NÓTT von und mit Lada Petrovski Ternovšek
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Unsicheres Terrain

Selbstbewusst subjektiv: Das Off-Europa-Festival am Lofft in Leipzig

Das Off-Europa-Festival hat auch mit seinem diesjährigen Blick auf Kroatien seine Ausnahmestellung manifestiert.

Leipzig, 29/09/2015

Zum Schluss gab es einen rührenden Moment. Es ist der Freitag im Lofft. Eben ging die zweistündige Inszenierung „Das ist (nicht) mein Wald“ und mit ihr das diesjährige Off-Europa-Festival in Leipzig mit langem Applaus zu Ende, als der Schauspieler Darko Japelj nochmal das Wort ergreift. Und es direkt an Festivalchef Knut Geißler richtet. Der nämlich habe unbedingt zum Off-Europa dieses Stück, das doch schon Jahre alt, oft aufgeführt und längst abgespielt war, sehen wollen. Womit sich dessen Neuaufnahme auch Geißlers Insistieren verdanke. Dafür sei man jetzt sehr dankbar.

Nur eine kleine Episode. Aber sie erzählt mehr über das Wesen des Festivals, als Kritiken oder Zuschauerstatistiken. Und auch wenn derlei Parameter natürlich nicht ignoriert werden, manifestierte Off-Europa auch dieses Jahr wieder jene Ausnahmestellung unter einschlägigen Festivals, die sich eben vor allem dem selbstbewusst subjektiven Blick des Kurators verdankt: „Für mich“, so Geißler, „haben Genres und ihre Grenzen keine Bedeutung, ich suche nach besonderer, hier abbildbarer Qualität.“ Und: „Ein Publikum, das sich auf dem üblichen Marketing-Weg ohnehin kaum noch erreichen lässt, wird nicht alles so inspirierend und wertvoll finden, wie ich das tue. Muss es auch gar nicht. Die Kunstwerke sind, wie sie sind.“

Gilt auch für die „Choreographic Fantasy No. 1“. Die zeigt fünf junge Tänzerinnen in einer Reihung choreografischer Fragmente zum ebenfalls fragmentalen Klang elektronischen Brummelns und Grummelns (Sound: Miroslav Piškulić). Dass sich nun die Undarstellbarkeit des Unendlichen im komprimierten Unvollendeten, dem Fragment eben, anzudeuten vermag, ist seit der Romantik ein ästhetischer Topos, der gerade auch im Tanz faszinierende Wirkung entfalten kann. Wenn man denn dem Fragment das Fragmentarische lässt.

Choreografin Marjana Krajač macht genau das nicht. Oder genauer gesagt: sie macht es nicht rigoros genug. In Einzelszenen - im Fragment! - zeigt ihre Arbeit Gelungenes. Die schlafwandlerischen Gänge der Tänzerinnen, ihr „Kollidieren“ miteinander, das sich an den Händen haltende Kreisen bis zum Schwindligwerden. Allerdings unterliegt all das einem Dramaturgie-Bogen, der die Tänzerinnen erst von Bewegungen am Boden in die Vertikal-Choreografie hebt. Um sie final in einem Verwehen zum Klang von (wer hätte es gedacht?) Gewittersturm samt Stroboskopblitzen zu inszenieren. Die Freiheit des Fragmentarischen als komprimiert Unvollendetes - es verkrümmt sich, um nicht trivialisiert zu sagen, so zum allegorisch regenrauschenden Deutungsangebot um Erstehen und Vergehen.

Aber Kunstwerke sind wie sie sind. Und „Das ist (nicht) mein Wald“ ist wunderbar. Arbeiten Pina Bauschs lieferten die Inspirationsimpulse für diesen in „Oper“ und „Performance“ gesplitteten Zweiteiler, der wirkt wie die Überwucherung einer akkurat schönen Parkanlage mit irritierend unmittelbarer Urwald-Wildheit. Zu Monteverdis „L´Orfeo“ erscheinen Tänzerin Silvia Marchig und Schauspieler Darko Japelj. Letzterer verschnürt in Plastik, ein nach Luft hechelndes Tierwesen oder Menschding, das Marchig aus seiner seltsamen Plazenta befreien wird. Eine Geburtshilfe in gefährlicher Ruhe und mit gefährlich großer Schere, die die Tänzerin wiederum gefährlich im eigenen Haar stecken hat. Schon hier zeichnet es sich ab: das Überwuchern des akkurat Schönen (Pina Bausch, Claudio Monteverdi) mit dem Garstigen, Grausamen. Das aber zugleich - und das ist wichtig - in einem Habitus des Witzigen und Poetischen geschützt bleibt.

Was für ein Wald! Ein Refugium der ins Absurde ritualisierten Begehrlichkeiten. Ein Bestiarium aus Liebe, Demütigung, Tod. Es gibt grüne Telefone mit Verbindung ins Jenseits. Eine Kapuze mit Fellbesatz und ein Hackklotz mit Beil für die wölfischen Momente. Es gibt Beinrasuren und Standardtänze. Den Versuch des Mannes, die Frau aus einer Versenkung in Agonie zu befreien. Den Versuch der Frau, den Mann mit Äpfeln und Zitronen zu füttern. Und es gibt Szenen, in denen sich Empfindungen (oder die Gesten für bestimmte Empfindungen), die Zuordnungen für Demütigung, Zärtlichkeit, Stärke, Schwäche zu negieren, ins Gegenteil und wieder zurück zu transformieren scheinen.

Feste Wege der Deutung gibt es nicht durch dieses Terrain. Wohl aber Orientierungspunkte. Die aber klugerweise erst im zweiten Stückteil (Dramaturgie: Nataša Govedić) aufleuchten. Wenn auch eher, wie Glühwürmchen im Waldesdunkel. Und auf sicheres Terrain führen die bekanntlich eher selten.
Aber für Spaziergänge auf sicherem Terrain ist Theater auch nicht zuständig. Schon gar nicht bei diesem Festival. Im nächsten Jahr wird es seinen Blick nach Finnland richten.

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