„Junge Choreographen“ am Hamburg Ballett: Silvia Azzoni und Alexandre Riabko in „Ouroboros“ von Yuka Oishi

„Junge Choreographen“ am Hamburg Ballett: Silvia Azzoni und Alexandre Riabko in „Ouroboros“ von Yuka Oishi

Gourmet-Menu mit 15 Gängen

„Junge Choreographen“ des Hamburg Ballett

Es ist eine gute Tradition, dass auch die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Ballett immer wieder Gelegenheit bekommen, sich als Choreografen auszuprobieren. Nach dreijähriger Pause konnte man sie nun in der Opera stabile bestaunen.

Hamburg, 11/03/2015

Es ist eine gute Tradition, dass auch die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Ballett immer wieder Gelegenheit bekommen, sich als ChoreografInnen auszuprobieren. Nach dreijähriger Pause konnte man die „Jungen Choreographen“ nun endlich wieder vom 7.-9. März in der Opera stabile bestaunen. Alle vier Vorstellungen waren schon seit Monaten komplett ausverkauft – die kleine Probebühne der Hamburgischen Staatsoper bietet nun mal nur sehr wenige Plätze und eine kleine Fläche. Dass sich für so ein beim Hamburger Publikum bekanntermaßen begehrtes Unternehmen keine größere Bühne gefunden hat, gibt Rätsel auf. Denn Locations gibt es in der Hansestadt ja durchaus: Die K6 in der Kampnagelfabrik wäre ideal dafür, das Schauspielhaus ebenfalls (wo die „Jungen Choreographen“ 2011 und 2012 mit großem Erfolg gastierten), zur Not wäre auch das Ernst-Deutsch-Theater eine Alternative (das ohnehin schon traditionell für die „Werkstatt der Kreativität“ genutzt wird, bei der Theaterklassen der Ballettschule des Hamburg Ballett ihre Choreografien zeigen). Aber besser im kleinen Rahmen als gar nicht – das dachten sich wohl auch die Hamburger TänzerInnen und machten das denkbar Beste aus den gegebenen Bedingungen.

Präsentiert wurde ein knapp dreieinhalbstündiges Gourmet-Menu mit 15 Gängen vom Feinsten. Jeder Gang eine Delikatesse – selten waren die Darbietungen so vielfältig, so kurzweilig, so frisch und auch so eigenwillig. Trotz der Länge wurde der Abend nie langweilig, nie ermüdend. Alle Umbauten klappten wie am Schnürchen (den beteiligten Mitarbeitern der Technik sei hiermit ein besonders großes Lob ausgesprochen!).

Zu Beginn eine Gemeinschaftsproduktion von Thomas Stuhrmann, Zachary Clark und Marc Jubete: „IF“, ein Miteinander-Gegeneinander dreier Paare, eine Allegorie auf Macht und Ohnmacht und Versöhnung – ein furioser Auftakt! Noch spannender danach „At Asyl-Um“ von Luca-Andrea Tessarini, einem 22-jährigen Youngster aus der Kaderschmiede von Birgit Keil (Akademie des Tanzes, Mannheim), der zuvor beim Bundesjugendballett engagiert war und seit dieser Spielzeit als Aspirant beim Hamburg Ballett tanzt. Zu selbst komponierter Live-Musik von Geige und Klavier im Stil der Minimal Music zeigte Tessarini eine Ode an die Flexibilität der Zeit – symbolisiert mit zwölf LED-Lämpchen, die als Uhr auf dem Boden angeordnet und im Laufe des Tanzes neu sortiert wurden. Yaiza Coll und Sasha Riva brillierten mit großer Intensität, Anna Laudere zeigte in dieser sehr modernen Komposition ganz neue, eigene Facetten.

Im Vergleich dazu eher schwach „Yes we could!“ von Konstantin Tselikov, das als „politische Satire“ angekündigt war, aber eher unentschieden daherkam. Gefolgt von einem engagierten Plädoyer gegen Krieg und Aggression von Eliott Worrell und Dale Rhodes: „The Jealousy Theory“, exzellent getanzt von Yun-Su Park, Maracelino Libao und Sasha Riva.

Spannungsgeladen und intelligent durchkomponiert die Trilogie „Mizaru – Kikazaru – Iwazaru“ (analog der drei weisen Affen: nichts Böses sehen, hören, sagen) von Miljana Vracaric. Mayo Arii, Xue Lin und Marc Jubete tanzten diese gekonnte Kreation mit viel Tempo und Spielfreude. Anschließend „Happy Valentine“ von Orkan Dann, eine höchst phantasievolle, eigenwillige und mit viel Schwung choreografierte Elegie auf das Loslassen und Halten, auf Zueinanderkommen und Trennen für sechs TänzerInnen. Krönender Abschluss des ersten Teils des Abends: „Anima“ von Edvin Revazov, ein hinreißend choreografierter Pas de deux auf die Dualität des Männlichen und Weiblichen.

Nach der Pause dann einer der unbestrittenen Höhepunkte des Abends: „Ouroboros“ von Yuka Oishi. Ouroboros, das ist das Sinnbild der Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Yuka Oishi erarbeitete ihren Pas de deux nach einem Satz von Antoine de Saint-Expupéry: „Die Erfahrung lehrt uns, dass Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in gleicher Richtung blickt.“ Anfangs wie mechanische Puppen agierend, wandeln sich die beiden maskierten Protagonisten (grandios: Silvia Azzoni und Alexandre Riabko) in fühlende, menschliche Wesen. Das atmet eine große Faszination und Ruhe, aber auch eine zwingende Dynamik.

Spritzig-heiter danach „Poppy“ von Lennart Radtke – eine raffiniert komponierte Hommage auf das Ewig-Weibliche im Kleinen Schwarzen, bei der neben Natalie Ogonek und Yun-Su Park vor allem Hayley Page mit edler Linie und unterkühlt-glühender Grace-Kelly-Allüre herausstach.

Zu Live-Percussion von Cornelia Monske hatte der Organisator des Abends, Braulio Alvarez, sein „Into This Wild Abyss“ choreografiert, einen Abgesang auf das verlorene Paradies. Schwermütig-melancholisch danach „Speechless“ von Lizhong Wang, großartig getanzt von Yaiza Coll, Winnie Dias, Thomas Stuhrmann und Luca-Andrea Tessarini, die Verlorenheit und Einsamkeit körperlich spürbar machten. Und ein weiteres Mal ging es um dieses Thema: bei „Soledad en Compania ...“ von Aleix Martinez. Zwei Männer (eindrucksvoll: Lennart Radtke und Sasha Riva) können hier nicht zueinander kommen. Aleix Martinez, der als Mittler oder auch als Störer kurz ebenfalls mit involviert ist, findet hier eine sehr eigene Bewegungssprache, von der man gerne noch mehr gesehen hätte.

Mit „Rely on Trust“ folgte dann ein akrobatisches Schmankerl von Florian Pohl, der es auch selbst tanzte und seine Partnerin Lucia Rios auf atemberaubende Weise mit Schmackes durch die Luft wirbelte. Das geht eben nur, wenn man so groß und so kräftig ist und damit für Sicherheit und Vertrauen steht – ein Augenschmaus!

Den krönenden Abschluss dieses lukullischen Abends bildete „Ricochet“ von Sasha Riva, in dem neben ihm selbst Marc Jubete und Alexandre Riabko sowie Joaquin Alcazar (ein kleiner Junge aus der Ballettschule) zum Ausdruck brachten, was Beziehungen zwischen Menschen bedeuten: Anziehung und Abstoßung, aber auch Vertrauen, Erinnern, Bestärken, Ermutigen, Stützen, Begehren. Ähnlich beziehungsreich „#theStruggleisReal“ von Marcelino Libao für fünf TänzerInnen – phantasievoll zusammengestellt und tempogeladen.

Bleibt zu hoffen, dass wir nicht wieder drei Jahre warten müssen, bis die nächsten Kreationen der „Jungen Choreographen“ zu sehen sein werden. Und dann bitte auf einer größeren Bühne, die noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt.

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