tanz und Choreografie an Folkwang an. Mit der Rückkehr nach Taiwan profilierte sie sich in Fernost und USA als Tänzerin und Choreografin. Kurz nach der deutschen Wende kam sie aber wieder nach Deutschland, um das Ballett am Theater Plauen zu leiten, später die Sparte in Bielefeld und Dortmund zu übernehmen. Von 2004 bis 2014 schließlich reüssierte Lin, choreografisch gereift, als Ballettdirektorin am Staatstheater Darmstadt.

Nach dem unerwarteten Tod von Jochen Ulrich trat sie seine Nachfolge am Landestheater Linz an und verlängerte nun ihren Vertrag mit dem neuen Intendanten Hermann Schneider, den sie durch ihre zahlreichen Gastengagements an vielen europäischen Theatern bereits kennt. Mit dem vormaligen Essener Solotänzer Viacheslav Tyutyukin konnte sie einen Kompanie-Manager engagieren. Die langjährige Darmstädter Ballettmeisterin und Choreografin Christina Comtesse ist mit einem neuen Tanzstück erste Gastchoreografin in der Black Box, deren Variabilität und Intimität mit bis zu 270 Plätzen Lin besonders schätzt. Im Großen Saal dagegen wird Lin „Die kleine Meerjungfrau“ präsentieren und eine Neueinstudierung ihrer „Brautschminkerin“ – in Darmstadt 2011 uraufgeführt und für den Deutschen Theaterpreis FAUST nominiert – nach einer taiwanesischen Erzählung mit fernöstlichen Musikzitaten. Selbst könne sie wenig einschätzen, welche Spuren aus dem traditionellen Tanz ihrer Heimat sich in ihrer choreografischen Handschrift zeigen, meint Lin. Aber immer öfter geben ja glücklicherweise Künstler aus aller Welt in ihren Werken Einblick in die Kultur ihrer Heimat. Am Theater spüre man auch kein Fremdsein, sagt Lin, weil die internationale Community die Liebe zum Theater verbinde. Und das Publikum wird immer neugieriger auf Welttanz.

Mei Hong Lin denkt und arbeitet ungewöhnlich „flexibel“ mit feinem künstlerischen Gespür. Ob zeitgenössische Tanzkomposition oder aktualisiertes Handlungsballett, Tanzeinlage für Operetten und Musicals („The Beautiful Game“ von Lloyd Webber als Deutsche Erstaufführung) oder Musiktheater-Inszenierungen (Uraufführung von Phil Glass‘ „La Belle et la Bête“) - Lin arbeitet mit fundierter, menschlich überhöhter Kreativität. „Das Theatralische interessiert mich generell“, sagt sie unpathetisch. Die passionierte Köchin zieht für ihren choreografischen Ansatz einen Vergleich aus der Kochkunst heran: „Die Tänzer sind meine Zutaten. Jeder und jede verströmt ein eigenes Aroma und hat einen eigenen Geschmack. Den dürfen sie keinesfalls verlieren“. Austausch mit Künstlern anderer Sparten und Häuser ist ihr wichtig. Die enge Vernetzung in Deutschland vermisst sie in Österreich noch. Aber auch hier spüre man diese „hohe Wertschätzung der Kultur“.

Hatte Mei Hong Lin in Darmstadt mit anspruchsvollen zeitgenössischen Kreationen und eigenwilligen Interpretationen von Literaturballetten mit wenigen Personen wie etwa „Macbeth,“ „Bernarda Albas Haus“ oder „The Juliet Letters“ beeindruckt, sah sie sich in der oberösterreichischen Landeshauptstadt plötzlich einer ganz anderen Herausforderung gegenüber. Das neue Musiktheater Linz – 2013 eröffnet gegen das Votum der Bevölkerung nach drei Jahrzehnten hitziger Diskussionen um das Ob und Wo – musste seine Existenzberechtigung mit ausverkauften Vorstellungen unter Beweis stellen. Zugnummern waren verlangt, um die 1200 Plätze zu füllen. Schrillbunte „Carmina burana“, ein fetzig sportiver „Nußknacker“ und ein hinreißender „Schwanensee“ als hochsensible Lebensgeschichte Tschaikowskys (siehe auch die Kritik) waren da genau richtig. „Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich je die europäischen Klassiker choreografieren würde“, sagt Lin noch immer kopfschüttelnd. Aber ein Engagement an ein neues Haus ist ja immer wie ein Sprung ins kalte Wasser. Künstler wie Mei Hong Lin, die durch ihre charmante Gelassenheit einnimmt, sind nicht wasserscheu.

 

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