Schöne und noch schönere Saitenspiele

„Strings“: Tanzabend mit Werken von Clug, Forsythe und Spuck

Das neue Programm des Balletts Zürich trägt den Sammeltitel „Strings“, weil alle drei Stücke von Kammermusik-Formationen mit Saiteninstrumenten begleitet werden. Die Premiere war ein durchschlagender Erfolg.

Zürich, 19/01/2015

Besonders gut kam bei der Premiere des Balletts Zürich die Uraufführung „Chamber Minds“ von Edward Clug an. Eine leicht surrealistische Choreografie voller Überraschungen, von je fünf Tänzerinnen und Tänzern lustvoll dargeboten. Es sind zunächst konventionelle Arrangements, die jedoch immer wieder aus dem Rahmen fallen. Da hüpft einer plötzlich wie ein Frosch aus der Gruppe heraus. Ein Pas de deux wird statt mit den Armen gnadenlos via Druck auf den Kopf dirigiert. Mal klappt jemand schlapp zusammen, als ob er an Fäden gehangen hätte, die ein Marionettenspieler aus den Händen verliert. Die andern helfen dem Gestürzten erneut auf die Beine oder schleppen ihn ab.

Die Choreografie wirkt sehr spontan und unbeschwert. Vielleicht ein bisschen zu locker, angesichts der eigens für dieses Stück komponierten Musik von Milko Lazar, einer neobarocken sechsteiligen Ballettsuite für Violine und Cembalo. Auch das Bühnenbild mit kreuzweise gespannten Saiten (Marko Japeli), die sich während der Aufführung heben oder gefährlich senken, könnte noch raffinierter in die Choreografie einbezogen werden.

Überwältigend sind dafür die Tanzfreude und Wendigkeit der Mitwirkenden. Edward Clug sagte in einem Interview: „Es ist aufregend zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit sie meine Ideen umsetzen und in ihren Bewegungen zu einer ganz und gar persönlichen Interpretation finden.“ Das Talent zum raschen Wechsel von einem Stil zum andern beweisen die Tänzerinnen und Tänzer auch in den beiden andern Stücken des Abends: Zwei Schweizer Erstaufführungen, die um die Jahrhundertwende entstanden sind.

In „workwithinwork“ (1998) von William Forsythe präsentiert sich geradezu lehrbuchhaft dessen legendärer Stil, den er während seiner Frankfurter Zeit entwickelt hat: Die Bewegungen des neoklassischen Balletts, auf hoher Spitze getanzt, werden auseinander genommen und neu montiert. In Zürich faszinieren erneut die extremen Dehnungen und plötzlichen Brüche, die unerwarteten Richtungswechsel und jähen Übergängen vom Tanz zum Alltagstrott. Fast fühlt man sich in ein Leichtathleten-Camp versetzt, wo die einen Höchstleistungen trainieren, halsbrecherisch, während die andern lässig herumstehen.

Forsythe hat als Basis für „workwithinwork“ ein paar Violinduette von Luciano Berio gewählt, in Zürich gespielt von Hanna Weinmeister und Xiaoming Wang. Großartig! Überhaupt könnte man das dreiteilige Ballettprogramm auch als reinen Kammermusikabend, geboten in Konzertqualität, genießen. Vor allem dank Weinmeister, der Ersten Konzertmeisterin am Opernhaus Zürich, die ihrer Stradivari-Geige die verführerischsten Töne entlockt. Aber auch dank der andern Mitwirkenden. In „Chamber Minds“, der Komposition von Milko Lazar, wird Weinmeister vom Cembalisten Naoki Kitaya begleitet. Im dritten Stück des Abends, „das siebte blau“ von Christian Spuck, wirkt sie mit Xiaoming Wang (2.Violine), Valéry Szlávik (Viola) und ihrem Bruder Bruno Weinmeister (Violoncello) zusammen.

Dieses exzellente Quartett spielt Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ (ohne 3.Satz), gelegentlich unterbrochen durch Partien aus einem Streichquartett von György Kurtág sowie einer Geflüster-Soundcollage. Auf den Schubert-Titel für sein Ballett verzichtet Spuck wohlweislich. Zwar kommt in der Choreografie tatsächlich ein Mädchen vor (Katja Wünsche), das aus den Armen verschiedener Partner zu Boden sinkt – aber eine eigentliche Todesfigur, gar als Knochenmann, fehlt. Den geheimnisvollen Titel „das siebte blau“ erklärt Spuck damit, dass die je sieben Tänzerinnen und Tänzer in Hosen und Oberteilen von unterschiedlichem Blau stecken. Auch die Lichtgestaltung changiert in Blautönen, bis hin zu kaltem Polizei-Blaulicht.

„das siebte blau“, im Jahr 2000 beim Stuttgarter Ballett uraufgeführt, zeigt weitgehend neoklassischen Tanz auf Halbspitze. Die Atmosphäre in Spucks Choreografie mag melancholisch sein – romantisch ist sie als Ganzes nicht, sondern eher sportlich. Auch sehr dekorativ mit den blauen Kostümen (Miro Paternostro) und dem von Spuck selber ersonnenen Bühnenbild: Ein paar mobile Versatzstücke und drei versenkbare Bodenteile, in denen die Tänzerinnen gelegentlich verschwinden. Derweil spielt das Streichquartett gut sichtbar auf der Tanzebene, zuerst erhöht mitten auf der Bühne, später auf der rechten Seite.

Die drei Ballette des „Strings“-Programms kommen mit kleinen Ensembles zurecht. „Chamber Minds“ bringt 10, „workwithinworks“ 16 und „das siebte blau“ 14 Tänzerinnen und Tänzer auf die Bühne. Einige haben Solistenstatus - neben Katja Wünsche, die in allen drei Balletten mitwirkt, sind dies Viktorina Kapitonova, Galina Michaylova, Arman Grigoryan und Filipe Portugal. Aber auch tiefere Hierarchie-Stufen (Manuel Renard, Juliette Brunner u.a.) bis hin zu Junior-Ballett-Migliedern dürfen brillieren. Eigentliche Stars gibt es keine, dafür viele ausgezeichnete Tanzende, die für begrenzte Zeit einen Traumpart erhascht haben. Sie alle machen das Publikum des „Strings“-Abends glücklich.

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