Leichtfüßiger Blick über die Schulter

Der Tanzabend „Bolero“ am Theater Regensburg zeigt zwei Uraufführungen

Mit „Marina“ von Ihsan Rustem und „Bolero“ von Yuki Mori werden zwei gegensätzliche Uraufführungen zu einem Abend verbunden - ein verdienter Erfolg im ausverkauften Theater Regensburg.

Regensburg, 14/02/2016

Rummms! Wer nach diesem heftigen Knall noch abgelenkt war, hat vermutlich auch vom ganzen restlichen Premierenabend nichts mehr mitbekommen. Mit der zugeschlagenen Stahltür zu Beginn von Ihsan Rustems Choreografie „Marina“ begann im Theater Regensburg ein Tanzabend nahezu gegensätzlicher Stimmungen. Anstelle des normalen Bühnenvorhangs fährt eine Wand aus gefaltetem Stahlblech hoch. Eine Tänzerin (Simone Elliott) geht auf einen Mann zu. Sie trägt einen riesigen aufgeblähten Rock, der die Bühne bedeckt. Zur tragischen Musik von Arvo Pärt beginnt ein melancholisch-zarter Liebes- und Beziehungsreigen, der aus Erinnerungen gespeist ist. Der Rock wird aufgesogen, verschwindet im Boden. Mit ihm verschwindet die Liebe.

Rustem hat sich für seine Choreografie von der serbischen Künstlerin Marina Abramovic inspirieren lassen. Dieser begegnete bei einer Performance in New York ihr einstiger Lebenspartner Ulay wieder. Aus direkten Zitaten, dem roten Rock und Tänzern, die sich – von einer Wand getrennt – reglos an einem Tisch gegenüber sitzen, stellt Rustem kühle Bilder in den Raum. Schmucklose, unansehnliche Wände öffnen sich eine nach der anderen nach innen. Immer tiefer dringen die Tanzenden vor, stoßen auf lange Verschüttetes, verborgene Eindrücke und Empfindungen. Dabei verändern sich Farbe und Stimmung im Bühnenbild (Dorit Lievenbrück) bis hin zum Tod symbolisierenden Schwarz (Kostüme: Katharina Meintke).

Verteilt auf ein, zwei oder mehr Tanzpaare ersteht die Beziehung mit ihren Zärtlichkeiten, Verschmelzungen und Auseinandersetzungen im Tanz noch einmal auf. Ein extrem starkes Bild bildet ein überhöhter Thron, von dem der Mann wie ein Hohepriester auf die klein erscheinende Frau blickt. Hier kehrt sich das einzige Mal der Eindruck einer weiblichen Führung, der sich durch die gesamte Choreografie zieht, für einen – erschreckenden – Moment um. Das maskuline Prinzip taucht auf als Herrschaftsanspruch, als Manipulation, Machtdemonstration. Manchmal kommen die langsamen, dem Fluss der Musik angepassten Bewegungen, Gesten und Tanzformen fast zum Stillstand. Und immer scheint die Frau zu führen. Selbst dann, wenn der Mann sie hebt, über den Boden schleift, sie in geschmeidigen, ineinander übergehenden Vorwärtsbewegungen trägt. Gegen Ende findet das Paar, entkleidet, im fleischfarbenen Trikot zu einer Gleichheit. Zugleich verschwinden die Erinnerungen, im Hintergrund kehrt die Frau in Rot zurück.

Nach der Pause erleben die vom ersten Teil schon reichlich euphorisierten Zuschauer der ausverkauften Premiere eine zweite Uraufführung. Yuki Moris rein tänzerische Interpretation des „Bolero“: Ein kühnes Unterfangen, wird doch jeder Neuansatz umgehend abgeklopft, wie er sich zu Maurice Béjarts berühmter Choreografie verhält. Ist er besser? Eine Nachahmung? Oder gar ein Abklatsch? Leichtfüßig umgeht Mori diese Falle. Mit einem verspielt-heiteren Ansatz lässt er alles dramatisch-schwüle von Béjarts strenger Choreografie hinter sich. Er ignoriert den Mythos schlicht. Um seine Choreografie abendfüllend zu gestalten, kombiniert er Maurice Ravels berühmtestes Orchesterstück mit „Chairman Dances“ des amerikanischen Komponisten John Adams. Durch einen gelungenen, perkussiven Übergang verbindet er die beiden stark rhythmischen Stücke. Ein spannungsgeladenes Moment, wenn das in weite, schwarze Hosenröcke gekleidete Ensemble am Boden sitzend mit den Handflächen auf die Bühne schlägt.

Von Anfang an bestimmen Tempo und Dynamik das Geschehen auf der Bühne. Einleitend erwecken zwei Tänzer, die mit großen Schiebern die Bühne reinigen, noch den Anschein einer Erzählung. Doch Formen aus Discotanz, kokette Reminiszenzen an die 20er Jahre, an circensische und clowneske Motive machen schnell klar, hier geht es um Tanz – und sonst nichts. Im einleitenden Piano der kleinen Trommel wirbelt eine Tänzerin durch die im Schneidersitz hockende Truppe und reißt einen nach dem anderen hoch und mit. Wiederholt nimmt Mori quasi über die Schulter hinweg Bezug auf die alles dominierende Béjart'sche Choreografie. Das geschieht aber so verschmitzt-frech, dass einem innerlich lachend die Spucke weg bleibt. Mit heiterem Enthusiasmus schwenkt und umtanzt das Ensemble im sturen Ostinato seine Bowlerhüte. Am Ende fliegen sie mitsamt den Fräcken in die Luft. Ausgepumpt und erlöst fallen die Tänzer um. Ein paar Unsauberkeiten in synchronen Figuren und bei einigen Sprüngen dämpfen zwar ein wenig den Eindruck des technisch hohen Niveaus, den das Ensemble sich erarbeitet hat. Vielleicht haben ein, zwei Probetage gefehlt. Dennoch ein großartiger und verdienter Erfolg.

Weitere Vorstellungen: 22. und 27. Februar, 1., 7. und 30. März.

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