Triumph für einen Altmeister

Béjart Ballet Lausanne im Tempodrom Berlin

Seine Magie wirkt noch immer. Was der 2007 verstorbene Meister Maurice Béjart seiner 20 Jahre zuvor im frankophonen Schweizer Lausanne formierten Kompanie hinterlassen hat, hat das Zeug, auch im 21. Jahrhundert sesshaft zu werden.

Berlin, 20/10/2014

Seine Magie wirkt noch immer, dies die befreiende Erkenntnis vom dreitägigen Gastspiel des Béjart Ballet Lausanne im Rund des Tempodrom. Was der 2007 verstorbene Meister Maurice Béjart seiner 20 Jahre zuvor im frankophonen Schweizer Lausanne formierten Kompanie hinterlassen hat, ein fast überwältigend umfangreiches Erbe an einaktigen oder abendfüllenden Stücken, hat das Zeug, auch im 21. Jahrhundert sesshaft zu werden. Denn gültige Aussagen über den Menschen veralten nicht. Insofern dürfen die besten seiner choreografischen Kreationen schon als moderne Klassiker gelten. Das trifft auf Béjarts Kommentar zu Gustav Mahlers imposanter 3. Sinfonie zu, deren einzelne Sätze der Komponist mit Titeln überschrieb. Was Mahler dem finalen 6. Satz, einem langen Adagio, voranstellte, bezeichnet nun die gesamte Choreografie: „Ce que l'Amour me dit“. Béjart legt ihr indes nur die drei letzten Sätze zugrunde und konzipierte sie als Hymnus auf eben die Liebe.

Dem „O Mensch“-Pathos des „Zarathustra“-Textes von Friedrich Nietzsche, wie ihn im 4. Satz der Chor machtvoll singt, ordnet Béjart das Erwachen eines jungen Mannes zu, der Liebe in ihren mannigfachen Spielarten erlebt. Eine Frau nähert sich ihm, ein frühlingshafter Springinsfeld zieht die Fäden. Grundiert wird all das von Paaren, gemischten wie auch reinen Männerduos, die dem Zauber der Liebe erliegen und deren Flüchtigkeit erfahren: wenn Paare sich trennen und neue Bindungen eingehen. Den Protagonisten mag das verwirren – am Ende siegt l'amour, indem der Eros des Frühlings Mann und Frau zusammenführt. Plastisch, transparent, raumgreifend gliedert Béjart die Gruppen, lauscht feinfühlig und dezent der Musik, überdeckt sie nirgendwo und erfüllt dennoch ihren Geist. Das macht das 40-Minuten-Epos zum veritablen Zusehgenuss auch 40 Jahre nach der Uraufführung in Monte-Carlo. Ob man heute noch jene Riege an Naturgottheiten aufziehen ließe: Die jugendfrische Kompanie in ihrem Großelan tanzt das weg, mit Julien Favreau als grüblerischem Menschen, Masayoshi Onuki als strahlendem Frühlingseros, Elisabet Ros als kühler Frau auf Spitze. Orchester und Chor der Deutschen Oper unter Donald Runnicles agierten, bis auf manche Bläser, konzertreif.

Mehr noch im Gastspielzentrum standen zwei Béjart-Kreationen, die zum goldenen Fonds des Tanzes zählen. Auch sein „Sacre du Printemps“ ist ein Hymnus auf die Liebe - nicht, wie in vielen anderen Fassungen, mit dem Opfertod, sondern einer rituellen Vereinigung der beiden Erwählten in der „Béjart-Blume“, einer immer wieder zitierten Kreissballung, aus der das Paar wie ein Blütenstempel herausragt. Bis zu diesem fulminanten Ende haben die Männer- und die Frauengruppe ihre massigen, choreografisch und emotional aufschäumenden Aufheizungsszenen, kraftprotzend bis zur berühmten Sprungdiagonale die einen, lauernd gleitend bis zum vielgliedrigen Organismus die anderen. Tobend oder koital verklammert feiern als grandioser Schluss 22 Paare die öffentliche Zwangsvereinigung der Erwählten, ein ekstatisches Bild. Oscar Chacon hat den Furor des erotisch Vibrierenden, der Kathleen Thielhelm in den Strudel seiner verhaltenen, dann auflodernden Begierde hineinreißt. Die Gruppe, verstärkt durch Eleven der École Atelier Rudra Béjart, bot ein bestechend vitales Gesamttableau, das Unsauberkeiten in den Lufttouren nicht trüben. Wiewohl Béjart vorzüglich gern in Sportstadien und Arenen gastierte, sind diese Werke doch auf Frontalsicht angelegt und kommen daher in Theatern besser zur Wirkung.

Das trifft ebenso auf seinen narkotisierenden „Boléro“ zu, ein sich bis zur explosiven Entladung steigerndes Anfeuerungssolo auf einem Tisch, mit „Baujahr“ 1961 nur zwei Jahre jünger als „Sacre“. Eine reine Männergruppe umgibt jene Fackel des Eros - welche Zelebritäten haben sie nicht alle getanzt: vom Original Jorge Donn bis zu Maja Plissetzkaja. Für Berlin hat Gil Roman, der profunde Nachfolger in der Leitung des Béjart Ballet, eine weibliche Besetzung für den Hauptpart gewählt und damit der Starballerina Polina Semionova, flankiert von 18 Herren aus Lausanne und 20 vom Staatsballett, eine triumphale Rückkehr nach Berlin beschert. Bei Aufbietung aller Kraftreserven fiel es ihr, Prinzessin von Geblüt, nicht leicht, jene sinnliche Feuersbrunst zu entfalten, die gegen eine hochperfektionierte Männermaschinerie antobt. Trotzdem: Polina herzlich willkommen geheißen und blumenübersät, die Gruppe bejubelt. Das Tempodrom ganz aus dem Häuschen.
 

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