„BiT“ von Maguy Marin

„BiT“ von Maguy Marin

Das Leben als Kettentanz

Maguy Marins großartiges neues Werk „BiT“ beim Monaco Dance Forum-Festival

Was für eine starke, kämpferische Frau! Als Maguy Marin nach dem Ende ihres jüngsten Tanzstück auf die Bühne des Salle Prince Pierre im Grimaldi Forum klettert, fängt sie die demonstrativen Bravos auf aber auch so manchen männlichen Unbill.

Monte Carlo, 20/12/2014

Was für eine starke, kämpferische Frau! Als Maguy Marin nach dem Ende ihres jüngsten, vom Monaco Dance Forum koproduzierten Tanzstück „BiT“, vor wenigen Wochen in Lyon uraufgeführt, nun auf die Bühne des Salle Prince Pierre im Grimaldi Forum in Monte Carlo klettert, fängt sie die demonstrativen Bravos auf aber auch so manchen männlichen Unbill. Ja, das gibt es noch: kritisches Tanztheater, das aufwühlen kann und aufmerksame Zuschauer_innen nicht loslässt. Nicht Bildertheater, nicht Agitprop-Tumult, sondern zwingend inszenierter, szenischer und musikalischer Tanz mit einer gnadenlos dem Lebensverlauf ins Auge blickenden, nahe zu philosophisch anmutenden Aussage zur Situation unserer (abendländischen) Gesellschaft. Und jenen, die bereits etliche Jahre im Bann des Tanzes unterwegs sind, damit offenbart: Bei Maguy Marin geht es noch um etwas. Welch ein Glück. In bester Erinnerung sind, aus mitteleuropäischer Sicht, ihre außergewöhnlichen Werke „Umwelt“ und „Description d’un combat“, die auch bei Ausgaben des Wiener Festivals ImPulsTanz gezeigt worden waren. Und auch jene Arbeiten hatten Zuschauer_innen aufgeregt und zu aggressiven Äußerungen während der Präsentationen geführt.

„BiT“ empfängt die Betrachter mit sieben schiefen Ebenen, die im Halbrund auf der Bühne stehen. Zwischen denen, um sie herum aber immer wieder vor allem auf diesen steilen Plateaus wird Leben auf und ab zelebriert und Gesellschaft geatmet. Hinauf und hinunter. Vorwärts. Rückwärts. Im roten Kleid und Stöckelschuh, im Herren-Anzug mit Hut. Wir balancieren in bedrohlicher Schieflage, sind aber in all unserer Unverfrorenheit und mit einem lächelnden Überlebenswillen ausgestattet, zu Meistern dieses einen Daseins zwischen Geburt und Tod geworden. Maguy Marin taucht uns mit ihrem Komponisten Charlie Aubry in einen nahezu unablässig hämmernden, pulsierenden, dröhnenden Rhythmus-Rausch der Kontinuität. Flugzeuggeräusche, Kinderstimmen, Menschengeschrei, Alltagsakustik - was da so produziert wird im scheinbar ewig währenden Rhythmus eines biologisch determinierten Daseins. Der Rhythmus hält die Menschen zusammen und er bringt in Maguy Marins präzise inszenierter Menschenbeobachtung mit feministischer Kraft, Kritik an der (historischen), mittelalterlichen Macht der Kapuzen tragenden Männerbünde (Kirche) die heutige Existenz ohne weiteren Aufruf den Punkt. Der Fortpflanzungswille erhält uns, aber tief eingegraben in unsere Geschichte hat sich die Dominanz der männlichen Welt während Frauen, die den Faden stets weiterspinnen, letztlich in ihrer Bedeutsamkeit nicht gesehen werden. Trotzdem geht das Leben unabänderlich weiter – ein Erblühen, Vergehen, ein Vergessen, Neubeginn. Geschichte häuft sich an, gelernt wird daraus nichts.

Marin bricht Szenen, die diese Überlegungen befeuern, aus einem einzigen Kettentanz mit vielen Variationen heraus. Das ist kein moralisierender Totentanz, sondern vielmehr die Urform gemeinschaftlichen Tanzens. Drei Frauen und drei Männer unterschiedlichen Alters tanzen in Alltagskleidung volkstanzähnliche, scheinbar einfache, kleine gekreuzte, halb gewundene Schrittfolgen, mit erhobenen Händen, immer wieder mit leicht vorgeneigtem Oberkörper. Hüftbetont, freudvoll. Sie halten einander an den Händen, lassen aber auch los, um Rücken an Rücken aufeinander prallen und sich Schwung zu holen für die nächste, lustvolle Drehung. Es wird im Kreis geklatscht. Leben kann so schön sein; in diesem Fall mit Ulises Alvarez, Kais Chouibi, Laura Frigato, Daphné Koutsafti, Mayalen Otondo und Ennio Sammarco.

Kitsch? Entsteht da keiner, weil nicht nur das eher dämmrige Licht auf der Bühne, sondern auch der Zwang, der einem Herzschlag gleich ins Ohr dringt, nicht aufhört, gefährliche und geheimnisvolle Intensität körperlich spüren zu lassen. Wir schauen der Freude zu, ahnen aber mehr. Das Mehr sei hier nicht verraten. Ein großartiges Werk, ein Lebensrad voll wissendem Gleichmut.

Die aktuelle Ausgabe des einwöchigen, von Jean-Christophe Maillot programmierten Monaco Dance Forum brachte bisher die ebenfalls von den Ballets de Monte Carlo koproduzierte jüngste Inszenierung von Sidi Larbi Cherkaoui im stimmungsvollen Salle Garnier, einst auch Diaghilews Bühne, zur Aufführung. Für „Genesis“, einer Fusion aus „World Music & Dance“, wie sie Cherkaoui seit geraumer Zeit immer eklektizistischer in alle erdenklichen Richtungen ausprobiert, fungierte die chinesische Tänzerin und Studioleiterin Yabin Wang als Produzentin. Die künstlerischen Zugeständnisse an die Geldgeberin lassen sich schwer abschätzen, das Ergebnis litt weniger am sehr unterschiedlichen Tanzvermögen des internationalen Ensembles als am Mangel einer erkennbaren Dramaturgie. Sympathisch wirkte anderntags das an Heinrich von Kleists bekanntem Aufsatz über das Marionettentheater inspirierte Solo „vieLLeicht“ der Trapez-Künstlerin Mélissa von Vépy im Théatre des Variétés. Während sich Emanuel Gats letzten Sommer in Montpellier uraufgeführter Einstünder „Plage romantique“ weder konzeptuell noch choreografisch erschloss, verdient Marcos Moraus vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Körper eine intensivere Betrachtung. In „Siena“, koproduziert u. a. von Dresdens Festspielzentrum Hellerau, für neun Tänzerinnen und einen Tänzer inszeniert Morau unterschiedliche Stufen von Wahrnehmung und Entfremdung, Geschichtlichkeit und Musealität. Äußerst penibel konstruiert der Choreograf mittels eines eingespielten Gesprächs in einem Museum eine Diskussion um das Individuum und die politisch manipulierbare Masse, um kritischen Geist und wehrhaft bewegte Körper. Morau entwirft mit seinem alerten Ensemble La Veronal ein Körperbild der Zersetzung, das sich blitzartig verändern kann. Auch der Zuschauer ist mit seiner distanzierten Sicht auf diese Körper mitinszeniert. Ein äußerst dichtes Schau-Spiel mit zahlreichen Anspielungen und musikalischen Einschüben von Bach, Schubert, Scarlatti und Händel.
 

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