„b.23“ am Ballett am Rhein: Brigitta Luisa Merki mit „… adónde vas, Siguiriya?“

„b.23“ am Ballett am Rhein: Brigitta Luisa Merki mit „… adónde vas, Siguiriya?“

Drei Meister zeitgenössischen Tanzes

Ballettabend „b.23“ in Düsseldorf

Der geniale Neoklassiker Martin Schläpfer, die europäischste unter den Flamenco-Choreografen Brigitta Luisa Merki und der Magier der liebenswerten Groteske Mats Ek zeigen so unterschiedliche und dennoch miteinander harmonierende Kreationen.

Düsseldorf, 27/03/2015

Es sind allenfalls ab und an winzige Seufzer zu den bukolisch fröhlichen Gesten, Hüpfern und Hebungen der drei Bauernburschen in ihren ärmellosen Westen und knielangen Hosen, aus denen die nackten Waden und Füße ragen. Knappe Zweiteiler mit schwingenden Glockenröcken tragen ihre Mädchen dazu. Kaum merklich nur setzt sich die Kleidung der adeligen Gesellschaft – die Damen natürlich auf Spitze! - ab, die das Landvolk auf kleinen Hockern beim höfischen Treiben begafft, um das Zauberzeug mit staunendem Amüsement dann nachzuäffen. Nur das flüchtige Zitat eines Menuetts im Pas de deux von Julie Thirault und Andriy Boyetsky, blitzschnell gewirbelte Pirouetten von Christine Jaroszewski (in Schläppchen!) sind auszumachen, aber distanziert aristokratische Hochnäsigkeit ist unübersehbar – am köstlichsten: Claudine Schoch lässt sich weit nach oben und immer weiter diagonal zur Seite gereckt von Rachaen Arts aus der Arena tragen: eine veritable Diva!

So hurtig und federnd wie Marc Piolett die Düsseldorfer Symphoniker Mozarts 40., die „große“ g-moll Sinfonie KV 550, spielen lässt, weht sie vorüber wie ein leichter Frühlingshauch – kaum je verdüstert von der vielbeschworenen Melancholie dieser Musik. Martin Schläpfer fügt seine neue Choreografie, die anstelle der angekündigten Wiedereinstudierung der 2. Brahms-Sinfonie von 2013 nun zum Auftakt von „b.23“ uraufgeführt wurde, in die Reihe seiner lichteren Ballette: deftiger Humor, handfester Realismus und einfallsreiche, virtuose Neoklassik verweigern sich den Stereotypen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Jenseits aller rokokohaften Menuett-Geziertheit zelebriert der Schweizer die Leichtigkeit des Seins und die Heiterkeit des Lebens. Rokoko-Roben schimmern schemenhaft im Hintergrund von einer blauen Galerie, die sich fast unmerklich senkt und später wieder hebt. Altmodischer Fundus auf dem Abstellgleis.

Rituale, verquickt mit Emotion pur, bringen anschließend die künstlerisch so ganz anders ausgerichteten Schweizer Gäste auf die Bühne. Die Grande Dame des dezidiert „europäischen“ Flamenco, Brigitta Luisa Merki, tourt einmal nicht mit ihrem „Flamenco en route“ durch Hallen und Arenen, sondern schuf eine Choreografie für ihre Tänzer mit Solisten des Ballett am Rhein. Getanzt wird überwiegend paarweise – jeweils eine Ballerina mit einem Flamencotänzer, ein Ballerino mit einer Flamencotänzerin. Nur Marlúcia do Amaral – winzig wirkend zwischen den hochgewachsenen Flamenco-Kollegen – geht als geheimnisvolles Mädchen allein durch die Menge „schwarzer Schmetterlinge“ und die „weiße Schlange aus Nebel“. Zögerlich und gedankenverloren zuerst, aber dann immer wieder kraftvoll, geschmeidig, sich aufbäumend und gefährlich wie eine Wildkatze. Unterstützt wird das Capricho Flamenco „...adónde vas, Siguiriya?“ (...wohin gehst du, Siguiriya?) vom eigenen Musikensemble mit Gesang, zwei Gitarren, Perkussion und Nychelharpa, einer Art Kniegeige. Grandiose Szenen voller Glut, Stolz, Rasse und Leidenschaft sind das (ein Leckerbissen das Männertrio!) - aber auch mit unendlich zarten und melancholischen Momenten.

Schließlich kehrte Mats Ek wieder einmal zurück auf diese Bühne. Er brachte die deutsche Erstaufführung seines „Rättika“ mit. Getanzt auf Johannes Brahms‛ Violinkonzert, das Marc Bouchkov wunderbar intonieret, lässt der Titel keineswegs einen Tanz der Rettiche vermuten. Aber zu Beginn des 2. Satzes baumeln die scharfen Rüben tatsächlich zwischen metallisch schimmernden Tüchern vom Schnürboden und sprießen am Ende kräftig grün aus dem Bühnenboden. Diese Art von Humor aus dem Land der Trolle ist hierzulande ein bisschen schwer zu verstehen. Aber der typische Ek mit seiner Groteske, seinem liebenswerten Witz und den kindlichen Gesten zwischen all der tänzerischen Grandezza reißt immer wieder hin. Natürlich sieht man auch gleich, welche Rolle Anna Laguna, die die Choreografie zusammen mit der Choreologin Eva Säfström einstudierte, „gehört“: Yuko Kato tanzt im gelben Glockenrock ein unglaubliches Solo mit Purzeln und Kullern und Springen und Recken und Wirbeln.

Was für ein Tanzabend! Der geniale Neoklassiker Martin Schläpfer, die europäischste unter den Flamenco-Choreografen, Brigitta Luisa Merki, und der Magier der liebenswerten Groteske Mats Ek sorgen mit ihren so unterschiedlichen und dennoch miteinander harmonierenden Kreationen für beste Unterhaltung und Bewunderung. Satt und doch hungrig auf viel mehr davon, trollte man sich spätabends heim.

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