„Romeo und Julia“ von Young Soon Hue in Augsburg

„Romeo und Julia“ von Young Soon Hue in Augsburg

Vier Ballette aus Bayern

Pick bloggt

Vier Vorstellungsbesuche in Bayern innerhalb einer Woche, wobei nur „Paquita“ beim Bayerischen Staatsballett ein Premierenbesuch war.

München, 30/12/2014

Ich fange mal mit Augsburg an, erstens weil es alphabetisch logisch ist und zweitens weil ich höchst skeptisch zu „Romeo und Julia“ gefahren bin, da dieses Ensemble das kleinste der in diesen Tagen besuchten Ensembles war und ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass das funktioniert.

Um es vorweg zu nehmen, „Romeo und Julia“ war nicht nur beim Augsburger Publikum ein triumphaler Erfolg, sondern auch ich bin höchst beschwingt nach Hause gefahren! Von mir aus hätte der Abend auch einfach „Mercutio“ heißen können, denn Theophilus Vesely ist einfach so hinreißend als Tänzer und Darsteller dieser von Shakespeare schon so bevorzugten Rolle, dass er gleich hinter Egon Madsen zu nennen wäre. Und wo ich mich schon gerade nach Stuttgart verlaufen habe, die Choreografin des Abends Young Soon Hue folgt dem großen Vorbild John Cranko sowie der Partitur des Komponisten Prokofiev wie man es besser nicht machen kann. Sie verlegt die Vorgänge in eine Gegenwart, was ich eigentlich nicht sehr mag. Aber in diesem Fall funktioniert es ausgezeichnet! Die Kürzung der ewigen Beerdigungsszenen ist eine gute Idee und offensichtlich ist das Ensemble mit den ständigen Gästen Armin Frauenschuh (Vater Capulet) und Erich Payer (Doge/Pater Lorenzo) hervorragend geführt. Bleibt mir noch hervorzuheben, dass der Ballettdirektor Robert Conn und seine Frau, die ehemalige Stuttgarter Ballerina Yseult Lendvai, dafür sorgen, dass die Ballettkompanie Augsburg in der Bundesliga tanzt, wie die Augsburger Fußballkollegen!

Die beiden Münchener Kompanien haben sich um Ausgrabungen bemüht, was sehr lobenswert ist und durchaus großen Respekt verdient. Aber auch auf die Gefahr, dass ich jetzt in große Fettnäpfchen trete, beide Bemühungen waren für die Katz. Und zwar in erster Linie, weil die musikalische Grundlage nicht stimmt.

Bei aller Verehrung für Richard Strauss, dessen Opern „Salome“ und „Elektra“ einfach musikalische Erdbeben sind und auch seine Orchesterwerke oder Lieder Musikgeschichte geschrieben haben, der Schlagobers war's nicht. Leider hat Diaghilev diese Partitur nie zu hören gekriegt, aber er sagte selbst zu Ravel, nachdem er das bestellte Stück „La Valse“ endlich hörte: „Sehr eindrucksvoll und große Musik, aber es ist leider keine Ballettmusik, sondern die Beschreibung eines Balletts.“ – Das hätte er erst recht zu Richard Strauss sagen können, denn die Musik mangelt jeglicher Dramatik und hat leider auch keinen Witz, wie etwa Till Eulenspiegel und ich könnte die Aufzählung fortsetzen.

Der mutige Ballettchef des Gärtnerplatztheaters in München, Karl Alfred Schreiner, hat das Wiener Ballett „Schlagobers“ nun endlich in Richard Strauss' Heimat geholt und mir schien, dass er vor Ehrfurcht vor dem großen Komponisten nicht so recht sein bestes Talent, nämlich Komik, ausspielte, was dieses Stück dringend bräuchte und er sich ja in diesem Genre bewiesen hat, als er sich in München vorstellte.

Natürlich würde dieses zuckersüße Ballett besser in das schöne Haus am Gärtnerplatz passen, aber das war weder vom Ausstatter noch vom Choreografen beabsichtigt. Ein edler heller Raum schafft die Atmosphäre eines In-Cafés, wo drei schlanke, schicke Kellner-Strizzis mit Sektflöten-Tabletts jonglieren, wie sie es schon beim Auftritt der „(Hallo) Dolly“ geübt haben könnten, aber da ist die Musik schmissiger. Schade, dass nie ein Glas auch nur wackelt oder einer von den dreien Mal wenigstens die Contenance verliert. Ab sofort hält sich Karl Schreiner an das Libretto, wenn auch die Kuchenschnitten und Belege, die von den Tänzern als Rutsche oder sonstige Spielwiese über die Bühne befördert werden, für mich eher wie besonders schicke Matratzen aussahen. Die Prinzessin auf der Erbse hätte bei diesen Stapeln keinen Grund gehabt, schlecht zu schlafen. Das bleibt dem jungen Knaben vorbehalten, der ja von seiner Tante ganz nebenbei mit eben jenem Schlagobers auf dem Kuchen gefüttert wird. Er hat natürlich Schwierigkeiten der besonderen Art, die süßen Sachen, die dieses wunderbare Ensemble wirklich nicht unter einen Scheffel stellt, zu verdauen. Im Übrigen spielt hinter der weißen Spielfläche angenehm sicht- und hörbar das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz auf, wie es sich in einem Wiener Salon dieses Ausmaßes gehört, ohne Makel (da der vertrackten Akustik der Reithalle elektronisch auf die Beine geholfen wird).

Nach der Pause befinden wir uns in einer Klinik mit riesiger Operationsbeleuchtung. Die sich bemühenden Ärzte und hilflosen Schwestern versuchen den armen überfressenen Buben zu kurieren, der sich verdoppelt, dann vervielfältigend albträumt. Die Lage scheint aussichtslos und hier hilft kein Deus ex Machina. Der allerdings produziert die weiße Masse, um die es den ganzen Abend geht. So quillt unter und vor dem Orchester Sahneschaum in solchen Mengen hervor, dass das ach so gute Tänzerensemble darin versinkt. Ein Paar mit mehr Lebenserfahrung als die anderen Tänzer versucht auf den seitlichen Podesten so gut es geht zu walzen. Aber als die beiden endlich zusammen kommen und doch mit den anderen im Schlagobers untergehen, ist dann weiter leider auch nicht mehr geblieben von einer Partitur, die für mein Gefühl fürs Ballett nicht zu retten scheint.

An mir ist dummerweise vorbeigegangen, dass Marius Petipa heiliggesprochen worden ist. Das ist natürlich fatal für jemanden, der sich seit Jahr und Tag mit der Tradition beschäftigt. Trotzdem sind für mich die Rekonstrukteure Ratmansky und Fullington schuldig geblieben, dass man eine Mumie zum Leben erwecken muss, deren musikalische Grundlage neben Minkus noch sechs andere Komponisten nennt und zwei Erfinder eines haarsträubenden Librettos, das nur andeutungsweise durch Projektion auf dem Deckvorhang für Verständnis sorgen soll. Es braucht im Gegenteil noch ein ganzes Bild in einer Kaschemme mit wunderbar rekonstruierter Ballettmime. Eigentlich müsste es übertitelt werden, damit – wie in der Oper – das Publikum versteht, welche Intrigen da von wem gegen wen mit wessen Hilfe ausgeheckt werden. Nein, so tut man der Vergangenheit keinen Gefallen, sondern bestätigt einmal mehr, dass ohne Lev Iwanov die Meisterwerke von Petipa/Tschaikowsky wohl auch kaum überlebt hätten. Das ganze Unternehmen erinnert mich an die Versuche, die Oper „Liebestrank“ bühnenfähig zu machen, weil sie eine einzige unsterbliche Arie enthält, in Ermangelung eines Repertoires des zwanzigsten Jahrhunderts. Was würden Kritiker und Opernfreunde wohl sagen, wenn Bayreuth sich um die Uraufführungsinszenierungen von Richard Wagner mit gehörnten Helmen bemühen würde? Das Ballett hat ja glücklicherweise die Tradition bewahrt, die Perlen des Divertissements weiter leben zu lassen ohne den unsäglichen Ballast eines Abendfüllers. Und selbst das geht kaum, wenn man einen Supertänzer wie Tigran Mikayelyan in napoleonischen Uniformen versteckt.

Auch Ballettchef Goyo Montero hat mit „Cyrano de Bergerac“ einen Stoff für seine jüngste Arbeit in Nürnberg gewählt, der fürs Ballett nur bedingt taugt, aber er beschäftigt sich und die Zuschauer eher damit, das Innenleben des Cyrano zu erkunden und dazu braucht er neben Musik von Rameau, Kompositionen des Kanadiers Owen Belton sowie Charles Ives, was sich sehr gut ergänzt. Und da Goyo ein Poet des Tanzes ist, passend zum Autor Edmond Rostand, gelingt ihm mit Hilfe seiner Ausstatter Eva Adler und Angelo Alberto (Kostüme) ein Abend, der vom wabernden Anfang bis zum Schluss unergründlich spannend bleibt. Die komödiantische Seite des Stoffs drückt er dabei geschickt in die Ecke der Commedia dell'Arte. Mit seinem spielfreudigen Ensemble, das höchsten technischen Anforderungen verschiedenster Art gerecht wird, kann er aus dem Vollen schöpfen und es bleiben bei diesem Abend keine Wünsche offen, was das Publikum dieser Abonnement-Vorstellung zu Ovationen hinriss.

Kommentare

Noch keine Beiträge