„Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss, ca 1964/65: v.r.n.l Günter Pick, Hiltrud Blank,  Ulrich Roehm, Pina Bausch, hinten Jean Cébron als Tod

„Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss, ca 1964/65: v.r.n.l Günter Pick, Hiltrud Blank, Ulrich Roehm,Pina Bausch, hinten Jean Cébron als Tod

25 Jahre BR.D.DR

Pick bloggt über seine persönlichen Erfahrungen zu Zeiten der Mauer und darüber, wie Tanz Grenzen überwindet und verbindet.

Der Osten Deutschlands hat auf mich immer einen besonderen Reiz ausgeübt, seit ich mit dem Folkwang-Ballett – so nannte sich das spätere Folkwang Tanzstudio – als erstes Westensemble in die DDR eingeladen wurde. 1963 hatte ich das Vergnügen als Gegenüber von Pina im „Grünen Tisch“ zu tanzen.

München, 03/10/2015

Dass wir schon 25 Jahre in einem geeinten Deutschland hinter uns haben, kommt mir erschreckend vor, denn es scheint mir, als sei es gestern gewesen, dass die Menschen im Osten vor den Grenzübergängen das forderten, was kurz vorher im DDR-Fernsehen als sofortige Reisefreiheit verkündet worden war, aber niemand es so recht glauben wollte, ehe man nicht einen Fuß in den Westen Berlins gesetzt hatte.

Der Osten Deutschlands hat auf mich immer einen besonderen Reiz ausgeübt, seit ich mit dem Folkwang-Ballett – so nannte sich das spätere Folkwang Tanzstudio – als erstes Westensemble in die DDR eingeladen wurde. Ich war Ende 1963 ja noch weit entfernt davon, ein fertiger Tänzer zu sein, aber da im „Grünen Tisch“ ein Soldat und „Schwarzer Herr“ fehlte – so nannte man die Diplomaten in der Tischszene – hatte ich das Vergnügen als Gegenüber von Pina mit Händen und Füßen mit ihr zu argumentieren.

Wir tanzten in der Volksbühne in Berlin, in Schwerin, Dresden im Großen Schauspielhaus, das auch die Oper beherbergte, in Leipzig im Konzerthaus und in Gera im Stadttheater, wo eine Garderobiere so nebenbei bemerkte: „och gomm´se doch öfter mol, da werd wänichtsdens mol rischtisch geheizt“. Wir wurden überall mit Obst verwöhnt und die Ensembles legten uns kleine Geschenke in die Garderoben. Nach der Vorstellung gab es unvorstellbare Ovationen, die ich weniger als Dank an uns betrachtete, sondern als eine Demonstration der Freude darüber, dass ein Westensemble mit diesem Antikriegsstück eingeladen worden war. Auch waren wir nach jeder Vorstellung zu einem Empfang gebeten, wo wir auch, zwar kontrollierte, Kontakte mit Tänzern hatten und natürlich die Stadtoberen sich offiziell freuten, Kurt Joos und uns begrüßen zu dürfen.

Bei dieser Gelegenheit lernte ich Claus Schulz kennen, den Starsolisten der Staatoper Berlin, der durch einen Zufall neben mir saß. Er hatte eine eigene Fernseh-Show und ich sah ihn später als Mercutio in „Romeo und Julia“. Ein außerordentlicher Tänzer, dem man sich nicht entziehen konnte, mit einer stupenden Technik und zugleich ein Komödiant, was nur Wenigen gegeben ist. Zu der Zeit war Lilo Gruber Chefin des Staatsopernballetts und sie lud uns zu einer „Probe“ im Ballettsaal ein; Schwanensee 2. Akt, was ich bis dahin nie so gut getanzt gesehen hatte.

Claus Schulz wurde kurz danach zum Nachfolger der Gruber und zum Ballettdirektor ernannt, ehe er sich wie Nurejew dazu entschloss bei einem Gastspiel im Westen zu bleiben. Leider mit weniger Erfolg, denn er war weit über den Zenit seines Könnens hinaus. Aber für seine ehemalige Kompanie hatte es schreckliche Konsequenzen: Sie durften lange nicht ins westliche Ausland und später nur, wenn man sich sicher war, dass niemand abspringen würde, was natürlich, wie mir Egon Bischoff, später ebenfalls Ballettchef der Staatsoper erzählte, auch zu Denunziationen führte. Und es gab sicher auch in den Ensembles IMs, wie in jedem Betrieb.

So, wie ich später erfuhr, als ich zum Sommerkurs in Dresden war, wo der Hausinspektor, oder wie er sich nannte, besonders freundlich zu mir war; was dazu führte, dass man mich warnte, er sei sicher ein IM der Stasi. Ansonsten habe ich nie etwas bemerkt. Die Leute – nicht nur die Tänzerkollegen, sondern allgemein – waren immer außerordentlich freundlich und das nicht, weil sie sich etwas davon erhofften. Die ganze Atmosphäre war wesentlich weniger eine Ellenbogengesellschaft als bei uns zu der Zeit schon. Natürlich war man damit beschäftigt, Dinge zu kaufen, die es nicht jeden Tag gab; man musste aufpassen und wenn man nicht selbst hinkonnte, schickte man einen Freund.

Ich hatte immer das Gefühl, dass man mit dem System ganz gut leben konnte, wenn man sich mit ihm arrangiert hatte; aber es ist auch nicht abzustreiten, dass die Reisenden aus dem Osten in den Bruderländern wie beispielsweise Bulgarien, wenn sie auf Westler trafen, sich als Deutsche zweiter Klasse fühlten. Sie hatten, wie sie es selbst nannten, nur ihr Spielgeld und keine harte DM und damit konnte man ja selbst in der DDR im Intershop Westwaren kaufen. Wenn ich gebeten wurde, habe ich gern was für Freunde besorgt, oft auch Jeans, oder habe etwas in dieser Richtung dagelassen, was ja nicht auffiel. Wenn man in Berlin für 25 DM die Eintrittskarte für die Hauptstadt der DDR gelöst, bzw. eins zu eins gewechselt hatte, war es nicht leicht das Geld auszugeben, denn Essengehen war spottbillig und gut. Man konnte nur Bücher oder Schallplatten mitnehmen. Aber dazu brauchte man Zeit.

Grita Krätke, eine der angesehensten Choreografinnen im Osten, hatte ich durch Kurt und Gisela Peters kennen gelernt, als wir mal zusammen in Berlin waren und Kurt sämtliche Antiquariate in Ost und West abklapperte. Grita bot mir an, ich könne überzähliges Geld bei ihr lassen und dann in Ruhe suchen, wenn ich mehr Zeit hätte. Wir Westler mussten ja bis 24 Uhr den Arbeiter- und Bauernstaat wieder verlassen. Grita hatte eine Wohnung in den Blocks hinter dem Metropol Theater (heute Admiralspalast), die im Auftrag von Wilhelm II. für Hofbeamte gebaut worden waren. Die Wohnung war für eine alleinstehende, privilegierte Künstlerin zu groß, daher war hinter der Etagentür noch ein gemeinsamer Flur; ansonsten hatte die Etage alles doppelt für beide Mieter.

Sie arbeitete damals als Choreografin an der Komischen Oper, wo Tom Schilling der Chef war und auch mit ihm war ich gut befreundet, als er noch sein Haus am Schneeglöckchenweg hatte. Nach der Wende kam er als Gast zu mir nach München, um seine „Abendlichen Tänze“ einzustudieren. Ich hatte das Stück beim Wettbewerb in Varna gesehen, wo es während der Jury-Sitzung gezeigt wurde. Von Tom gibt es so viele gute Stücke und es wäre eigentlich Zeit, dass ein Ensemble mit Hilfe des Tanzfonds Erbe davon etwas ausgräbt. Und wenn ich gerade an Varna denke, dort waren natürlich immer eine ganze Reihe von ostdeutschen Tänzern, alle aus der Staatlichen Ballettschule Berlin, die von Prof. Martin Puttke (bis zur Wende auch Ballettdirektor der Staatoper) für die Wettbewerbe fit gemacht wurden und nie ohne Medaillen nach Hause an die Lindenoper fahren mussten.

Als die Wende schon vollzogen war, besuchten wir, damit ist der Deutsche Ballettpädagogen-Verband gemeint, in Dresden ein großes Symposium. Wir bemühten uns quasi kurz vor zwölf noch, die besser gestellten Teile, wie die soziale Absicherung der Ost-Tänzer, auch für die West-Tänzer durchzuboxen. Leider blieben wir ohne Erfolg. Bei einer Busfahrt zum gemeinsamen Essen setzte sich ein Mann neben mich und meinte: „Ich kenne sie aus Varna, da saßen sie im weißen Anzug in der ersten Reihe und haben im Tanzarchiv auch geschrieben. Das durften wir lesen, denn Berufsliteratur stand nicht auf dem Index bei uns.“ Es war Fritz Rost, ein Lehrer an der Staatlichen Ballettschule, der gern als Gast-Trainer nach München eingeladen werden wollte; was wir dann auch beschlossen – für wenig Geld (wir waren ja so arm am Gärtnerplatz-Theater) und er wohnte bei mir zu Hause. Meine Tänzer liebten ihn und später engagierte ich seine Tochter nach München, da konnte er bei ihr wohnen. Beide sind später dann an die Palucca-Schule gegangen.

Ja, die Palucca-Schule haben wir anlässlich des Gastspiels mit Jooss in der DDR natürlich auch besucht und Palucca ließ es sich nicht nehmen, ihre Schule, die ja staatlich geworden war, von der besten Seite zu zeigen und uns zu beeindrucken, was durch eine Lehrprobe hundertprozentig gelang. Sie muss über 60 gewesen sein, aber die Verve und das Engagement macht ihr so leicht niemand nach – eine Ausnahmeerscheinung! So ist auch verständlich, dass aus dieser Schule richtig gute Choreografen hervorgegangen sind. Um nur einen in Vertretung der anderen zu nennen: Stefan Thoss. Er hat bei uns in Kiel, Hannover, Wiesbaden und demnächst Mannheim Karriere gemacht und damit schließt sich der Kreis.

Zwei Hälften sind wieder zusammengewachsen, die durch kriegerische Umstände getrennt wurden; sie haben sich wieder unter einem Dach friedlich eingefunden. Trotzdem: Es gibt sicher weiterhin vieles zu tun und ich will auch nicht behaupten, dass alles gut ist oder manches auf der einen wie der anderen Seite nicht besser hätte vor sich gehen können. Aber wir haben etwas geschafft, was in beiden Teilen nach fast vierzig Jahren für undenkbar gehalten worden war … und doch ist es Wirklichkeit geworden!

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