„Last Work“ von Ohad Naharin

„Last Work“ von Ohad Naharin

Innere Bedrohung

Batsheva Dance Company mit der Europapremiere von „Last Work“

Das Internationale Tanzfestival Dresden zeigt eine nachdenkliche Arbeit Ohad Naharins.

Dresden, 23/06/2015

Hellerau, Europäisches Zentrum der Künste Dresden, ist erneut Gastgeber der Batsheva Dance Company aus Tel Aviv. Deren künstlerischer Leiter Ohad Naharin gilt seit Jahren als Ausnahmetalent. Seine neueste Arbeit „Last Work“ fällt erstaunlich reduziert aus. Aus gutem Grund.

Es ist nicht nur die Vereinzelung der Tänzer, die hier ins Auge fällt. Selbst Ensembleszenen bilden bewusst keine Einheit. Und alles in schwerwiegender Langsamkeit. Den Fokus stellt über die gesamte Länge des Stückes eine Tänzerin dar, die, abgegrenzt im Hintergrund, in einem stahlblauen Kleid auf einem Laufband unermüdlich auf der Stelle läuft. Allein dieses Bild bietet Raum für Spekulationen. Ohad Naharin geht es dabei vor allem um die Spannung, die zwischen der Läuferin und dem Rest der Tänzer entsteht: „Ob sie nirgendwohin läuft? Das Entscheidende ist, dass sie läuft. Das Wie, nicht das Was, ist wichtiger als die Idee selbst.“ Im Verlauf des Stücks wird sie zur Mahnerin, die gleichzeitig sowohl vor einer Bedrohung zu fliehen als auch verzweifelt einem rettenden Ziel entgegenzueilen scheint.

Bedrohung und Hilflosigkeit sind in dieser Arbeit die zentralen Elemente. Es ist eine Art Forsythe‘sche „Yes, we can't“-Stimmung, allerdings ohne deren positivistischem Impetus. Naharin lässt seine Virtuosität hier außen vor. Zwar hat man noch immer die typischen Batsheva-Momente höchster Präzision, aber das Vokabular der Tänzer ist stark reduziert. Dem verhaltenen, langsamen Beginn folgen nur Versuche des Ausdrucks, die allerdings absichtlich im Ansatz stecken bleiben. Irgendetwas scheint nicht mehr zu funktionieren. Die Tänzer liegen am Boden, Arme und Beine in der Luft, wie Käfer, oder schauen ausdruckslos ins Publikum. Kurze Bewegungen werden rhythmisch wiederholt, als wäre das Uhrwerk an einer Stelle hängen geblieben. So groß auch der Nachdruck und die Kraft in diesen Bewegungen sind, kommen sie trotzdem nicht über ein inneres Hindernis hinaus. Scheinbar mit Bedeutung aufgeladene, kleine Gesten, wie sie für Naharins Arbeiten typisch sind, wirken hier teilweise unheimlich. Direkt daneben steht stille Verzweiflung. Die innere Bedrohung scheint real.

Zwischendurch wird immer wieder ein kurzer Moment des Trostes gesucht, wenn sich die Tänzer zu rumänischen Schlafliedern in der Gruppe zusammenfinden. Wirkliches Miteinander bleibt aber aus. Auch der Versuch, die Tänzer mittels Klebeband miteinander zu verbinden, muss scheitern. Fixiert in diesem Netz, in dem sie die Knotenpunkte bilden, sind sie bewegungsunfähig. Paradoxerweise bilden die Tänzer allein in dieser gemeinsamen Unfähigkeit eine Einheit.

Zwei Bilder sind es, die das Ganze aus der reinen Reflexion herausheben: Das fanatische Polieren eines Gewehrs, das in sexuelle Erregung umzukippen droht und das Schwingen einer weißen Fahne, das ohne Reaktion, ohne Veränderung bleibt. Deshalb kann es am Ende nur die Läuferin im Hintergrund sein, der die Fahne in die Hand gedrückt wird. Da sie sich aber nicht von der Stelle bewegt, kann sich die Fahne nicht im Wind bewegen. Also hält ein Tänzer das Tuch, um den Effekt anzudeuten. Noch mehr Hilflosigkeit geht wohl kaum.

Ohad Naharins Arbeiten werden immer wieder starke politische Implikationen unterstellt, wobei er sich selbst weniger gern darüber äußert. Auch in Bezug auf „Last Work“ ist davon keine Rede. „Das Publikum soll eine Verbindung zu den eigenen Empfindungen und Wahrnehmungen aufbauen. Das Stück an sich handelt nur von sich selbst“, so Naharin. Seinen Worten zufolge müsse man ja auch nichts über ein Parfum wissen, bevor man es riecht.

Um an diesen Punkt zu gelangen, braucht es auch den kreativen Einfluss der Tänzer. „Wir diskutieren nie über unsere Arbeit. Wir schwatzen und tratschen eher.“ Naharin verwendet dabei den englischen Begriff „gossip“. „Wir suchen immer die Verbindung zueinander in einer Art unterbewusstem Lagerraum.“
Spricht man ihn aber auf die Wahl des Titels an, wird er doch erstaunlich deutlich. „Man weiß ja nie, was kommt. Die Situation in Israel wird immer schwieriger. Am Ende ist das tatsächlich meine letzte Arbeit.“ Angesichts solcher Worte möchte man sich das Stück fast noch ein zweites Mal anschauen.

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