Workshop von Kristina und Sadé Alleyne
Workshop von Kristina und Sadé Alleyne

Wien ist immer eine Reise wert

Pick bloggt über seine Eindrücke aus einigen Workshops und Vorstellungen bei ImPulsTanz

In Wien fanden jeden Abend vier Wochen lang an den unterschiedlichsten Standorten Tanzvorstellungen der Avantgarde statt. Wenn man süchtig ist, oder es werden will, ist das sicher der beste Ort dafür, denn man muss nie zur Ruhe kommen.

Wien, 17/08/2015

Wien ist immer eine Reise wert und meine schönsten Erinnerungen an diese aus vielen Gründen merkwürdige Stadt hatten natürlich auch mit Besuchen in der Staatsoper tun. Aus der Zeit, als Dr. Brunner Ballettdirektor des Staatsopernballetts war, ist mir besonders die Premiere von John Neumeiers Josephslegende in Erinnerung. Unvergleichlich und unvergesslich Kevin Haigen und Judith Jamison in den Hauptrollen. Oder „Vier letzte Lieder“ in einer adäquaten Choreografie von Rudi van Dantzig, bei der mich am meisten die Sopranistin Gundula Janowitz berührte, die diese späte Komposition von Richard Strauß live sang.

Diesmal war ich aber nicht für Ballett sondern für zeitgenössischen Tanz dort, und zwar, als es so heiß war, dass der Asphalt schmolz, und war froh, dass ich nicht in der Stadtmitte sein musste, sondern da, wo während der Spielzeit in den Werkstätten der Wiener Theater die Bühnenbilder gebaut werden, nämlich in riesigen Studios, sonst Malersaal, Schlosserei, Tischlerei usw. Ich bin hingefahren, um endlich mal bei „ImPulsTanz“ vorbeizuschauen, das sich seit 1984 auf die Fahnen geschrieben hat, etwas für den zeitgenössischen, vielfach auch nackten Tanz, wie die geschmackvollen Plakate suggerieren, zu tun. Das Ganze hat mich persönlich an die Anfänge des zeitgenössischen Tanzes im deutschsprachigen Raum, an die inzwischen fast legendäre Sommerakademie des Tanzes in Köln erinnert.

Die Studios beim Stadion und der Sporthochschule, die Kantine in einem Zelt dazwischen. Mit dem Unterschied, dass sich in Wien noch weniger Profis als in Köln tummeln in den noch größeren und zahlreicheren Studios, was allerdings durchaus absichtsvoll auch für Laien so beworben wird. Und die Woche des modernen Tanzes, die mit der Sommerakademie unterging, existierte sowieso nur viel kürzer und war im Vergleich zu diesem Wiener Festival ein Klacks. Denn in der österreichischen Theaterhauptstadt finden jeden Abend vier Wochen lang an den unterschiedlichsten Standorten Tanzvorstellungen der Avantgarde statt. Wenn man süchtig ist, oder es werden will, ist das sicher der beste Ort dafür, denn man muss nie zur Ruhe kommen.

In vielen Studios habe ich vorbeigeschaut, wie mehr oder weniger dilettantisch improvisiert, Yoga geatmet wurde und habe auch manches gesehen, das auch therapeutische Wurzeln zu haben schien. Es wurde aber auch wirklich bis auf die Knochen Modern mit Anklängen aus den verschiedensten Techniken geschwitzt und gearbeitet, z. B. bei den beiden mitreißenden schwarzen Britinnen Kristina und Sadé Alleyne, in deren Workshops es so manches Tanztalent zu entdecken gab. Es war, glaube ich, eine Gruppe Brasilianer zugegen – und wie man weiß, wird denen ja der Tanz und das Talent, Fußball zu spielen, in die Wiege gelegt.

Zwei Vorstellungen habe ich gesehen, nämlich den Abschlussabend der Absolventen des Konservatoriums mit einer Choreografie der Ikone des amerikanischen Tanzes der 1970er Jahre, Trisha Brown , die so herrlich dilettantisch anzusehen war, dass ich mich schon fragte, was die jungen Leute denn fürs Theater wohl mitbekommen hätten, falls sie denn dahin wollten. Nun, die Antwort kam postwendend, die Studenten haben doch gelernt, die Beine und Füße zu strecken und trotzdem so zu tun, als seien sie gerade von der Straße hereingekommen und hätten diese simplen Schritte im Vorbeigehen gelernt, wobei in der Vorstellung dann immerfort die seitlichen Schals mitgenommen oder weggestoßen wurden. Gut gebrüllt Löwe und wie gesagt in Liz King‘s Paraphrase zum „Schwanensee“ nutzten die Absolventen die Gelegenheit und zogen alle Register ihres technischen Könnens, um nach der zweiten Pause dem Gegenteil in Doris Uhlig „More Than Enough“, diesem choreografischen Nichts, alle Ehre zu erweisen für ein erstaunlich geduldiges Wiener Publikum.

Der zweite Abend, den ich sah, war eine Performance, was mich leider immer von vornherein skeptisch stimmt, aber diesmal wurde es durchaus ein nicht langweiliger Abend, denn zu dem Titel „Little Stories About S.O.S.: Signs Of Solidarity / Group Version“ waren der Choreografin Akemi Takeya viele unterschiedlichste Szenen eingefallen, die immer diese Anfangsbuchstaben S.O.S als Titel hatten. Das war jeweils in dreißig Sekunden abzuhandeln, von vier Interpreten mit Sprache, Spiel und auch Tanz – mehr oder weniger witzig oder auch an den Haaren herbeigezogen, wenn sich alle splitternackt ausziehen, um sich für ein ziemlich endloses Finale wieder anzuziehen. Man spielt Sich-Erschießen. Es artet aus, endlos und noch naiver, als Kinder das tun. Leider schert die Choreografin vor dem Ende aus diesem Raster der dreißig Sekunden aus und auch die wertvollen Symbole, die auf der Rückwand jede Szene um das, was sich vorn abspielt, ergänzen, helfen nun nicht mehr. Schade für den im Ansatz so schönen Abend.

Ich bedaure, dass ich den Solo-Abend „SunBengSitting“ von Simon Mayer nicht mehr sehen konnte, den mir der Freund, der mich nach Wien eingeladen hatte, in glühenden Farben per Email geschildert hatte, aber ich habe mir seinen Auftritt in Brüssel schon mal vorgemerkt, denn auch Brüssel ist eine Reise wert!

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