William Forsythe, City of Abstracts, 2000
William Forsythe, City of Abstracts, 2000

Choreografische Objekte

Die Ausstellung „The Fact of Matter“ von William Forsythe im MMK Frankfurt/Main

„Bitte benutzen Sie nur die Ringe, um den Raum zu durchqueren.“ Mitmachen und Bewegen ist das zentrale Motte dieses choreografischen Museumsparcours.

Frankfurt/Main, 29/10/2015

Der Choreograf William Forsythe bewegt sich seit 20 Jahren auch im Bereich der Bildenden Kunst, kreierte raumgreifende Installationen, die von seinen Choreografien inspiriert waren. Bislang waren an diversen Ausstellungsorten immer nur einzelne Werke zu sehen. Das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt/Main widmet ihm nun die erste umfassende Einzelausstellung, in der Hauptwerke aus den vergangenen 20 Jahren zu sehen sind. Einzelne Arbeiten schuf Forsythe sogar eigens für die ungewöhnlichen Räume dieser von den Frankfurtern liebevoll „Tortenstück“ genannten Architektur, die einst Hans Hollein mit all ihren Durchblicken, Treppen und spitzen Winkeln erdachte.

Eine weitere Besonderheit sind die Korrespondenzen mit der bestehenden Sammlung, deren Auswahl Forsythe zusammen mit dem Kurator und langjährigen MMK-Sammlungsleiter Dr. Mario Kramer getroffen hat. Dieser war es auch, der vor drei Jahren die Initiative ergriff und bei Forsythe anfragte. „Es war an der Zeit eine solche Ausstellung anzugehen“, sagt er schlicht. Schließlich hat die 30-jährige Arbeit von Forsythe als Direktor des Ballett Frankfurt (ab 1984) und als Leiter der Forsythe-Company (ab 2004) den Namen Frankfurt in alle Welt getragen. Zudem ist Forsythe dem MMK und seinem kürzlich verstorbenen Gründungsdirektor Jean-Christophe Amman seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden.

So kam es, dass kurz nach der Uraufführung des Forsythe-Nachfolgers Jacopo Godani im Bockenheimer Depot mit seinem komplett neu besetzten und in „Dresden Frankfurt Dance Company“ umbenannten Ballettensemble die Ausstellung von William Forsythe eröffnet werden konnte. Dieser nennt seine Werke „choreografische Objekte“ und der Kurator meint dazu: „Vielleicht wird das künftig ein fester Begriff in der Kunstgeschichte“.

Die Forsythe-Werke sind über alle drei Stockwerke verteilt, sie entwickeln sich von einer gewissen thematischen Schwere unten, über Theorie und Praxis auf der mittleren Ebene, hin zu spielerischer Leichtigkeit oben. Gleich im Eingangsbereich macht die interaktive Videowand „City of Abstraction“ (2000) das zentrale Motto deutlich: Bewegen und Mitmachen. Die Bewegungen der Besucher werden über Kamera aufgezeichnet, zeitverzögert und in Schlangenlinienvariationen gesendet. Allein dieses Vergnügen ist eine Attraktion für die vielen Kinder und Jugendlichen, die sich dort tummeln.

Zum aktiven Mitmachen fordern auch an anderer Stelle klare Anweisungen von Forsythe auf, die in jedem Raum auf kleinen Wandkärtchen zu lesen sind. Etwa: „Bitte benutzen Sie nur die Ringe, um den Raum zu durchqueren“, was die weniger Sportlichen schnell an ihre körperlichen Grenzen führt. Oder „Bitte beim Durchschreiten des Raumes den Kontakt mit den Pendeln vermeiden“, was Grobmotorikern recht schwer fällt. Auch das Begehen des Raumes, der durch einen riesigen Kubus sehr niedrig gehalten ist (inspiriert von seiner Choreografie „Defenders“, 2007) ist eher für kleine und flinke Körper geeignet. Aber Zuschauen macht auch Freude und lässt miteinander ins Gespräch kommen. An anderer Stelle fordert Forsythe aber auch zur Verlangsamung auf, wenn es in einen dunklen Raum mit einer Nebelskulptur geht oder wenn man einen altmodischen Staubwedeln aus Federn ganz ruhig halten soll.

Die Werke der anderen Künstler, mit denen Forsythe die seinen korrespondieren lässt, handeln vom Ende des Lebens oder der Abwesenheit des Körpers, oder sie nehmen das Thema Raumwerdung über Linien und Balancen in den Blick. Eben das Thema, das er mit seiner systematischen Erforschung des menschlichen Körpers in raumgreifende und gar nicht mehr ballettöse Bewegungen übersetzt hat. Einfach großartig ist die Gegenüberstellung der Film-Skulptur „Stellenstellen“ (2013), die die unglaubliche Verknotung der Tänzer Zabala und Gonzalez zeigt, mit dem zarten Knotenknäuel von Jens Risch. Wem dieser Film noch nicht Tanz genug ist, der kann im zweiten Stock die beiden Videos mit Forsythe ‚himself’ anschauen: „Lectures from Improvisation Technologies“ (1994) und sein mittlerweile legendäres „Solo“ (1997). Beides auch für Einsteiger bestens geeignet. Und wer sich tiefer auf die Inhalte einlassen will, dem sei eine Führung durch diese faszinierende Ausstellung empfohlen. Einen Katalog gibt es nicht, offenbar soll alles zum eigenen Denken und Tun anregen.

„The Fact of Matter“ noch bis 31.01.2016 im MMK Frankfurt

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