Irrungen und Wirrungen in Berlin enden mit der harten Gegenwart des Staatballetts

Pick bloggt über alte und neue Streiks und sendet einen ganz persönlichen Aufruf.

Schon die SMS von Christiane Theobald: „Achtung Streik“, ließ mich den Kopf schütteln, denn ich dachte natürlich, dass die Deutsche Bahn oder Lufthansa schon wieder bestreikt würden. Doch diesmal war es das Ballettensemble!

Berlin, 28/10/2015

Kurz vor dem Ende der vergangenen Spielzeit war ich entschlossen, die Lücke in meinem Ballettweltbild, nämlich Nacho Duato am Staatsballett Berlin, zu schließen und zwar mit Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ und mit der „Bajadere“ als Repertoire-Stück in der Version von Vladimir Malakhov.

Schon die SMS von Christiane Theobald: „Achtung Streik“, ließ mich den Kopf schütteln, denn ich dachte natürlich, dass die Deutsche Bahn oder Lufthansa schon wieder bestreikt würden. Und wie jeder weiß, es war weder noch, sondern das Ballettensemble machte von der Gewerkschaft Ver.di angeführt, zunächst „Die Bajadere“ unmöglich und am Tag der Vorstellung selbst auch den zeitgenössischen Abend. Dass Tänzer sich in ihrer kurzen, auch risikoreichen Karriere zu einem Streik anstacheln lassen, scheint mir auch tatsächlich nur möglich in einer Stadt wie Berlin, wo der Untergrund uns schon bei den 68ern aufrührte und prompt das Ballett der Deutschen Oper Berlin als einziges der Theater mit einer Tanzsparte den Aufstand probte, unter Führung des Charaktertänzers und Jungchoreografen Gerhard Bohner, um den (in Abwandlung des Schlachtrufs der Studentenbewegung, „Mief unter den Talaren“) ‚Mief unter den Tutus und Spitzenschuhen?' zu entfernen. Sie hätten am liebsten den damaligen Ballettdirektor Gerd Reinholm auf den Mond geschossen.

Auch damals hat die Presse eine recht unrühmliche Rolle gespielt, aus Sensationslust: Schaut her, sogar die Tänzer gehen mit der Zeit. Sonst erinnere ich mich nur an Orchesterstreiks, die oft unterlaufen wurden durch konzertante Abende mit Begleitung am Klavier. In München gab es zu Zeiten des Intendanten August Everding einen wohl mehr inoffiziellen Streik des Opernchors der Bayerischen Staatsoper, der nur flüsterte, aber sonst seinen „Dienst“ tat. Und an der Pariser Oper, zu Anfang von Rolf Liebermanns Intendanz, streikten die Vorhangzieher, und laut Vorschrift in der Technik durfte dieser Dienst von keinem anderen Techniker ausgeführt werden, sodass entschieden wurde, ausnahmsweise nur bei offenem Vorhang zu spielen und zu singen. Und ohne Dekor da die Bühnentechniker nicht bei offenem Vorhang umbauen durften ... Eigentlich eine Lachnummer, wenn man weiß, und darüber machte man in Paris Witze, dass die meistgespielte Vorstellung auf den Plakaten den Titel „Relache“ hatte (zu Deutsch: „Keine Vorstellung“) und da die Mitglieder der Oper unkündbar waren und manch einer in der freien Wirtschaft auch zu gern Vorhänge auf und zu gefahren hätte …

Wie es bei den drohenden Theaterschließungen in den Neuen Bundesländern ablief, habe ich nicht einheitlich in Erinnerung, aber wo das Geld fehlt, ziehen wir Künstler immer den Kürzeren. Das war schon zu Zeiten der Fürsten so, die sich ein Theater und/oder Orchester leisteten. Und ich fürchte, liebe Kollegen in Deutschlands größtem Ballettensemble, die sie natürlich so jung sind, dass sie nicht durchblicken und um im zeitgemäßen Jargon zu sprechen „kaum integriert sind“, weil sie in unserer Sprache allenfalls einen Tee oder Kaffee „and eine Käsebrötchen“ bestellen können, es sei denn das Kantinen-Personal hat Pigeon-English drauf, mit dem die Angesprochenen auch ihre alltäglichen Besorgungen meistern müssen, es passiert schneller, als sie alle zusammen denken können: Auch in Berlin könnten Arbeitsplätze in den vier Institutionen der Stiftung Oper verloren gehen. Schlimmer noch, und leider ist schon Gras darüber gewachsen, dass Christiane Theobald den Senat daran erinnern musste, was aus den drei Ballettensembles geworden ist, die unter Leitung der Opernintendanten vergessen wurden, was bekanntermaßen zu einem vierten gleichberechtigten Partner, dem Staatsballett, bei den Verhandlungen führte! Der Intendant der Komischen Oper gab von sich aus bekannt, dass in seinem Haus kein Tanz notwendig sei und so wurden aus ca. 150 Tänzerstellen plus den Ballettmeistern, Assistenten, Trainern und Pianisten achtzig, die man braucht, um das ererbte Repertoire zu pflegen, soweit das auf Deutschland überhaupt zutrifft.

Wir haben zwar einen Fonds Erbe, aber Ballett war in diesem Land bisher nie ein „must“. Das gab es nur, wenn ein Fürst eine Schwäche für Ballerinen hatte. Aus diesem Erbe und dem „Foyer de la Danse“, wo die Herren der Pariser Gesellschaft, Tänzerinnen kennen lernen konnten, weshalb heute noch Prüderie im Ballett ungewöhnlich weit verbreitet ist, sowie das andere Vorurteil, dass Tänzer zu hundert Prozent schwul seien, was ebenfalls ein Irrtum ist. Dies nur am Rand und es hat Gott sei nichts aber auch gar nichts mit dem Verlust von Arbeitsplätzen zu tun. Streik ist für die nur zu entbehrliche Kunst sicherlich kein Weg!

Trotzdem glaube ich fest daran, dass eine Verbindung, d. h. eine Gewerkschaft nötig ist, die Interessen der Tänzer zu vertreten, aber es sollten schon die Künstler selbst sein, die uns vertreten und in Hans Herdlein, dem Präsidenten und Vorsitzenden der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) hatten wir Jahrzehnte lang so einen Mann, der sich fast umgebracht hat, um den Kommunen und Ländern das Mögliche abzuringen. Er wusste und weiß, worum es geht bei Verhandlungen. Für uns Tänzer war er ein besonderer Glücksfall, denn er war selbst Tänzer in Düsseldorf als Gustav Gründgens dort Intendant war und noch keine Deutsche Oper, sondern ein ganz normales Stadttheater mit Oper, Ballett, Schauspiel und natürlich einem Symphonieorchester, wie etliche andere auf hohem Niveau. Herdlein brachte es fertig, dass die Tänzergagen Ende der sechziger Jahre den Opernchorgagen angeglichen wurden, was für uns viel mehr Geld bedeutete, nämlich auf über drei Spielzeiten verteilt ca. 30% plus ausmachte und die Tänzerverträge Besonderheiten erhielten, derer diese Kunstgattung bedarf.

Ich darf ihnen allen laut zurufen: „Der jetzige Präsident Jörg Löwer kennt alle Kunstsparten aus eigener, schmerzhafter Erfahrung“. Schmerzhaft meine ich natürlich nur im Hinblick auf Tanz, denn er hat eine Musicalkarriere hinter sich. Eine Gewerkschaft wie Ver.di kann dieses Insiderwissen nicht haben und ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es schon einmal den Versuch einer „feindlichen“ Übernahme gab, nämlich als Mitarbeiter der IG Druck und Papier und anderer kleiner Gewerkschaften sich zusammentaten zu der wesentlich größeren Medien-Gewerkschaft und die illustren Bühnenkünstler auch gleich mit im Boot haben wollten. Mit Recht hat Herdlein das unter Aufbietung aller Kraft vermieden. Ein Streik ist für Künstler kein guter Weg, das sei uns gesagt, denn was wir bieten, ist nicht lebensnotwendig und ich selbst habe Zeit meiner Tänzer/Choreografen-Karriere gedacht, dass ich doch einen vernünftigen Beruf hätte lernen sollen …

Wie ich vom Verwaltungschef der Opernstiftung Georg Vierthaler und Jörg Löwer von der GDBA hörte, sind inzwischen die Verhandlungen soweit fortgeschritten, dass die Vertragsverhandlungen mehr oder weniger zu einem Konsens geführt haben, sodass einer Unterschrift kaum etwas im Wege steht. (Eine Pressemitteilung kann seitens der VdO und GDBA bei www.VdOper.de nachgelesen werden.) Welche Rolle Ver.di dabei spielt, ist allerdings offen, denn sie hat diesen unseligen Streik schließlich angezettelt. Es ist wohl nur zu klar wieso Ver.di sich ausgerechnet die Tänzer beim Leitungswechsel im Staatsballett ausgesucht hat, um zu punkten und in der Hauptstadt einen Probelauf zu initiierten, was die GDBA wohl zu spät ernst genommen hat, obwohl auch die VdO durchaus nicht untätig war. Die GDBA in Hessen war beim neuen Staatsballett erfolgreich und konnte die Tänzer fast geschlossen überzeugen. Und ich bin davon überzeugt, dass im Endeffekt die Tänzer des Staatsballetts Berlin sich in der GDBA ebenso besser verstanden fühlen würden, wenn sie denn unserer komplizierten Sprache mächtig wären ...

Während der gesamten Zeit am Theater hatte ich nie ein Problem mit der Gewerkschaft weder als Tänzer noch in leitender Funktion und habe mir immer Rat dort geholt, obwohl ich nie Mitglied geworden bin. Aus Prinzip, denn in Kanada musste ich, dort ist es wie auch in den USA Voraussetzung, um die „Green Card“ zu erhalten, ein Equity-Mitglied sein! Ich bin immer für die freie Willensbildung und mag auch nicht, wenn eine Gewerkschaft sich zum Arbeits-Verhinderer entwickelt. Unsere Zeit als Tänzer ist so kurz, wir wollen und sollten sie nutzen so lange Kraft und jugendliche Vitalität im Überschwang vorhanden sind, sonst hätten wir etwas falsch gemacht und den falschen Beruf gewählt.

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