WA von „Dornröschen“ von Marcia Haydee

WA von „Dornröschen“ von Marcia Haydee 

Stuttgart im Sommer-Ballettfieber

Pick bloggt über „Dornröschen“ vom Stuttgarter Ballett und die Schulaufführung der John Cranko Schule

Geschickterweise gab es Gelegenheit die Cranko-Schulaufführung und „Dornröschen“ vom Stuttgarter Ballett an einem Tag zu besuchen, drei Tage vor Ende der Spielzeit.

Stuttgart, 06/08/2015

Geschickter Weise gab es Gelegenheit die Cranko-Schulaufführung und „Dornröschen“ vom Stuttgarter Ballett an einem Tag zu besuchen, drei Tage vor Ende der Spielzeit. Für mich ist diese herrliche Choreografie von Marcia Haydee und Jürgen Rose immer noch die schönste, die ich kenne und ich glaube sie war das Ergebnis Marcias glücklichster Zeit als Ballettdirektorin in Stuttgart. Sie war selbst anwesend in dieser Sonntagsvorstellung, der vierten seit der Wiederaufnahme nach ungefähr zehn Jahren Pause in fast komplett neuer Besetzung.

Ich könnte mich nun ergehen im Rückblick auf ich weiß nicht wie viele Besetzungen im Vergleich. Ich werde es nicht tun, so immens gut ich sie auch in Erinnerung habe. Nur einen habe ich schmerzlich vermisst: Und das ist Ricky Cragun in seiner wohl einzigen ihm auf den Leib choreografierten Charakterrolle als Böse Fee mit seiner wuchtigen alles beherrschenden Präsenz, die er auch hatte, wenn er nur bewegungslos an der Seite stand. Ein Jahrhundert-Tänzer, der unvergessen ist.

Die Principles dieser Wiederaufnahme, der in Kürze schwer zu beschreibenden Vorstellung, waren Alicia Amatriain, eine Ballerina, die in die Reihe der ganz Großen hineingewachsen ist, seitdem sie ungläubig den Tanzpreis Zukunft entgegennahm. Sie gehört in die Reihe derer, wie Yvette Chauviré, Noella Pontois, Carla Fracci, Margot Fonteyn oder Natalia Makarowa.

Makarowa habe ich nie in dieser Rolle gesehen, aber in London, wo es eine Serie von Galas um Dame Fonteyn in der Royal Festival Hall gab; tanzte sie unter anderem die Variation aus Don Q. derartig überirdisch, dass ich dachte, das kann sie nicht jeden Tag! Am nächsten Abend, nach der Pause gelang es mir einen Platz zu erschleichen und bei der großen Diagonale mit Relevé, Relevé, Balance, Ronds de jambe kam sie nach der Hälfte aus dem eisernen Rhythmus und mogelte sich durch den Rest. Sicher war sie nicht glücklich darüber, aber ich war es, weil ich erleben durfte, dass auch die Tanzgötter aus der UdSSR fehlbar sind, nicht nur Fonteyn.

Im Übrigen scheint mir, dass Alicia auch eher auf die lyrische Seite gehört, nicht für die auftrumpfenden Glanz-und-Gloria-Rollen des Herrn Petipa. Und siehe da, sie zeigt Nerven in diesem Rosenadagio, bei dem sie jedem Prinzen eine Chance gibt mit ihr noch eine Balance, Promenade und Pirouette zu drehen, obwohl sie gar nicht an den Angebern interessiert ist. Glücklicherweise darf sie dann 100 Jahre schlafen, um von dem wahren und einzigen Prinzen, den wir in Deutschland haben, um den uns aber alle beneiden, nämlich Friedemann Vogel wach geküsst zu werden. Ihn möchte ich gern mit Erik Bruhn vergleichen oder Henning Kronstam oder dem dritten Dänen-Prinzen Peter Martens, der allerdings so aussah, aber lieber beim New York City Ballet, wo es fast keine Royals gibt, glücklich wurde. Wie selbstverständlich und ohne Aufhebens führt Friedemann, wie es sich für Prinzen gehört, die Kunststücke, die die Choreografie ihm abverlangt, aus. Aber in erster Linie gehört diesem göttlichen Wesen seine ganze Aufmerksamkeit, sobald die Gute Fee (ausnehmend ideal besetzt mit Myriam Simon) ihn durch die undurchdringliche Dornenhecke auf die schlafende Schöne aufmerksam macht. Auf ihn kann sich dieses Dornröschen verlassen, er wird für sie da sein, sie nach Hause und durchs Leben tragen. Schöner kann man auch als Publikum nicht durch ein Märchen geführt werden.

Schon bei der Premiere hatte ich mir gewünscht, dass man das Divertissement im letzten Akt zusammenstreicht bis auf den „Blaue Vogel-Pas de deux“, nun edel getanzt von Hyo-Jung Kang und Alexander Jones, wenn er auch nicht besonders hoch fliegt. Die Edelsteine, deren männlicher Saphir, Rachele Buriassi besonders geschliffen glänzte, und auch Carabosse (eine Sympathie-Träger-Rolle durch Robert Robinson) bekamen besonders großen Applaus.

Ich weiß nicht, wie viele Menschen am Vorabend Elisa Badenes und Daniel Camargo (beide Tanzpreis-Zukunft-Preisträger) bei strahlendem Wetter gratis bei „Ballett im Park“ durch die Übertragung aus dem Opernhaus in den Hauptrollen gesehen haben. Die beiden sind nun auch im Prinzen- und Ballerinenhimmel angekommen und konnten durch diese einmalige Einrichtung des Ballett-Gratiskinos in Deutschland ein breites Publikum von ihrem Können überzeugen, wie mir Hartmut Regitz berichtete, den ich vor der Matinee am Sonntag vor der Oper traf.

Vielleicht hängt mit dieser Popularität auch zusammen, dass aus der Absolventenklasse mehr junge Männer sich für ein Engagement im Stuttgarter Ballett präsentieren konnten, als junge Damen. Immerhin haben es sieben geschafft, was ich als besonders lobenswert erwähnen möchte, denn wofür hat Cranko ein solches Nachwuchszentrum gegründet und Reid Andersen sich mit voller Vehemenz dafür eingesetzt hat, dass Stadt und Staat nun doch für ein neues Gebäude schon mal den Grundstein gelegt haben, wenn für die jungen Leute nach Abschluss dieses Studiengangs kein Platz für sie zu finden wäre.

Ein buntes Programm hat Tadeusz Matacz zusammengestellt und choreografieren lassen, in dem so ziemlich alle Altersstufen ihre tänzerische und auch künstlerische Entwicklung unter Beweis stellen können. Es gab einige Soli, bei denen mir schien, dass sie für Wettbewerbe einstudiert waren und daher künstlerisch eher fragwürdig sind. Aber es zeigt sich bei Uwe Scholz „Notations I-IV“, dass doch beides unter einen Hut zu bringen ist, vor allem, wenn es so gut getanzt und interpretiert wird, wie von Adhonay Soares da Silva (gecoached von Sarah Abendrot). Adhonay Soares da Silva ist ein ganz anderer Typ als Vladimir Malakhov, für den Uwe es erdacht hat, aber er wird, wenn er reifer ist, mit diesem Stück hoffentlich nach Essen eingeladen, um sich für den Tanzpreis Zukunft zu bewerben.

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