Spannender Dreiklang

Thoss, Goecke und de Candia in Osnabrück

Dreiteilige Ballettabende gibt es an deutschen Theatern zuhauf. So oft stehen sie landauf, landab auf dem Programm, dass man manchmal fast gar keine Lust mehr darauf hat. Nach der Osnabrücker Premiere von „Tri_Angle“ wird man schamrot angesichts derartiger heimlicher Maulerei.

Osnabrück, 21/02/2016

„Blushing“ (rot anlaufen vor Scham oder Verlegenheit) nannte Marco Goecke seine erste Choreografie für die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft. Dabei brauchte sich der gebürtige Wuppertaler und Hagener Ex-Tänzer durchaus nicht zu schämen für sein Erstlingswerk auf dem roten Teppich der deutschen Choreografen-Förderung: er gewann für die kurze Gruppenchoreografie den Hamburger Prix Pérignon und schrieb fortan Tanzgeschichte mit seiner unverwechselbaren Körperkunst runder Rücken, Muskelspielen und flatternder Hände. Für seine „surreal vibrierenden Wunderwerke der Zeit, des Raums, des Körpers“ kürte ihn die internationale Tanzkritik zum Choreografen des Jahres 2015. Nun ist Goecke, ebenso wie Stephan Thoss, bei Mauro de Candias Dance Company Osnabrück zu Gast, und das Staunen ist groß, was diese kleine Truppe technisch inzwischen zu bieten hat.

„Blushing“ beginnt mit einem Kapuzenmann in Lauerstellung mitten auf der leeren Bühne. Bedrohlich und gleichzeitig verängstigt scheint ‚der schwarze Mann’ ins Dunkle zu leuchten, hopst nervös wie ein Kaninchen oder ein animierter Roboter auf der Stelle auf und nieder, wird schließlich nach und nach von einer anderen Welt aufgesogen - von einer Gemeinschaft freier Menschen, die unbekümmert jedweden Voyeuren abgewandt, in schwarzen Hosen und mit nacktem Oberkörper ihr eigenes Leben leben, das eindrucksvolle Spiel ihrer Rückenmuskeln wie auf einer Klaviatur zelebrieren, die Arme gleich majestätischen Zugvögeln ausbreiten oder gerade wie Verkehrspolizisten zur Seite strecken, aus den Fingerspitzen und Handgelenken flattern - und ab und an mit Witz überraschen, zum Beispiel, wenn sie die (widerwillig?) übergestreiften Jacken am unteren Saum so packen und rütteln, dass es knattert und platscht wie ein Platzregen, der auf die Straße klatscht. Oder großes Erschrecken, wenn einer die Hand, eine Pistole imitierend, an die Schläfe hält, dann aber im vermeintlichen Schmauchstaub nicht etwa zusammenbricht, sondern sein makabres Spielchen wiederholt. Mit gespreizten oder tänzelnden Beinen halten sie die Balance, feiern fröhlich und laut Straßenfeste zu Hard Rock und Pop, formieren sich zu Paraden, sondern sich zu Gebeten und anderen Ritualen ab. Schwarze Kunst und schwarzer Humor - Goecke erweist sich schon in diesem Kabinettstückchen von 2003 als kafkaesker Tanzmagier. Blass vor Neid könnte der einsame, düstere Tagedieb angesichts des grandiosen, lebensbejahenden Nocturnos werden.

Sozusagen im Vorfeld schon bot Stephan Thoss' „Sweet Shadow“ dem Einsamen Trost. „Der unglückliche Single ist out“ proklamierte er in seinem Tanzstück 2001, fügt allerdings an, nur in einer Beziehung zu einem Mitmenschen vollende das Leben sich. Süßer Schatten also ist ein Partner - oder doch die große Freiheit, die das Alleinsein ermöglicht? Jeder für sich, selten in kleiner Gruppe, kaum einmal angedeutet in inniger Zweisamkeit gruppiert Thoss die vier Tänzerinnen und vier Tänzer. Die kurzen Soli inmitten der Schar reihen sich wie zum Ensemble eines schwebenden Perpetuum Mobile aneinander. Ganz in weiß gekleidet tanzen sie unter gleißenden Scheinwerfern. Eine rote Robe wird zum Sehnsuchtspartner. Beredt, geradezu redselig zuweilen, perlen die Bewegungen aus den geschmeidigen Körpern. Viel Armarbeit wird vom ganzen Körper unterstützt. Alles fließt ineinander mit unglaublicher Eleganz und Präzision von den Zehenspitzen bis in die Fingerkuppen auf Tempi zwischen Zeitlupe und Zeitraffer. So ganz eigen - so ganz anders als der asketische Zeitgenosse Hans van Manen - hat Thoss über ein Leben allein oder zu Zweit reflektiert in diesem ästhetischen Meisterwerk.

Als Dritter im Bunde dieser Kostproben zeitgenössischer Tanzkunst bittet der Hausherr zum „Prélude“, das natürlich - nähme man den Titel wörtlich - an den Beginn des zweistündigen, kurzweiligen Abends gehörte. Aber, auf Chopins populäre 24 „Préludes“ choreografiert, dauert es fast so lange wie die beiden Gastgeschenke zusammen und eignet sich deshalb am besten für den zweiten Teil. So viele stilistische Parallelen sowohl zu Thoss als auch zu Goecke sich ausmachen lassen, so anders ist de Candias neue Choreografie doch vor allem durch das viel wärmere Ambiente, die offensichtlichere Bodenhaftung. Kaum auszumachen ist, was da zu Beginn und am Schluss glitzernd vom Schnürboden rieselt. Die runde Fläche jedenfalls ist mit erdigen Schnipseln bestreut. Bunt ist das Licht, meist in warmem Kobaltblau leuchtend. Bunt auch die heutigen Alltagsklamotten der neun Tanzenden. Endlich finden sich Paare zusammen, schreiten in enger Umarmung, verschlingen sich ineinander. Erst in der zweiten Hälfte des Zyklus' kostbarer musikalischer Miniaturen (leider, wie alle Musik an diesem Abend, nur konserviert geboten) tritt ein Einsamer auf - ein Lockenkopf in grünem Polohemd (Lennart Huysentruyt), bemüht, zu den anderen zu gehören. Wenn es ihm schließlich gelingt, stemmt einer den Neuling in die Höhe - hebt ihn doch wieder heraus aus der Gruppe... Warum? - das bleibt eine der nachdenkenswerten Fragen über diesen wohltuend harmonischen Tanzabend.
 

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