„Die Tänzerin von Auschwitz“ von Bianca Sue Henne und Jutta Ebnother. Tanz: Ensemble

„Die Tänzerin von Auschwitz“ von Bianca Sue Henne und Jutta Ebnother. Tanz: Ensemble

Tanzen gegen den Tod

„Die Tänzerin von Auschwitz“ am Theater Nordhausen

Die gelungene Kombination von Theater und Tanz spiegelt einprägsam den Charakter dieser mutigen Frau, Rosa Glaser.

Nordhausen, 09/04/2016

Schwer vorstellbar nach der Lektüre des Buches „Die Tänzerin von Auschwitz“ des Niederländers Paul Glaser diese komplexe Spurensuche auf die Bühne zu bringen. Auf der Suche nach den eigenen, bislang unbekannten, und von der Familie verschwiegenen, Wurzeln seiner jüdischen Geschichte stößt er auf die unglaubliche Geschichte seiner Tante Roosje, der „Tänzerin von Auschwitz“. Anstoß für Glaser ist ein Besuch des Museums im Stammlager Auschwitz, wo er auf einem der aufgetürmten Koffer seinen Familiennamen entdeckt. Bei der Recherche erfährt er von seiner Tante Roosje, die das Konzentrationslager überlebt hat und in Schweden lebt.

Die Tochter wohlhabender Niederländer verbrachte eine glückliche Kindheit in Deutschland, wo sie auch ihre Liebe zur Musik und vor allem für den Tanz schon als Kind entdeckte. Sie führt dann in den Niederlanden ein unbeschwertes Leben und gründet hier eine Tanzschule. Als die Nazis die Niederlande besetzen und die Verfolgung der Juden sie in Schwierigkeiten bringt, weigert sie sich den gelben Stern zu tragen. Sie versteckt Juden, führt ihre Tanzschule auf einem Dachboden weiter. Sie wird von ihrem geschiedenen Mann verraten, wird von angeblichen Freunden betrogen und denunziert. Ihr Weg führt durch mehrere Lager in den Niederlanden, dann nach Auschwitz in das Vernichtungslager Birkenau. Sie überlebt die Lager, den Todesmarsch, sie erlebt die Befreiung, lässt sich in Schweden nieder, wo sie im Jahre 2000 stirbt.

Am Theater Nordhausen hat Regisseurin Bianca Sue Henne „Die Tänzerin von Auschwitz“ für die intime Atmosphäre der Kammerbühne inszeniert. Sie konzentriert sich auf die Geschichte von Roosje und hat originale Texte, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Lieder, die in den Lagern entstanden sind, chronologisch zusammengefügt. Das ist kein dokumentarisches Theater, es gibt nicht eine Schauspielerin als Roosje, die um zu überleben mehrfach Namen und Identitäten gewechselt hatte. Es gibt vier Darstellerinnen und Darsteller, die wie in Fetzen der Erinnerungen jeweils für Momente dieser Roosje ihre Stimmen, Körper und Bewegungen leihen, dies auch für andere Personen tun, mögen sie ihr nahe gestanden und zu ihr gehalten, oder sie verraten, betrogen und gequält haben. Dies erschließt sich dem Zuschauer gut und zudem öffnet dieses assoziative Spiel Möglichkeiten der eigenen Wahrnehmung.

Im Theater spielt der Tanz eine größere Rolle als im Buch. In den Choreografien von Jutta Ebnother wird ums Überleben getanzt. Die Tänzerin Joy Kammin und der Tänzer Olaf Reinecke, die Puppenspieler und Performancekünstler Caroline Kühner und Patrick Jech sind dabei von direkter Präsenz, individuell ist der persönliche Sprachgestus. Somit wird jede Art von Sentimentalität vermieden, keine Spur von Pathos. Was harmlos als Tanzstunde mit Rumba, Cha-Cha-Cha oder Tango schon beginnt, wenn die Zuschauer an drei Seiten der leeren Spielfläche ihre Plätze einnehmen, nimmt bald existenzielle Bedrohlichkeit an. So, wenn in komischer Weise gegen hereindringende Marschrhythmen angetanzt wird. Wenn Roosje zu Klängen von Klezmermusik gegen ihre Traditionen antanzt, wenn sie mit einem SS-Mann Walzer tanzt. Ja, sie hatte sich mit Deutschen in den Lagern eingelassen, sie empfand Zuneigung, sie setzte auf das Leben, und es sollte für sie kein Totentanz sein, auch wenn sie zum Vergnügen der Mörder tanzte und sang. Szenen der Erinnerungen oder des nicht Darstellbaren, wie Verbrechen des SS-Arztes Mengele, dessen Mitarbeiter Roosje sterilisierte, werden im Spiel mit verschiedenen Puppentypen angedeutet.

So verbinden sich in dieser durchchoreografierten Inszenierung verschiedene Mittel des Theaters in gelungener Kombination mit denen des Tanzes als Versuch der Spiegelung der Facetten des ungewöhnlichen Charakters dieser mutigen Frau. Das Publikum ist nahe am Geschehen und blickt auf eine Wand mit Fotos. Wer einmal in Birkenau war, in der sogenannten Sauna, wird an die Wand mit den Familienfotos ermordeter Menschen denken. Auf der Bühne von Wolfgang Kurima Rauschning sind es Fotos auf denen Menschen fehlen. Sie sind herausgeschnitten. In ihren Erinnerungen schreibt die Tänzerin von Auschwitz, dass sie erstmals in der Freiheit zu Ravels „Bolero“ tanzte. Hier tanzen die Darsteller zu Motiven dieses populären Werkes in einer ungewöhnlichen, doch so intimen wie intensiven Fassung für Streichquartett. Sie klammern sich immer wieder aneinander, die Opfer, die Täter, die Lebenden und die Toten.

Tanzen gegen den Tod, tanzen gegen das Vergessen, Tanz als Möglichkeit, das, was sich so schwer in Worte fassen und sich noch schwerer begreifen lässt, anhand des Lebens dieser mutigen Frau zu erzählen, das macht die Besonderheit dieser beeindruckenden Aufführung, die sich ganz bewusst üblichen Formen des Theaters entgegenstellt, aus.
 

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