„Borderline“ von und mit der Compagnie Wang Ramirez

„Borderline“ von und mit der Compagnie Wang Ramirez

Die Aufhebung der Schwerkraft

Zur Eröffnung der Tanzbiennale Heidelberg: „Borderline“ mit der Compagnie Wang Ramirez

Die zweite Ausgabe der Heidelberger Tanzbiennale, organisiert von einem deutschlandweit einmaligen Zusammenschluss von Stadttheater (Intendant Holger Schulze und Tanzchefin Nanine Linning) und dem freien UnterwegsTheater (künstlerische Leiter Bernhard Fauser und Jai Gonzales).

Heidelberg, 25/01/2016

„Tanz“, so hat es Fred Astaire einmal formuliert, „ist ein Telegramm der Erde an den Himmel mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft“. Die Koreanerin Honji Wang und der Franzose Sebastien Ramirez – beide international gefragte Tänzer und Choreografen – verlassen sich lieber nicht auf den Himmel. In ihrem 2013 entstandenen Stück „Borderline“, dem Auftakt der Heidelberger Tanzbiennale, haben sie der Aufhebung der Schwerkraft mit irdischen Mitteln tüchtig nachgeholfen. Zum einen hängen die fünf Protagonisten in weiten Teilen des Stückes an Seilen, die über ein Flaschenzug-System geleitet von einem schwarz gekleideten „Deus ex Machina“ gesteuert werden: mal als Widerstand fungierend, meist aber als Einladung zum Fliegen. Zum anderen sind nicht nur Wang und Ramirez herausragende, akrobatisch versierte Tänzer, sondern auch die übrigen Mitglieder ihrer Kompanie. Der gemeinsame Nenner der zwei Tänzerinnen und drei Tänzer heißt hier eindeutig Hiphop. Typisch für diese urbane Tanzkultur sind ja gerade Ausgangspositionen mit tiefem Schwerpunkt – aus denen die Körper in Sprüngen und Drehungen emporschnellen, als sei die Erdanziehung kurz außer Kraft gesetzt worden. Zusammen mit der Leichtigkeit, die das „Rigging“ erlaubt, können so auf der Bühne akrobatische Kraftakte in schwerelose Tanz-Stunts übergehen – spektakulär und höchst publikumswirksam.

Von Show-Effekten versteht das Duo Wang/Ramirez einiges; nicht umsonst haben die beiden schon für Madonna gearbeitet. In ihrem Stück, indem es um Grenzen zwischen Menschen und Menschengruppen geht, greifen sie tief in die multikulturell gefüllte Kiste des effektvollen Bewegungsmaterials. Begleitet wird das Ganze vom elektronischen Originalsound, den Jean-Philippe Barrios passend zusammengemixt hat. Ein Kubus aus Metallrohren – später durch einen Zwilling ergänzt – fungiert als bewegliches Bühnenbild. So ein offener Würfel lässt sich sozusagen als Danceport benutzen, als sicheren Hafen für den Tanz oder als Bühne auf der Bühne; er kann Klettergerüst oder Trennwand sein, und er kann selber tanzen. In einem der überraschenden Momente des Stücks balanciert der gekippte Würfel, gehalten von unsichtbaren Schnüren, nur auf einer Kante. Und dann klettert ein Tänzer an diesem Würfel hoch, ohne dass sich die labile Position verändert: Da wird der Schwerkraft ein unerwartetes, augenfälliges Schnippchen geschlagen. Andere Effekte der Seiltechnik sind, bei aller Attraktivität, doch vorhersehbar – das gilt auch für das letzte, abschließende Duo, indem sie fliegen kann, er aber Erdenschwere behält.

Daraus wird dann aber doch kein großes Drama, wie das ganze Stück tatsächlich mehr unterhaltsam als tiefschürfend ist – wenn auch manche (französisch eingesprochenen) Texte mehr Ehrgeiz beweisen. Ein Gespür für hintergründigen Witz beweist indessen die Szene, in der ein englischsprachiger Tänzer einem deutsch antwortenden Kumpel – ausgerechnet – am Beispiel von Reisschalen zu erklären versucht, dass Liebe (hier: dem Reis!) gut tut, Hass dagegen schlecht – am schlimmsten aber ist die Missachtung. Und die entsteht hier ganz beiläufig durch die Sprachbarriere...

Honji Wang hat Affinität zum koreanischen Tanz wie zum asiatischen Kampfsport. Und so zeigt sie zu Beginn in landestypischer Tracht ein sensibles Solo, während die fünfköpfige Truppe im zweiten Teil wie eine Kung-Fu-Formation in weißen langen Röcken vorwärts marschiert. Die wirken zunächst wie schwingende Derwischröcken, entpuppen sich dann aber als unten geschlossene, elastische Körperzelte, die sich zu plastischen Gebilden formen lassen: Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Der als Zugabe aufgeführte kleine Hiphop Battle hätte nach Meinung des Publikums ruhig weitergehen können… Mit allseits bester Laune startete vor ausverkauftem Haus die zweite Ausgabe der Heidelberger Tanzbiennale, eröffnet von OB Würzner und organisiert von der tanzallianz, einem deutschlandweit einmaligen Zusammenschluss von Stadttheater (Intendant Holger Schulze und Tanzchefin Nanine Linning) und dem freien UnterwegsTheater (künstlerische Leiter Bernhard Fauser und Jai Gonzales). Bis zur Abschlussveranstaltung am 1. Februar in der Hebelhalle dreht sich in Heidelberg (fast) alles um den Tanz...
 

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