Der Triumph der Traumtänzer

Zweiteiliger Tanzabend zum Thema Surrealismus an den Landesbühnen Sachsen

"D.A.L.I." bezieht sich in den Tanzstücken von Carlos Matos und Massimo Gerardi nicht nur auf die Fantasie des Malers Salvador Dali. Vielmehr bewegt sich der Tanz auf vielfältige Weise durch ein Geflecht der Bezüge und Assoziationen.

Radebeul, 13/01/2015

Natürlich beziehen sich die beiden Tanzstücke von Carlos Matos und Massimo Gerardi an den Sächsischen Landesbühnen auch auf die bewegte Fantasie des Malers Salvador Dali. Ein „Dali-Abend“ ist es aber nicht. Vielmehr bewegt sich der Tanz auf vielfältige Weise durch ein Geflecht der Bezüge und Assoziationen, die sich ebenso auf Filmwelten, auf fotografische und verbale Versuche beziehen, mit denen eine Gruppe von Künstlern - vornehmlich in Frankreich - als Reflex auf das Versagen der Vernunft angesichts der brutalen Unvernunft des ersten Weltkrieges reagierte.

Angesichts des Versagens von Bewusstsein und Wirklichkeit machten sich diese Künstler frei vom Diktat sogenannter Normen der Vernunft. Sie tauchten ein in die Welten der Träume und Erinnerungen, entdeckten ihre Landschaften und Farben. Sie versuchten sich dessen bewusst zu werden, was sich tief unter der Oberfläche des Bewusstseins bewegt. Sie tauchten ab in die Tiefen des Unbewussten, stiegen auf in die Höhen der Träume und nahmen Klänge wahr, wie sie in keiner Partitur zu finden sind. Jene Kunst des Surrealen ist die Kunst, aus der Tanz gemacht sein sollte. Und das Theater ist der Ort, an dem es möglich ist, im Spiegel nicht nur Abbilder der für wahr gehaltenen Wirklichkeit zu sehen, sondern durch sie hindurchzublicken, um für einen Moment in jenen nicht sichtbaren Landschaften unserer Existenz zu verweilen.

Für den Chef der Radebeuler Tanzkompanie Carlos Matos führt im ersten Teil dieses Abends der Weg durch eine so grotesk wie tragisch anmutende Ausstellung sonderbarer Menschenfiguren, die auf Podesten stehen, hocken oder sich krümmen und dabei jeweils mit Stäben gestützt werden müssen. Dieser Anblick ist nicht gänzlich schmerzfrei und erinnert an die wiederkehrenden Motive in Bildern des Malers Salvador Dali. "D.A.L.I." bedeutet für Carlos Matos „Die Allmacht lärmender Intuition“. Und so nimmt er das Publikum mit drei Tänzerinnen und vier Tänzern, allesamt grandios in diesem Traumtanz der Stile und Techniken, mit auf seine surreale Verunsicherungstour. Bald schon verschwimmen die Grenzen zwischen Konkurrenz und Zärtlichkeit, zwischen Korrespondenz und Eigenwilligkeit. Immer weniger lässt sich in jener Vielzahl an Bildern wahrnehmen, wer wen beeindruckt, antreibt, mitnimmt oder verlässt. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn die Tänzer an ihren Kostümen zupfen, als wollten sie etwas aus ihren Körpern ziehen, das längst den Weg von innen nach außen sucht. Auf riesiger Leinwand gemalt erscheint Dalis Traum vom Schlaf, jenes massige Wesen im Profil, gestützt auf Stäbe wie zu Beginn die musealen Wesen, die jetzt – sofern sie männlich sind – von ihren Träumen entbunden werden. Ihr Nabel entlässt aus fotografierter, männlicher Behaarung immerhin auch eine Frau. Am Ende dieser Geburt surrealer Traumtänze werden sie von der Wirklichkeit wieder eingeholt: die Tänzer gehen an Krücken; ein Tritt, ein falscher Schritt, und sie stürzen. Doch nun werden sie erstmal von den aufbrandenden Wogen des Beifalls regelrecht in die Höhe geworfen.

In der Kreation des Choreografen Massimo Gerardi geht es um „Des Abends lustvolle Imagination“. Dieser Titel beschreibt treffend den Eindruck, den die so kraftvoll wie genau und sensibel agierenden Protagonistinnen und Protagonisten vermitteln. Lustvolle Imaginationen wecken auch Bilder und Objekte der Ausstatterin Marlit Mosler: wie das riesige Ei, dem eine Tänzerin entsteigt, um sich ihren Weg zu suchen auf einer von kleinen Eiern übersäten Bühne. Es ist vielleicht mehr als nur Imagination, wenn an einem vorsintflutlichen Telefongerät kleine Brüste klingeln und sich dann auch noch sprechend an Mund und Ohr und Mund des Abnehmers drücken lassen. Hinter einer großen Wand aus elastischem Stoff bewegen sich im Sinne des Spiels mit dem Spiegel Wesen, lassen aber nur schemenhafte Abdrücke ihrer Gesichter erahnen. Angeregt von der Fotografie „Le Violon d'Ingres“ von Man Ray wird der Rücken einer Tänzerin zum Cello, ein Tänzer streicht mit einer Säge über die nicht vorhandenen Saiten dieses Körper-Klangtraums, dessen Töne in den Ohren der Zusehenden jeweils auf andere Weise Schmerz oder Lust wecken mögen.

Tänzerisch geschieht dies alles in einer Abfolge körperlicher Verknüpfungen und Verwirrungen. Banale Grausamkeiten stehen im Widerspruch zu angedeuteter Nähe oder zumindest der Sehnsucht danach. Die tanzenden Wesen sind so grotesk wie armselig, Monster oder Zombies, unisex in asexuellen Unterhosen, deren Färbung auch daran erinnern mag, dass hier die Eierschalen mal nicht hinter den Ohren haften, wo sie sonst sprichwörtlich an Unreife und Unvollkommenheit gemahnen. Und genau das scheint es zu sein, was den Blick fesselt in dieser so herrlich getanzten Hommage an die Energie der Unvollkommenheit.

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