Der Breuer

Pick bloggt: Unter anderm über den diesjährigen Tanzpreisträger Peter Breuer

Früher, tatsächlich eine Weile vor meiner Zeit, war es keineswegs etwas Abwertendes, sondern ein Adelsprädikat, „Der Nijinski“ oder “Die Pawlowa“ zu sagen. Mit der Zeit aber empfand man das bei uns als wenig angebracht.

Essen, 07/04/2015

Früher, tatsächlich eine Weile vor meiner Zeit, war es keineswegs etwas Abwertendes, sondern ein Adelsprädikat, „Die Taglioni“, „Der Vestris“, „Der Nijinski“ oder „Die Pawlowa“ zu sagen. Mit der Zeit aber empfand man das bei uns als wenig angebracht, während die Italiener da immer etwas großzügiger mit ihrer Ausdrucksweise blieben und wohl auch heute noch von „La Cerito“ und erst recht von „Carla Nationale“ sprechen.

Peter habe ich wohl zum ersten Mal bei Gustl Blank gesehen. Man kannte ihn noch nicht und es war auch alles noch etwas roh, was er ablieferte, trotz seiner stupenden Technik. Den Rang als Pirouetten-König versuchte ihm Dieter Gackstetter streitig zu machen, ohne Erfolg, er wurde nach einem Studium Ballettdirektor der Bayerischen Staatsoper und schließlich Intendant in Coburg, wohl typisch für Menschen, die aus der Tänzerecke eine Karriere mit Ballett machen und dann eigentlich nichts mehr damit anzufangen wissen. Die Gruppe wurde später so reduziert, dass nur Statisterie übrig blieb.

Als Erich Walter in Düsseldorf vielversprechende junge Tänzer um sich versammelte, war Peter darunter und ich sah ihn als Iwan im „Feuervogel“. Das Erlebnis war für mich ähnlich wie zur selben Zeit ein Gastspiel des Stuttgarter Balletts, das auf dem Sprung war, Weltkarriere zu machen. Ihr Auftritt war in Viersen, unter anderem mit dem zweiten Akt aus „Schwanensee“, in dem Ricky Cragun partnerte wie der hölzerne Prinz. Beide Choreografen, John Cranko und Erich Walter, übrigens gleicher Jahrgang, hatten das Potential von Peter erkannt und wussten, es zu einem Edelstein zu schleifen. Der Breuer, als diese Prozedur beendet war und er nach gerissener Achillessehne, dessen Knall wir aus dem Teatro La Fenice in Venedig bis nach Düsseldorf gehört hatten, entschwebte, nein, um die ganze Welt düste und sich schließlich in London beim damaligen Festival Ballet (heute National Ballet) unter Vertrag nehmen ließ.

Erich hatte die Neuversion von Monteverdis „L'Orfeo“ für Peter gemacht, die sicher die schönste und beste Rolle seiner Düsseldorfer Zeit ist, und ich tanzte den Freund, wie auch in „Cinderella“. Man kann sich vorstellen, wie frustriert Erich war, sowohl über den Unfall als auch dann über den endgültigen Abschied. Alle Solisten saßen damals in einer Garderobe, daher ließ es sich nicht vermeiden, dass man sich näherkam und über Sorgen, Nöte, aber auch erfreuliche Dinge der anderen sofort informiert war. Ich habe nie wieder einen Tänzer erlebt, der vor allem mit sich selbst so ehrlich war.

Wenn etwas nicht geklappt hatte, was bei ihm eigentlich kaum vorkam, also wenn eine Passage nicht so war, wie sie zuvor probiert worden war, war nie der Boden schuld oder die Partner oder irgendwelche Äußerlichkeiten. Er suchte die Schuld bei sich, nicht bei den Schuhen, wenn er mal früher aufhören musste, zu drehen. Nicht wie Nurejew, der auf der Bühne ausließ, was ihn ärgerte. Peter ließ seinen Zorn erst raus, wenn er in der Gasse verschwunden war, seine Frustration hatte jedenfalls damals Zeit bis nach dem Duschen. Natürlich hing das mit seinem Vater zusammen, der bei Gustav Blank den Unterricht am Flügel begleitete und für Peter passend machte. Ein Mann, der in seiner langen Korrepetitoren-Karriere auch vom Ballett so viel Ahnung hatte, dass er schon mal aufstand und den kleinen Virtuosen Hansi Vogl korrigierte – und siehe da, es klappte besser.

Der einzige andere Berührungspunkt, den Peter und ich hatten, war der geniale Bühnen- und zu der Zeit noch Kostümassistent Pet Halmen. Er hat mit Peter mehr gearbeitet als für mich, denn der Mann war, als er erfolgreich geworden war, bei aller Genialität unausstehlich. Ich brauchte Jahre, mich wieder auf ihn einzulassen, aber das Bühnenbild für „Lola Montez“ war großartig. Ich sah eine der ersten Zusammenarbeiten von Peter und ihm. Es war „Der Gottgeliebte“ über Mozart mit Tomasz Kajdanski, was im Münchner Cuvillies-Theater ein Riesenerfolg war. Leider drohte der Verlag wegen zu großer Ähnlichkeit mit Peter Shaffers Drama und dem gleichnamigen Film „Amadeus“ mit enormen Tantiemen, was eine Absetzung des Stücks nach sich zog.



Als wir Intendantenwechsel hatten am Staatstheater am Gärtnerplatz, hatte ich ein Vertragsgespräch mit dem neuen Intendanten, was eigentlich eine Formsache war, denn ich wollte nicht länger unterschreiben. Die beiden Intendanten jedoch hatten eine Verabredung getroffen, die fast an die Unkündbarkeit reichte, was für den bayerischen Staat, spätestens dann nicht akzeptabel gewesen wäre. Ich redete also mit Claus Schulz, den ich schon aus Aachen kannte und empfahl ihm Peter Breuer. Er hätte gut an das Haus gepasst und ich hatte gehört, dass er sich beworben hatte. Aber Schulz wollte nun einen Neuafang um 180 Grad: 50% weniger Tänzer, und dadurch mehr Bewegungsfreiheit im Etat. So wurde nichts draus.

Ich glaube Birgit Keil, die die charmante Laudatio für Peter hielt, und für ihr Ensemble den Abendfüller "Siegfried" in Auftrag gab, ist die einzige Ballerina weltweit, die Peter nicht gepartnert hat. Aber beide waren sich bei der Gala einig, dass man das ja noch nachholen könne. Wenn man mich und das gesamte Publikum des Abends bald auf den Termin aufmerksam macht, kann man auf uns zählen - ausverkauftes Haus und Riesenapplaus garantiert.

Neben Peter Breuer wurden Ricardo Fernando und Elisa Badenes mit dem Tanzpreis ausgezeichnet:
Norbert Hilchenbach, Intendant des Hagener Theaters hat seinem Ballettchchef Ricardo Fernando eine wunderbare, ehrlich besorgte Laudatio mit einer überzeugendgen Verbeugung zu Füßen gelegt, und so hat Ricardo ihm auch geantwortet. Die Zuhörer - die an diesem Abend nicht zusammengekommen waren, um darüber zu lamentieren, dass im "Tanzland NRW" nach und nach das Licht eigespart wird, wenn Ballett auf dem Spielplan steht - haben sofort gemerkt, dass da zwei in einem Boot sitzen, die mit allen Kräften rudern, um in stürmischer Zeit nicht unterzugehen. Hilchenbach hat das nicht getan, weil Ricardo und seine liebenswerte Frau Carla so nett sind und mit ihrem brasilianischen Soap-Charme sowieso jeden für sich einnehemen, sondern weil sie und ihr Ensemble sich als Teil dieses Musiktheaters fühlen und dazu beitragen, auch in der Krise eine Chance sehen und wie Phoenix aus der Asche aufsteigen. Das hat dieser Galaabend bewiesen, und dass sowohl der Choreograf als auch das Ensemble durchaus mithalten können, wenn man denn unbedingt Äpfel und Birnen vergleichen will: Salzburg, Stuttgart, Karlsruhe, Hagen und Essen auf der Aalto-Bühne!

Die Sensation dieses Abneds habe ich bewusst nicht an den Anfang gesetzt: Die Philarmoniker der Stadt Essen! Diese Topmusiker gaben diesem Abend einen bisher einmaligen, leuchtenden Rahmen, indem sie mit Prokofjew den glänzenden Anfang begleiteten und nach drei Stunden noch einen drauf setzten mit dem Reißer "Bolero" von Ravel, unter der Leitung des 1. Kapellmeisters Yannis Pouspourikas. An diesem Abend fand ja ganz nebenbei das vierzigste Jubiliäum des Deutschen Berufsverbands für Tanzpädagogik statt, dessen 1. Vorsitzender Günther Rebel mit Jaš Otrin, dem 1. Vorsitzenden des Fördervereins Tanz, in der Jury zum Tanzpreis ein wichtiges Wort mitzureden haben - und man sich zum Rest dieses Gremiums ein wenig mehr Transparenz wünschen würde. Nichts Neues unter der Sonne. Nein, nicht ganz, es gibt wieder eine Festschrift für jeden der Preisträger, wenn auch das Format nach wie vor Spardiktat atmet. Über Ulrich Roehm, den Erfinder all dieser Aktivitäten, muss ich wohl nichts hinzufügen, er hatte am Vormittag Gelegenheit zu Beginn der Mitgliederversammlung an seine Verdienste um die beiden Vereine zu erinnern.

Elisa Badenes, diese hochbegabte Ballerina war ja schon mehrfach im Rahmen der unzähligen Gastspiele des Stuttgarter Balletts auf eben jener schönen Aalto-Bühne zu sehen. Sie tanzte mit dem inzwischen ebenfalls zum 1. Solisten gereiften Daniel Camargo (Tanzpreis Zukunft 2011) aus "Der wiederspenstigen Zähmung" eine der immer wieder erfrischenden Streitigkeiten der Liebenden, die die noch weit von einer Streicheleinheit enfernt sind von John Cranko. Und mit dem Solo "Limelight" von Katarzyna Kozielska würden die beiden wohl mühelos bei jedem Ballettwettbewerb eine Goldmedalle abräumen. Die Laudatio wollte Reid Andersen natürlich selbst für Elisa halten, aber er musste das Bett hüten an diesem Wochenende. So kam der Tausendsassa Krzysztof Nowogrodzki zu dem zweifelhaften Vergnügen, dessen er sich allerdings zum Vergnügen aller mit Grandezza entledigte, worüber er sichtlich erleichtert war.

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