Forsythes „Kammer/Kammer“ im Bockenheimer Depot Frankfurt a. M.

Forsythes „Kammer/Kammer“ im Bockenheimer Depot Frankfurt a. M.

Zum letzten Mal

Forsythes „Kammer/Kammer“ im Bockenheimer Depot

Dass es sich dabei um die Wiederaufnahmepremiere des im Dezember 2000 uraufgeführten Stücks handelt, war zweitrangig. Eine illustre Fan-Gemeinde fand sich zusammen, um zum letzten Mal einige der alten Protagonisten zu sehen.

Frankfurt a. M., 12/04/2015

Zum letzten Mal! Bill Forsythe in Frankfurt im Bockenheimer Depot. Mehr hätte es wohl nicht gebraucht, um die illustre Fan-Gemeinde zum Kommen zu bewegen. Dass es sich um die Wiederaufnahmepremiere des im Dezember 2000 uraufgeführten Stücks „Kammer/Kammer“ handelt, war dabei vermutlich zweitrangig. Interessierten war klar, dass zum letzten Mal einige der alten Protagonisten dabei sein würden, bevor künftige Wiederaufnahmen von Forsythe-Stücken unter Jacopo Godani mit einem erneuerten Team geprobt werden.

Genau genommen waren es auch diesmal gerade noch vier vom damaligen Ensemble. Vor allem die Hauptdarsteller Dana Caspersen als elegante Catherine Deneuve, Antony Rizzi als komischer Regisseur mit blauer Pudelmütze und Jone San Martin als Gegenpart „the Girl“ zu Caspersen/Deneuve sowie der deutlich ergraute Amancio Gonzalez. Dennoch hat das Management entschieden, die Fotos von 2000 herauszugeben und keine neuen machen zu lassen.

Eine wesentliche Änderung zu damals besteht in der Informationpolitik. Gehörte zum Forsythe'schen Gesamtkunstwerk immer die Verweigerung herkömmlicher Informationen zum Stück, so dass Publikum und Presse völlig auf eigenes Wissen und Phantasie angewiesen waren, gibt es dieses Mal zur großen Verblüffung eine Inhaltsgabe. Neben der bloßen Info „Texte von Person XY“ ist nun zu lesen: „Kammer/Kammer ist eine szenische Bearbeitung des Romans ‚Outline of My Lover’ von Douglas A. Martin und des Essays ‚Irony is Not Enough: Essay on my Life as Catherine Deneuve’ der preisgekrönten Dichterin und Akademikerin Anne Carson. Es zeigt die Entwicklung zweier Liebesbeziehungen durch ein dynamisch choreografiertes Szenen- und Videodesign im Rahmen einer Live-Aufnahme eines Films auf der Bühne. Tanzende Körper konfrontieren einander in dieser multiplen entgrenzten Landschaft, wenn Forsythe choreografische Erfindungsgabe mit seiner Vision des Theaters verknüpft.“ Damit lässt sich arbeiten, da kann man sich befreit auf's Bühnenarrangement einlassen und muss nicht verzweifelt um den Inhalt des textlastigen englischsprachigen Stücks ringen.

Man könnte als eigentliches Thema auch nennen: Unsere Wahrnehmung der Welt über die mediale Vermittlung. Realität geschieht nur noch mit Blick in die Kamera, aber nicht mehr im direkten Austausch mit Menschen; und wenn, dann nur in hysterischen Ausbrüchen. Analog dazu findet Tanz nur am Rande oder gleich ganz im Verbogenen statt. Da war Forsythe fast schon prophetisch. Bei der Allgegenwärtigkeit von Smartphones und Tablet-PCs, mit denen jeder überall seinen eigenen Film drehen und online stellen kann, ist das alltäglich geworden. Doch hat die Radikalität des Stücks auch an Brisanz verloren, erscheint die abendfüllende Länge von 1 Stunde 50 Minuten überzogen. 70 Minuten ohne Pause hätten auch gereicht, um alle menschlichen Zerbrechlichkeiten und visuellen Brüchigkeiten klar zu machen. Dank Antony Rizzis ernergiegeladener Komik ist das Stück unterhaltsam, erinnert er doch zuweilen an die selbstreflexiven Ausbrüche eines Woody Allen. Und Dana Caspersens Bühnenpräsenz und Textsicherheit ist beeindruckender denn je.

Noch zu erleben: 12., 13., 16., 17., 18., 19. April, 20 Uhr im Bockenheimer Depot, Frankfurt am Main

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