„Savannah“ von António Onio und Bráulio Bandeira
„Savannah“ von António Onio und Bráulio Bandeira

Kritische Aneignung kultureller Kontexte

In den Sophiensaelen feiern die Tanztage ihren 25. Geburtstag

Was im Pfefferberg, von heute aus betrachtet, geradezu legendär begann, hat seinen Platz in den Sophiensaelen gefunden und ist auch dort nach wie vor ein Renner.

Berlin, 13/01/2016

Ein Festival feiert seinen 25. Geburtstag. Was im Pfefferberg, von heute aus betrachtet, geradezu legendär begann, hat seinen Platz in den Sophiensaelen gefunden und ist auch dort nach wie vor ein Renner. Die Jubiläumsausgabe, kuratiert wiederum von Anna Mülter, bietet dem choreografischen Nachwuchs der Stadt ein Podium, und das bedeutet inzwischen: einer internationalen Mannschaft von Tänzern und Choreografen. Elf Tage lang suchen sie die Zuschauer zu unterhalten, für sich zu gewinnen und zu beweisen, dass Berlin auch künftig den Ruf einer Metropole des zeitgenössischen Tanzes verdient. Die üblichen vollmundigen Ankündigungen sind das eine – abgerechnet wird nach dem Besuch der Vorstellungen. Einen vielfältigen Querschnitt dessen, was den Besucher erwartet, worauf er sich einlassen soll und muss, bot gleich der Eröffnungsabend.

Im Hochzeitssaal zeigten die Wahlberliner Portugiesen António Onio und Bráulio Bandeira ihr einstündiges Duett „Savannah“. Gemäß dem Festivalschwerpunkt verhandeln sie, farbig, wie im Fall Bráulios, und somit exotisch zu sein im katholischen Portugal, glossieren in einem Kanon aufgezählter Modelabels als Text auch anbetungsvolles Konsumverhalten. Ein dienstbarer Dritter im Bund drapiert zu Anfang Schweinwerfer mit Federn und stellt die vielen verwendeten Requisiten bereit. In buntem Licht und zu technisch verzerrten Popsongs sind die Akteure kringelgefütterte Reptilien, posierende Models oder verlieren sich in muttersprachlichen Dialogen. Berührend ist der Moment, in dem sie ausleben, was wohl jeder in sich trägt: etwas sein wollen, was man kaum oder gar nicht erreichen kann. So wäre António als Kind gern Prinzessin Pocahontas gewesen, wie sie singend ihren weißen Prinzen findet, was António und sein farbiger Partner dem Filmausschnitt nachspielen. Bráulio aber wollte Rockstar werden wie Marilyn Manson, darf das wenigstens auf der Tanztage-Szene verwirklichen. All dies wird mit Ironie serviert. Entbehrliche Details abgerechnet, gelingt das Ende: Splitterfasernackt erklimmen sie wie Affen Scheinwerferständer und blicken fragend ins Publikum: Was also sind wir wirklich für euch?

Gerade der Schluss des ersten Teils eines Doppelprogramms im Festsaal überzeugte eben nicht. Die französische Performerin Aline Landreau sucht in ihrem Solo „Vox“ eine Verbindung von selbst erzeugten Lauten und minimalistischer Bewegung. Dazu liegt sie in mattester Beleuchtung auf einem Verstärker und bleibt eine halbe Stunde lang gesichtlose, schattenhafte Masse, Körper, den es kaum sichtbar umtreibt: wie er poltert, seufzt, quietscht, stöhnt, wimmert, raschelt, rutzt und nach einer irgend fixierbaren Formensprache sucht. Als sie sich hin zum Auditorium begibt, erlischt das Licht.

Das strahlt künstlerisch umso heller über dem ebenfalls 30-minütigen Quartett „Dust“ von Roderick George. Was mit von DJs live gescratchten Loops aus HipHop-Titeln zäh anfängt, wird zum tänzerischen Aufrüttler, sobald George, Dominic Santia, Corey Scott-Gilbert und Kevin Quinaou die weißgrundierte Szene betreten: vier Höchstqualitätstänzer von extrem verschiedenem Wuchs und unterschiedlicher Hautfarbe, mit gediegener Schulung und führenden Kompanien als Referenz der bisherigen Karriere. Wie sie auf den Zerrstimmengesang reagieren, ob in Ballung, die bald aufsplittert, zu zweit oder in Soli, die sich gegen die Restgruppe absetzen, fesselt vom choreografischen Bauplan her. Der Kontrast zwischen musikalischem HipHop, technisch verfremdet, und einem dem klassischen Tanz entlehnten, indes freizügig um Spiralen, knochenlos impulsgesteuerte Sequenzen erweiterten Idiom führt zu so spannenden wie originell flinken Abläufen. Drehungen und Sprünge mit Landung auf den Knien, Schleuderpassagen, Umhebungen von artistischem Furor wechseln in fulminantem Tempo. William Forsythe, bei dem George und Quinaou getanzt haben, Édouard Lock und die kanadische Gruppe La La La Human Steps, bei der Santia engagiert war, mögen von der Grundidee her, dem Körper in Brechung klassischer Formen ungewöhnliche Bewegungsfolgen abzutrotzen, Pate gestanden haben: Was George und sein Trio entwickelt haben, ist gänzlich eigenständig und verspricht einen kräftigen Zugewinn für die Berliner Szene.

Vielversprechend klingen weitere Gastspiele: wenn Sara Mikolai mit dem indischen Tanz Bharatanatyam experimentiert; Mirjam Sögner nach Fotos Isadora Duncans Tanz auf queeres Potenzial untersucht; Rocio Marano + Lea Kieffer mythische Spielzeug-Ninjas thematisieren; Karol Tyminski seinen mikroabgetasteten Körper vom Musikinstrument zur Sexmaschine werden lässt.

Bis 17.01., Sophiensaele

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