„Bach/Passion/Johannes“ von Laurent Chétouane

„Bach/Passion/Johannes“ von Laurent Chétouane

135 Minuten Leiden

Spielzeiteröffnung auf Kampnagel mit „Bach/Passion/Johannes“

Es klang durchaus vielversprechend, was die Intendanz der Hamburger Kampnagelfabrik angekündigt hatte: eine Uraufführung Laurent Chétouanes in Kooperation mit dem Musiker-Solistenensemble „Kaleidoskop".

Hamburg, 04/10/2014

Es klang durchaus vielversprechend, was die Intendanz der Hamburger Kampnagelfabrik für die Eröffnung der Spielzeit 2014/15 angekündigt hatte: eine Uraufführung des französischen Choreografen Laurent Chétouane in Kooperation mit dem Musiker-Solistenensemble „Kaleidoskop“ aus Berlin. Im Mittelpunkt: die Johannespassion von Johann Sebastian Bach. „Im künstlerischen Kosmos des Franzosen Laurent Chétouane treffen Körper und Philosophien aufeinander wie Elemente in einem osmotischen Prozess“ heißt es in der Ankündigung des Stückes. Von einer „verstörend schönen Formensprache“ ist da die Rede und davon, dass der Choreograf „das Christentum nach Spuren der Toleranz, der Öffnung und Pluralität als Ursprung und Quelle freier und kritischer Gedanken“ hinterfrage.

Was dann jedoch tatsächlich auf der Bühne der K2 zu sehen ist, sind 135 Minuten sich kaugummiähnlich in die Länge dehnende quälende Langeweile und einschläfernde Redundanz. Man hat den Eindruck, als habe sich Chétouane seit „Sacré Sacre du Printemps“ künstlerisch in keiner Weise weiterentwickelt – die vier Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich wie ehedem zusammenhanglos mit weichen Knien und wedelnden oder abknickenden Armen gehend, schlurfend oder unbeholfen hüpfend barfuß über die Bühne, mehr improvisierend als einer Choreografie folgend. Manchmal nehmen sie Bewegungen voneinander auf und treten in eine Art Kurzdialog der Körper, der aber schnell wieder abbricht und in auch keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Musik steht. Ihre Münder stehen meist offen, vor allem bei den beiden Tänzern, was ihren Gesichtern einen anhaltend gequält-gelangweilten Ausdruck verleiht. Immer wieder stellen sich die Tänzer direkt vor das Publikum, fixieren einzelne Zuschauergruppen mit den Augen, um sich dann wieder abzuwenden und die anscheinend unmotivierten Bewegungssequenzen fortzusetzen.

Eine Choreografie ist da nur schwer erkennbar wie auch irgendeine sinnstiftende Dramaturgie oder Struktur in diesem Stück, das mehr von den sieben Musikern und ihren Begegnungen mit den Tänzern geprägt wird als vom Tanz. Häufig wechseln die Musiker den Platz, reihen sich ein in die Tanzgruppe, laufen mit ihnen über die ansonsten leere Bühne, um dann an anderer Stelle wieder die Instrumente (zwei Violinen plus Bratsche, kleine Orgel, Cello, Flöte, Kontrabass) zu ergreifen und weiterzuspielen. Neben Senem Gökce Ogultekin, die eigentlich Tänzerin ist, hier aber den Part des Evangelisten übernommen hat, bestreiten die Musiker auch den Gesangsteil – und allesamt sind sie mit den anspruchsvollen Rezitativen, Chören und Arien von Bachs Johannespassion hörbar komplett überfordert.

Am ärgerlichsten jedoch ist die Zerstückelung dieses großartigen musikalischen Meisterwerks ohne erkennbaren Sinn und Verstand. Der Cellist Michael Rauter hat mit seinen KollegInnen die Partitur der Johannespassion in einer Art Overkill komplett zerpflückt und bruchstückhaft neu zusammengesetzt bzw. verkürzt. Spätestens nach einer halben Stunde Zuschauens hat man komplett den Faden verloren und findet ihn auch nicht wieder. Was mit daran liegt, dass man von den Texten kaum etwas versteht. Wie auch? Musiker und Tänzer müssen weder singen noch Sprache gut artikulieren können.

Dass die Musiker gute Solisten sind, ist an den wenigen Passagen, wo sie sich ungestört entfalten können, durchaus hörbar. Für den Tanz trifft Vergleichbares leider nicht zu. Was ein großes Thema hätte werden können – die Frage, was passiert, wenn der „vermeintliche Atheismus unserer Zeit“, der „übersieht, wie stark die gesamte westliche Welt vom Christentum geprägt ist“, auf die „haltsuchende Rückkehr zum Religiösen“ trifft (Programmzettel) – verkommt hier zu lähmender Belanglosigkeit. Man habe, so erzählt es der Programmzettel, eine „Gemeinschaft, eine Verbundenheit und ein Zusammenleben kreieren“ wollen, deren „Werte es nicht mehr zu zelebrieren, sondern zu hinterfragen, auf den Kopf zu stellen und abzuwägen“ gelte, mittels „des von der Musik ergriffenen Körpers“. Von all diesen hehren Ansprüchen wurde leider nichts eingelöst. Schade.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern