„Fugaz“ von Cayetano Soto. Tanz: Ricardo Campos Freire und Eunji Yang

„Fugaz“ von Cayetano Soto. Tanz: Ricardo Campos Freire und Eunji Yang

Wie ein vierblättriges Kleeblatt

„Tanzquartett” in Hagen

Im Strudel der Finanzkrise der gebeutelten Ruhrgebiets-Kleinstadt trotzen Ricardo Fernando und sein „balletthagen“ wieder einmal dem drohenden Kahlschlag des Kulturlebens.

Hagen, 01/05/2016

Manchmal lohnen Ausflüge in die Provinz besonders. Als hätten wir ein vierblättriges Kleeblatt gefunden, so beglückt fuhren wir am Ende der Premiere des Vierteilers „Tanzquartett“ heim. Die Ebenmäßigkeit dieses anspruchsvollen und gleichzeitig niveauvoll unterhaltsamen Ballettabends resultiert gleichermaßen aus der technischen Qualität der Truppe wie auch der vielfältigen Thematik, formuliert in vier markanten aktuellen choreografischen Handschriften.

Mit der Uraufführung von Raimondo Rebecks „Blind Dreams“ geht eine intime, poetische Lebensgeschichte von vieldiskutierter Brisanz über die Bühne: was ‚sehen’ Blinde eigentlich – was ‚können’ sie? Und ganz speziell: wie steht es mit der Einbeziehung behinderter Menschen in Tanzproduktionen?

Die zarte Koreanerin Jiwon Kim Doede, wie Ehemann Nikolaos Doede Neuzugang aus Kiel, tanzt eine weiß gekleidete blinde junge Frau, die vor einer Staffelei vom sehenden Leben träumt. Ihre Visionen spiegeln sich in einer vor gesundem Leben strotzenden Baumkrone. Ihr Alter Ego (Sofia Romano) hält sie immer wieder schützend umfangen, führt sie zurück in ihre von Klängen vibrierende Welt. Schwarz wie die Leinwand auf der Staffelei sind die Menschen, die ihren hektischen Alltag unbekümmert leben, die ‚Außenseiterin’ ignorieren, isolieren oder auch mal als etwas Besonderes behandeln, indem sie sie auf Händen tragen, in den Himmel heben... Nur einer (Gustavo Barros) erkennt sie als Mensch, nimmt sie auf in sein Leben... Ein berührendes Szenario, grandios choreografiert und getanzt auf sehr stimmig gewählte, vorwiegend minimalistische Musik (u.a. von Philip Glass)!

Auf der dunklen Seite des Lebens steht auch Cayetano Sotos Stück „Fugaz“ (flüchtig) – eine Variation auf „Der Tod und das Mädchen“. Hier kämpfen gleich vier junge Frauen um ihr Leben. Zwei rafft der unerbittliche, starke ‚schwarze Mann’ dahin.

Witz und Muskelspiele zeichnen Marco Goeckes Ballette aus. Seine erste Choreografie für die Noverre-Gesellschaft, „Blushing“ (Erröten), hat der Tanzmann, der einst in Hagen auf der Bühne stand, kürzlich überarbeitet. In Hagen ist eine leicht veränderte Version als Auftakt von „Tanzquartett“ zu sehen – reichlich düster und nicht ganz so knackig wie kürzlich die Osnabrücker Einstudierung der neuen Fassung.

Fernando Ricardo selbst, gebürtiger Brasilianer, überrascht in seiner „Tangata,“ entstanden im vorigen Jahr als Auftragswerk für das Grazer Ballett, mit einem Tango-Ballett so ganz anderer Art als Tango meist auf die Ballettbühne kommt. Bilder von Astor Piazzolla und Bandoneon-Spielern werden zur Einstimmung während der Umbaupause auf den Vorhang projiziert. Es folgt eine Gruppenchoreografie in fünf Sätzen, die das Ensemble in den Vordergrund stellt – in virtuosen, sportiven, erotisch unterkühlten Posen und Arrangements.

Im Strudel der Finanzkrise der gebeutelten Ruhrgebiets-Kleinstadt trotzen Ricardo Fernando und sein „balletthagen“ mit diesem Vierteiler wieder einmal dem drohenden Kahlschlag des Kulturlebens.
 

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