Smart Reality

Ein Tanzabend von Tarek Assam und Robert Przybyl

Das Thema „Smartphone-Realität“ ist schon längst überfällig auch im Tanz betrachtet zu werden.

Gießen, 25/01/2015

Das Thema „Smart Reality“ scheint anzukommen, die Vorstellungen auf der neuen Studiobühne taT des Stadttheater Gießens sind gefragt. Vor allem junge Menschen kommen, über das typische Tanzpublikum hinausgehend. Der Gießener Ballettdirektor Tarek Assam hat Robert Przybyl als Ko-Choreografen geholt, mit dem er schon gemeinsame Stücke kreiert hat. Das Thema „Smartphone-Realität“ ist schon längst überfällig auch im Tanz betrachtet zu werden. Soziologische Stellungnahmen und Psychotherapien gibt es längst dazu.

Man kann sie nicht übersehen, die veränderte Kommunikation der Menschen. Da sitzen sie sich am Tisch gegenüber und jeder redet in seinen Apparat, aber nicht mit den anderen. Da spazieren Touristen durch die Stadt und schauen alles über die Bildschirmausschnitte ihres Tabletcomputers an. Und wo Smartphone-Besitzer gehen und stehen, da müssen offenbar Selfies geschossen werden. Junge Menschen, die damit aufgewachsen sind, fühlen sich ohne den Minicomputer geradezu nackt, finden sich in fremden Städten ohne Navigationsgerät nicht mehr zurecht. Von außen betrachtet ist es eine ‚verkehrte Welt’, um den historischen Begriff mal wieder zu benutzen, eine Welt der fiktiven Realitäten und Netzwerk-Communities, die zunehmend abhängig machen.

In „Smart Reality“ agieren vier Tänzerinnen und zwei Tänzer im jugendlich frechen Outfit (Bernhard Niechotz), sie haben kein reales Handy in der Hand, sondern tippen auf fiktive Tasten und wischen auf imaginären Bildschirmen herum. Seitlich auf der Bühne steht ein Turmgerüst aus Bildschirmen, auf denen zweimal Gesichter erscheinen: das eine fratzenhaft verzogen, das andere verzweifelt schauend, versehen mit dem Untertitel „Play with me“. Die aus Kindheitstagen bekannte Frage bedeutet heutzutage nur noch: Spiel mit mir per Computer. Das tut ausgiebig, geradezu hingebungsvoll und gnadenlos überzeugend Sven Krautwurst.

Die meiste Zeit agieren die Sechs allein vor sich hin, oft mit roboterähnlichen und stereotyp sich wiederholenden Bewegungen. Time is a loop, das Leben in der ewigen Wiederholungsschleife. Immer haben sie den gebannten Blick auf einen Bildschirm vor sich gerichtet. Wenn sie miteinander kommunizieren, dann über die Distanz der Netzwerke oder im fiesen Wettstreit gegeneinander. Ein zaghafter Versuch der Annäherung endet bald mit dem Losballern eines Computerspiels. Wenn ein Videofilm (Przybyl), projiziert auf drei große Segel im Bühnenhintergrund, das Streicheln von nackter Haut zeigt, dann führt das in der Bühnenrealität immerhin zum Versuch des einander Näherrückens. Was kein Happy End ist.

www.stadttheater-giessen.de
www.Tanzcompagnie.de

Zur Musik von Greg Haines, Metronomy, Thomas Newman und Orbital tanzen Caitlin-Rae Crook, Agnieszka Jachym, Yuki Kobayashi, Kristina Norri, Michael Bronczkowski und Sven Krautwurst. Nächste Termine: 22.Februar und 7.März.

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