Proben zu Sanchez‘ „Strawinsky Abend“ am Nordharzer Städtebundtheater. Tanz: Ensemble

Proben zu Sanchez‘ „Strawinsky Abend“ am Nordharzer Städtebundtheater. Tanz: Ensemble

Der Katalane und das russische Ballett

Das Nordharzer Städtebundtheater lässt zu Musik Strawinskys tanzen

Wenn sich am 19. September auf der Neuen Bühne im Theater Quedlinburg der Vorhang über der ersten Tanzpremiere der Saison hebt, dann bedeutet das für das Ballett am Nordharzer Städtebundtheater einen Neubeginn nach schwerer Zeit.

Quedlinburg, 14/09/2014

Wenn sich am 19. September auf der Neuen Bühne im Theater Quedlinburg der Vorhang über der ersten Tanzpremiere der Saison hebt, dann bedeutet das für das Ballett am Nordharzer Städtebundtheater einen Neubeginn nach schwerer Zeit. Erst 46jährig verstarb im Juni der langjährige Ballettchef des Mehrspartenhauses. Seit 2003 hatte der gebürtige Pole das Ensemble überaus engagiert geprägt, oft mit dramatischen Handlungsballetten nach eigener Vorlage, von „Alexis Zorbas“ bis zur „Kameliendame“, auch mit gelungenen Ausflügen ins Jazzballett. Und er hatte die Reduzierung seiner Personnage auf acht Planstellen akzeptieren müssen. Mit diesem Erbe bis hin zur Vorplanung für die aktuelle Spielzeit hat sein Nachfolger zu leben. Zumindest gastweise übernimmt nun Francisco Sanchez Martinez das Zepter und hat der Gruppe einen Dreiteiler zu Musik von Igor Strawinsky einstudiert. Er selbst kann auf eine bewegte Vergangenheit im Tanz verweisen.

In Zürich, wohin seine Eltern in den 1950er Jahren dem Franco-Regime via Frankreich entkommen sind, erblickten Francisco und sein Zwillingsbruder Javier die Welt. Eine offene Wunde, lediglich mit einem Pflaster zugedeckt, sei die Flucht aus Barcelona für die Familie bis heute, gesteht Francisco. Hatte die Mutter doch Francos Erschießungskommandos miterlebt. Das Leben der Zwillinge verlief fast deckungsgleich: Eiskunstlauf ab 6, für den Bruder mit Gewinn einer Goldmedaille. Der Unterricht in Ballett ließ beide dem Eis abtrünnig werden. Ballettakademie Zürich und, dank einem Stipendium, München waren Stationen der Ausbildung; Karlsruhe, Nürnberg, dann erstmals ohne den Bruder und unter der Apartheid leidend Kapstadt, wieder gemeinsam Düsseldorf und Berlin wurden Orte der Bühnenkarriere. Geprägt haben besonders die neun Jahre im Friedrichstadtpalast, worauf ein vierjähriges Choreografiestudium bei Dietmar Seyffert an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ folgte. 2006 schrieb sich für diese Ausbildung dann auch Bruder Javier ein.

Für Francisco fing nach dem mit Auszeichnung erworbenen Diplom der Alltag an: Gastchoreograf meist im Musiktheater an Häusern in Hamburg, Eisenach, Coburg, Magdeburg, Görlitz, Heidelberg, Neustrelitz. Sein erstes Festengagement führte ihn 2010 - 2013 nach Lüneburg, „eine so gute wie harte Lehre“, erinnert er sich: Von der Direktion und Bürodienst, Öffentlichkeitsarbeit, Texten für die Dramaturgie bis zur Gründung eines noch immer existierenden Tanztheaters für Laien 45+ oblag ihm fast alles. „Nebenher“ entstanden im „eigentlichen“ Job Choreografien wie „Bachgeflüster“, „Des Kaisers neue Kleider“, „Der Zauberlehrling“.
Mit seiner soliden, ungewohnt breitgefächerten Basis dürfte er auch für das Nordharzer Städtebundtheater ein Gewinn sein. Selbst ausgesucht für sein Debüt hat er sich die Strawinsky-Werke, die nun ins Bühnenlicht drängen. Das 1929 geschriebene Capriccio für Klavier und Orchester wird hier gerahmt von zwei Signaturstücken des neoklassischen Tanzes. Mit „Agon“ von 1957 und „Apollon musagète“ von 1928 hat George Balanchine Ballette von Weltrang kreiert, die unlösbar mit seinem Namen verbunden scheinen. „Fast jedenfalls“, sagt Francisco. Er habe sie sich zwar in der Vorbereitungsphase angesehen, aber einen gänzlich anderen Ansatz gewählt, statt Spitzentanz mehr zeitgenössische Techniken, „die den Boden durchaus einschließen“. Die Tänzer haben erst mal „geschluckt“, lacht Francisco, dann begeistert bei dieser „Entdeckungsreise auch für sie“ mitgezogen, „eine wunderbare kleine Kompanie, die schnell lernt“.

Die Vielfalt des Tanzes zu vermitteln hat sich Francisco als Motto gewählt. Auch die zwei von anderen Gastchoreografen realisierten Stücke der Saison, „Die Schneekönigin“ und „Peer Gynt“, beide noch von Jaroslaw Jurasz geplant, zielen in diese Richtung. Sein kreativer Geist sei immer noch im Haus zu spüren, „eben ein Vollbluttheatermensch“, bringt es Francisco auf den Punkt. Vielleicht erwächst dem Nordharzer Städtebund in dem Spanier mit der katalanischen Abkunft ja ein würdiger Nachfolger.

Nächste Vorstellungen: 19.9., 4., 24.10. (Quedlinburg), 26.9., 19.10. (Halberstadt)

 

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