„Debüt“ am Hamburg Ballett:  Silvia Azzoni als Romola und Aleix Martinez als Vaslaw Nijinsky in „Nijinsky“

„Debüt“ am Hamburg Ballett: Silvia Azzoni als Romola und Aleix Martinez als Vaslaw Nijinsky in „Nijinsky“

Kleine Gala – ganz groß

Die Ballettwerkstatt geriet unversehens zu einer Mini-Gala der Sonderklasse

Angesichts des Pensums, das John Neumeier seiner Kompanie alljährlich so auferlegt, war es schon ein kleines Wunder, mit welchem Programm die diesjährige Ballettwerkstatt „Debut“ am Hamburg Ballett aufwartete.

Hamburg, 02/06/2015

Angesichts des Pensums, das John Neumeier seiner Kompanie alljährlich so auferlegt (in dieser Spielzeit sieben Gastspiele in aller Welt mit 20 Vorstellungen sowie weitere 90 Vorstellungen in der Hamburgischen Staatsoper), war es schon ein kleines Wunder, mit welchem Programm die diesjährige Ballettwerkstatt „Debut“ aufwartete. 18 Programmpunkte umfasste die Matinée am vergangenen Sonntagvormittag – und wie immer bot sie vor allem den Gruppentänzerinnen und -tänzern die Möglichkeit, sich in Rollen zu präsentieren, von denen sie sonst nur träumen können. Eine schöne Tradition: Einmal im Jahr darf jedeR TänzerIn dem Ballettdirektor einen Zettel auf den Schreibtisch legen. Darauf steht, welche Rolle er oder sie bei dieser Debut-Werkstatt gerne tanzen möchte. Beschränkungen gibt es dabei keine. Auch der Choreograf wird nicht vorgeschrieben, aber natürlich dominieren die Werke John Neumeiers. Umgekehrt kann auch er selbst sich wünschen, seine SolistInnen oder GruppentänzerInnen in bestimmten Rollen zu sehen, die sie bisher noch nie getanzt haben. Einstudiert wird das ganze neben der übrigen Proben- und Aufführungsarbeit – bei der Fülle der Aufgaben wahrlich eine Herausforderung, auch für die BallettmeisterInnen.

Und da die Hamburger TänzerInnen sich nicht lumpen lassen, wenn es darum geht, den Anspruch an sich selbst hochzuschrauben, geriet diese Werkstatt auch dank der ausgebufften Zusammenstellung unversehens zu einer kleinen Gala – auf höchstem Niveau.

Schon der Auftakt gelang ebenso berührend wie begeisternd: Sasha Riva und Miljana Vracaric als Nina und Kostja aus „Die Möwe“. Wie schön wäre es, diese beiden einmal im ganzen Stück zu sehen – Sasha Riva gab seinem Kostja genau die richtige Dosis an Melancholie und Künstlertum, Miljana Vracaric ihrer Nina allen Charme und Liebreiz, aber auch Naivität und eine Prise Arroganz – eine schwierige Kombination, wunderbar in einer Person vereint. Gleich danach Yun-Su Park und Lizhong Wang, die hochgewachsenen, wunderbar zueinander passenden Chinesen, im Pas de deux „Mascha entscheidet sich, Medwedenko zu heiraten“ aus dem gleichen Stück.

Es folgte eine „Etüde“ für drei Tänzerinnen (Emilie Mazon, Priscilla Tselikova, Kristina Borbelyova): der „Tanz der Cousinen“ aus „Romeo und Julia“. Emilie Mazon bestach hier einmal mehr durch ihre ausgeprägte Musikalität, die sie schon im April und Mai unter Beweis stellte, als sie erstmals die Hauptrolle in diesem Stück tanzen durfte – eine bezaubernde und technisch untadelige blutjunge Julia an der Seite des ebenso jugendlich-ungestümen Jacopo Belussi als Romeo. Beiden gelang es, nicht nur die Höhen dieses Stücks stürmisch zu erobern, sondern auch die Tiefen auszuloten. Das macht Appetit auf mehr.

Weiter ging’s mit einem Bravourstückchen: dem Pas de deux zwischen Audrey und Touchstone aus „Wie es Euch gefällt“, temporeich und mit viel Drive auf die Bühne gebracht von Ekaterina Mamrenko und Konstantin Tselikov. Das Kontrastprogramm dazu lieferten Jemina Bowring (Aspirantin) und Eliot Worrell (Gruppentänzer) mit einem tiefgründigen, elegischen Pas de deux aus „Nocturnes“ – sehr fein und voller Staunen dargebracht.

Danach zweimal der gleiche Pas de deux zwischen Hermia und Lysander aus „Ein Sommernachtstraum“, einmal mit Xue Lin und Jacopo Belussi, und einmal mit Yaiza Coll und Thomas Stuhrmann, die sich jeweils dieses Stück gewünscht hatten. Ein interessanter Vergleich: heiter-verspielt die einen, eine Spur sicherer, dynamischer und souveräner die anderen.

Ein Vorgriff auf die nächste Spielzeit dann der Pas de deux zwischen Cinderella und ihrem Vater aus „A Cinderella Story“, mit der es in der nächsten Spielzeit ein Wiedersehen geben wird. Hayley Page und Braulio Alvarez zeigten hier eine vielversprechende Option.

Und dann ein Knaller: Der Grand Pas de deux aus „Le Corsaire“ in der traditionellen Fassung von Marius Petipa, bekannt für seinen hohen Schwierigkeitsgrad, mit den Gruppentänzern Lucia Rios und Marcelino Libao. Die beiden hatten erkennbar Spaß und kosteten die zirzensischen Finessen voll aus – Marcelino Libao sprunggewaltig und mit hinreißender Allüre, Lucia Rios mit technischer Bravour und Freude am Detail. Das Publikum tobte vor Begeisterung!

Umso schwieriger der Sprung zu einem ganz anderen Stück: Luca-Andrea Tessarini hatte sich das schwierige Solo des Jago aus „Othello“ gewünscht, das in einen sadistischen Pas de deux mit seiner Frau Emilia mündet, die Winnie Dias verkörperte. Wie Tessarini hier aus dem Stand diese dämonische Bosheit des Jago entwickelte, diese Verschlagenheit und Gemeinheit, das war atemberaubend.

Nicht minder bewegend das schwierige Solo des Petrus aus der „Matthäus-Passion“, sehr überzeugend von Florian Pohl getanzt. Gefolgt vom Männer-Pas de deux aus der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“, in dem Karen Azatyan an der Seite des gewohnt souveränen Alexandre Riabko auf sympathische Weise zeigen konnte, dass er nun im Hamburg Ballett angekommen ist. Mayo Arii und Graeme Fuhrmann präsentierten danach ebenso berückend-anmutig wie kraftvoll-männlich eine kleine Preziose aus Neumeiers Schatzkästlein: Mahlers Lied „Liebst du um Schönheit“ aus „Um Mitternacht“.

Fast bei jeder „Debut“-Werkstatt gibt es irgendeinen Passus aus Neumeiers „Kameliendame“, diesmal war es das Solo des Gaston Rieux, das Matias Oberlin pfiffig hinlegte, vor allem aber der violette Pas de deux aus dem 1. Akt mit Carolina Agüero als Marguerite und Sascha Trusch als Armand. Es wurde die schönste Überraschung des Vormittags: Wie Carolina Agüero hier dieses namenlose, ungläubige Staunen über die Liebe entwickelte, die ihr von einem hinreißend stürmischen Sascha Trusch (für den es wohl keine Herausforderung gibt, die er nicht zu meistern wüsste) zu Füßen gelegt wird, das war große Kunst.

Und es folgten noch weitere Höhepunkte: das Multitalent Madoka Sugai mit einem überzeugenden Solo als Myrtha sowie Futaba Ishizaki als ätherische Giselle und Christopher Evans als Herzog Albert mit dem Pas de deux aus dem 2. Akt von „Giselle“ in der klassischen Version, die sie für den Erik-Bruhn-Wettbewerb in Toronto einstudiert hatten – beide technisch makellos und mit feinster Linie.

Zum Abschluss dann ein persönlicher Wunsch des Ballettdirektors: Er wollte Aleix Martinez als Vaslaw Nijinsky sehen, ausgerechnet in einem der schwierigsten Elemente, die dieses Werk zu bieten hat: dem „Schlitten-Pas de deux“, in dem Nijinsky an seinem verwirrten Geist zu zerbrechen droht. Aleix Martinez meisterte diese Aufgabe brillant und mit Gänsehaut-Faktor. Ihm zur Seite die bravouröse Silvia Azzoni als Romola – eine Meisterleistung für sich, hatte sie doch gerade am Vorabend erst die leider letzte Vorstellung von Crankos „Onegin“ bestritten, auch da mit der ihr eigenen Intensität, dieser Paarung von technischer Meisterschaft mit Herzensqualitäten, die den Tanz erst zum Leben zu erwecken vermögen.

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