„Songs“ von Idan Sharabi
„Songs“ von Idan Sharabi

Es darf auch mal gelacht werden

„Tanz 21: Bolero plus 2“: zwei Uraufführungen und eine Schweizer Erstaufführung am Theater Luzern

Leider ist die zweite Vorstellung des neuen Luzerner Tanzabends eher spärlich besucht. Der guten Stimmung, die sich an diesem Abend von Stück zu Stück steigert, tut dies jedoch keinen Abbruch.

Luzern, 29/03/2016

Langsam zieht eine vom Schnürboden herabhängende Stange ihre Kreise. Punktgenau wirft die Lampe an ihrem Ende kleine Lichtflecke auf den schwarzen, leicht reflektierenden Bühnenboden. „360°“ heißt das neue Stück der niederländischen Choreografin Didy Veldman zu Max Richters „Vivaldi Recomposed“, das den dreiteiligen Ballettabend am Luzerner Theater eröffnet. Passend zu dieser an „Die vier Jahreszeiten“ angelehnten Neukomposition sind die Oberkörper der acht TänzerInnen in blattähnliche T-Shirts gehüllt. Zuckend erheben sich die acht Körper, um sich immer wieder neu in kurzen Tableaux vivants zusammenzufinden und wieder zu vereinzeln. Die Bewegungen sind extrem präzise, detailliert und hochmusikalisch. Innig vereinen sich Bewegung und Musik und die TänzerInnen überlassen sich diesem Zusammenspiel wunderbar. So lange die Choreografie in diesen abstrakten Bildern bleibt, sich immer neu strukturierten Formationen hingibt und die Bewegung ins Zentrum stellt, schafft sie eine Spannung und Intensität, die die volle Aufmerksamkeit des Publikums verlangt und auch gewinnt. Doch zwischendurch rutscht Veldman in narrative Momente ab: Personenkonstellationen werden symbolisch aufgeladen, eine Entwicklung scheint sich anzubahnen. Dann verliert dieses ansonsten wunderbare Kammerstück für ein oder zwei Sekunden seine sphärische Schönheit.

Noch eingeschlossen in die ätherischen Welten von „360°“ wirkt die Direktheit von Idan Sharabis „Songs“ gleich doppelt irritierend. Fünf Tänzer in Jeans und bunten T-Shirts treten einzeln an den Bühnenrand, grinsen oder starren ins Publikum. „Wer bist Du? Woher kommst Du? Willkommen!“, fragt jeder in seiner eigenen Sprache und stellt sich vor. Um Identität geht es hier, um Fremdsein, um Zusammengehörigkeit und Individualität. Zu einer Songcollage verausgaben sich die jungen Männer. Sie treten zwar in einer Gruppe auf, fallen letztendlich jedoch immer wieder auf sich zurück, denn die Bewegungssprache bleibt auf den eigenen Körper bezogen. Einzelne Impulse, oft ausgelöst durch Selbstberührungen, bringen den Körper ins schwingen, werfen ihn zu Boden, lassen ihn voller Energie in die Höhe schnellen. Am Ende starren erschöpfte Tänzer mit forderndem Blick halb ins Publikum halb ins Leere. Wenn dann noch Michael Jacksons „Heal the World“ anklingt, wird es fast ein bisschen platt. Und doch, der anklagende Blick sitzt.

Viel differenzierter und spielerischer legt Stephan Thoss in seinem „Bolero“ (UA 1999) den Finger in gesellschaftliche Wunden. Fünf alte Damen treffen sich zum Kaffeekränzchen. Was in grau-roter Kulisse ganz harmlos und äußerst humorvoll beginnt, denn jede der Damen hat so ihre Marotte, entwickelt sich schon bald zu einem explosiven Vergnügen. Zu Maurice Ravels „Bolero“ steigert sich das genussvolle Schlemmen schon bald in eine sexuell aufgeladene Ekstase. Hier wird ausgelebt, was sonst tabu ist. Humor und Ernsthaftigkeit verbindend wie es schon immer die Kunst einer guten Karikatur war, wird die Prüderie des Nachkriegsdeutschlands genauso offen gelegt wie die Kanonisierung der Tanzes, denn wer kann schon bei dieser Musik Maurice Béjarts Ode an den jungen männlichen Körper vollständig aus seinem Kopf verdrängen. Thoss verdreht, karikiert, wirkt in seiner Tanzsprache manchmal nahezu grotesk und ist dabei doch so menschlich, feinfühlig und respektvoll. Das Schweizer Publikum kann es der Luzerner Tanzdirektorin Kathleen McNurney nur danken, dass sie dieses kluge und so unterhaltsame Werk mehr als 15 Jahre nach seiner Entstehung endlich in die Schweiz geholt hat.

Ein vielfältiger Abend, unterhaltsam und nachdenklich, humorvoll und ernsthaft zugleich. Ein besonderes Lob gebührt den Tänzerinnen und Tänzern der Luzerner Kompanie. Mit großer Intensität lassen sie sich auf die drei sehr unterschiedlichen Stücke ein und beeindrucken durch ihre präzise Tanztechnik ebenso wie durch ihre individuelle Note. Da bleibt nur noch, dem Ensemble bei der nächsten Vorstellung wieder mehr Publikum zu wünschen.
 

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