„Alpha – Omega“

„Alpha – Omega“

Die Zeit davor und die Zeit danach

„Alpha – Omega“: die Abschiedschoreografie von Kevin O’Day in Mannheim

Für seinen ganz persönlichen künstlerischen Abschied erlaubte sich Kevin O’Day einen deutlich melancholischen Unterton und erinnert sich an sein Bewegungsvokabular der letzten 14 Jahre.

Mannheim, 16/11/2015

Es ist ein Abschied, dessen Gründe eher im Dunkeln liegen. Der Vertrag des amtierenden Mannheimer Ballettdirektors wurde nach 14 Jahren Laufzeit nicht verlängert, obwohl seine künstlerische Bilanz und die Akzeptanz durch das Mannheimer Publikum durchaus Vorzeigecharakter haben. Auch das bühnenrechtliche Argument der „Unkündbarkeit“ nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit – häufiger Stolperstein geradliniger Künstlerkarrieren – gilt für ihn dank seines Status als eigenständiger Ballettintendant nicht. Von Kevin O’Days Weggang profitiert der ehemalige Wiesbadener Ballettchef Stephan Thoss. Am Nationaltheater wurde jetzt der Countdown fürs Abschiednehmen angezählt – mit „Alpha –Omega“, der letzten abendfüllenden Choreografie von Kevin O’Day in der Quadratestadt.

Natürlich erfordert der Umgang mit so einem Vertragsende eine professionelle, möglichst produktive Haltung – es wird also noch einen ‚Best of…’-Abend einschließlich allseitiger Lobreden geben. Aber für seinen ganz persönlichen künstlerischen Abschied erlaubte sich Kevin O’Day einen deutlich melancholischen Unterton. Mit der Wahl des Gedichtzyklus „Four Quartets“ von T. S. Eliot stellte er einen eher dunklen Text ins Zentrum der Assoziationen. Das poetische Spätwerk von Eliot entstand weitestgehend im 2. Weltkrieg und beschäftigt sich leitmotivisch mit Zeit, Vergänglichkeit und Vergeblichkeit, Anfang und Ende, aber auch mit der zyklischen Wiederkehr alles Lebendigen.

Für seinen letzten choreografischen Daumenabdruck hat Kevin O’Day die wichtigsten künstlerischen Weggefährten um sich geschart. Sie alle ließen sich von den „Four Quartets“ inspirieren, Ausstatter Thomas Mika etwa vom Bild der „drifting stars“, der gleitenden Sterne. Kleine und große Sterne in rauer Metalloptik weisen den Weg vom Foyer des Nationaltheaters bis auf die Bühne des Kleinen Hauses, wo glänzende Metallrohre wie die Läufe von Riesenkanonen schräg durch die Wand brechen, sich aber als Lichtquellen und Ursprungsort der kleinen Sterne entpuppen. Betonoptik prägt den Hintergrund, auf dem zeitweilig schwarz-weiß Panoramen des Mannheimer Fotografen Peter Schlör zu sehen sind – das Neckarvorland als Schafweide oder zur grafischen Serie montierte kahle Silberpappeln. Es ist ein schöner Effekt, wenn eine der Betonwände ganz leicht nach oben schwebt, um den Blick auf ein Streichorchester freizugeben.

John King, Kevin O’Days ‚Hauskomponist’, mixte für das Stück beherzt Vergangenheit und Zukunft, elektronische Musik mit Streichern und dem gesamten rund 30köpfigen Kinderchor des Nationaltheaters. Das hört sich mal ätherisch an, wenn die Kinderstimmen chromatische Töne oder simple Akkorde halten, programmatisch, wenn schlichte, von Eliot inspirierte Texte gesungen werden, oder unterhaltsam, wenn eine jugendliche Solistin ohne Fehl und Tadel Ausflüge in die Welt von Gospel und Spiritual unternimmt. Thomas Mika hat den Kinderchor in sachliche Arbeitskleidung gesteckt (weiße Herrenhemden über schwarze Leggins) – und die Tänzer in festliches, unschuldiges Weiß. Lichtdesigner Mart Stanley gießt mal Sonnen- mal Mondlicht über die Szene, die dabei ein Flair von Industrieromantik gewinnt.

Bevor das Stück anhebt, locken die kleinen Chorsänger mit Sirenenstimmen das Publikum im Foyer an und zwei golden gewandete Tänzerinnen wiegen sich scheinbar mühe- und endlos. Eine der beiden ist Zoulfia Choniiazowa, eine Ausnahmeerscheinung des Mannheimer Ensembles, die scheinbar alterslos (obwohl sie als eine von wenigen TänzerInnen die Hürde der 15-Jahre-Klausel überspringen konnte) an diesem Abend eine Portion extra Energie auf die Bühne bringt. Im kleinen und doch sehr besonderen Mannheimer Ensemble werden schon die üblichen Auflösungserscheinungen sichtbar, fünf von vierzehn Positionen mussten neu besetzt werden.

Vielleicht deswegen erst recht lässt Kevin O‘Day jeden der vier Teile des Abends in breiter Reihenformation des Ensembles beginnen, und oft wird mit angefassten Händen die Bewegungsenergie durch eine ganze Tänzerkette hindurchgeleitet. Die Neuen werden förmlich mit hineingerissen in einen tänzerischen Sog der vielfältig gestaffelten Auftritte. Kevin O’Day erinnert sich rückblickend weiträumig an viel Bewegungsvokabular, das er in seiner ersten Mannheimer Dienstzeit angesammelt hat. Und bei aller Melancholie gibt es am Ende doch ein vergnügtes, zweckfreies Fest: die Tänzer platschen und planschen in einem der Bühne vorgelagerten Wasserbecken.

Der Beifall am Ende galt mehr als nur diesem Theaterabend – er galt einem Ballettchef, der in Mannheim tatsächlich heimisch geworden ist. Viel gibt es zu sehen und nachzuspüren an diesem Abschiedsabend – ein bisschen schade ist es aber doch, dass das Publikum von der Assoziationsquelle, den Texten von T.S. Eliot, ausgeschlossen bleibt. Die Sterne, das Wasser, die nur teilweise verständlichen Textfetzen und der Tanz – sie bilden nicht zwingend ein Ganzes.

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