„On Fire“

„On Fire“

Zusammenprall der Kulturen

Zur Europapremiere von „On Fire - The Invention of Tradition“ im Maxim Gorki Theater, Berlin

Hinterfragen und dekonstruieren: Constanza Macras' raffiniertes Spiel mit postkolonialen Bildern

Berlin, 02/10/2015

Furios und voller Energie attackieren die zwölf Tänzer und Performer von DorkyPark Berlin und Dance Umbrella South Africa in „On Fire“ tradierte Vorstellungen vom weißen und vom schwarzen Mann. In neunzig pausenlosen Minuten konterkarieren sie tanzend, spielend, singend überaus lustvoll und unkonventionell die über Jahrhunderte gegenseitig angehäuften Stereotypen. Die argentinische Choreografin, Regisseurin und Kostümbildnerin Constanza Macras wagt sich in ihrer neuen Arbeit an die „künstlerische Dekonstruktion kolonialer und patriarchaler Bilder des Anderen in post-Apartheid Zeiten“. Die Uraufführung von „On Fire“ fand am Februar 2015 in Johannesburg/Südafrika statt; jetzt erlebte die Show im koproduzierenden Maxim Gorki Theater Berlin ihre umjubelte Europapremiere. Die polyphone Bildfolge wird hier mit anderen Erfahrungen rezipiert: mit unserer Fremdheit, unseren Klischees, unserem Unwissen.

Constanza Macras und Dramaturgin Carmen Mehnert entwickelten zusammen mit dem vielseitigen Darstellerensemble kontrastierende Szenen, die genreübergreifend Tanz, Foto, Film, Musik sowie Text im Zusammenprall montieren. Historische Fotos von Ayana V. Jackson legen das Konstrukt „erfundener Traditionen“ bloß. Die Energie der Tanz- und Spielszenen ist hoch, ihre Geschwindigkeit überrollt jedoch den Zuschauer. Ahnenkult, Versöhnungskommission, Werteverfall und Identitätssuche werden nur als narrative Spuren angerissen.

Anfangs greift ein Schwarzer auf der Diagonale mechanisch in den Raum, langsam wiederholt er die Bewegungsfolgen, dann tritt ein Weißer in seinen Weg. Wie zwei Roboter heben, senken sie gegenseitig ihre Arme, Hände. Für einen Moment verhaken sich ihre Füße, ihre Oberkörper beben gegeneinander, langsam umkreisen sie sich. Auf Krücken steht ein Mann real auf der Bühne und zugleich in einer wüsten Landschaft vor Überlandleitungen (Film), bis ein Südafrikaner in roten Leggins und Butterfly-Shirt zum a-cappella-Gesang der Frauen wie ein Feuergeist über die Szene wirbelt. In ambivalenten Gruppentänzen ist das Motiv der schwankenden Erde und ihrer Bewohner am stärksten erlebbar: die Performer kicken einander die Beine weg, keiner kann ohne die Hilfe eines anderen stehen, noch gleichen sie wechselseitig taumelnden Puppen. Junge Männer, die einander ab- und aufrichten, zu Fall bringen und einander tragen, die sich prügeln, und im physischen Tanzwettstreit auspowern. In aberwitzigen Dialogen stellt sich die Crew einer südafrikanischen Soap Opera vor, die besser sein will als „Downton Abbey“. Fernanda Farah brilliert als Musikerin wie als Showmasterin und Mpotseng Nhlapo fasziniert als Tänzerin wie als Mythenerzählerin von der Urmutter Ma.

„Wir sollten es den Europäern überlassen, mit ihren Verblödungen fertig zu werden. Wir sollten nicht vergessen, was wir über uns selbst zu sagen haben“ appelliert ein Schwarzer. Grausam verzerrt erklingt eine alte Opernaufnahme, lädiert sind die Tennisschläger, unter korrekten Anzügen blitzen afrikanische Stoffe hervor. In Frage und Antwort von Individuum und Gruppe tanzt das Ensemble kraftvoll zum Zuschauer, bis auch der spastisch eingezwängte „Weiße“ seine Arme frei bewegt. Unterhalten sich zwei Schwarze: „Mir ist aufgefallen, wie Europäer tanzen: Die Musik powert, doch sie halten die Arme still und sagen immer nur ah, ah.“ Macras und ihr Team laden ein zum Perspektivwechsel.

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