„Not Punk, pololo“ von Gintersdorfer/Klaßen

„Not Punk, pololo“ von Gintersdorfer/Klaßen

Die Tanzpunks

Das Festival Tanztheater International Hannover

Bei Gintersdorfer und Klaßen wird afrikanischer Tanz zur wilden Show, während der Nachwuchs beim Künstlerresidenz-Programm „Think Big“ den Körper sucht.

Hannover, 10/09/2014

Für das Projekt „Think Big“ bekommen Nachwuchschoreografen beim Festival Tanztheater International in Hannover die Gelegenheit, mit einer neuköpfigen Kompanie im Studio der Hannoverschen Staatsoper zu proben, also unter Großbedingungen, die sich freie Choreografen sonst nicht leisten könnten. Ob sie darum ihre Ästhetik so auf Staatstheater getrimmt haben, wie sich anlässlich ihrer drei Uraufführungen im Pavillon erleben ließ?

Dagegen holen Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen mit ihren Recherchen über afrikanischen Tanz eine Anmutung von Straßentanz und gesellschaftlicher Rebellion auf die Bühne. „Not Punk, Pololo“ heißt ihre jüngste Großproduktion, ein mit allen Mitteln schrilles Spektakel aus krachender Musik, geshouteten Texten und muskelbetonten, hypersexualisierten Bewegungen. Ein Tänzer erklärt gleichzeitig die Phänomene, trennt das nach einem Mörder benannte, mackerhafte Pololo aus Abidjan vom freistiligen Punk Europas, das „Voguing“ der Gay-Bewegung vom „Couper Decaler“ mit der entblößten Unterhose. Neben farbigen Muskelmännern und ihren fies blickenden Frauen agieren Männer im Netzhemd oder mit Bart, Zopf und Pumps. Manches sieht nach Kampf aus, manches nach Sex, aber alles ist hochenergetisch und ergibt eher eine Konzertperformance als ironisch moderierten Tanz wie sonst bei Gintersdorfer/Klaßen. Im Grunde müsste der Abend gleich ohne Bestuhlung und zum Mittanzen angeboten werden.

Die drei Choreografien von „Think Big“ sind von solch wilden Tanzstilen unbeeinflusst. Shannon Gillen würfelt ihre Tänzer in schönen Konstellation über die Bühne und überlagert das Geschehen mit Videostimmungen aus der Natur oder loungiger Rotlicht-Bar. Worte fallen von den Spuren der Eltern im eigenen Leben, aber im Gewimmel der viel zu vielen Bewegungen entsteht kein Bild, das haftet, kein roter Faden.

Robert Przybyl will Berührungen nachspüren und bleibt viel zu lange an seinen Ideen hängen. Ob banale Rockmusical-Action, vanitasträchtige Selbstbefingerung im Videospiegel, Kickboxen oder inniges Zusammenstecken der Köpfe, es fehlten Timing und Gewichtung.

Und Miquel G. Font zieht seinen „Exodus to Hopeland“ vor allem als Reality-Show im Video auf. Die Siegerin wirkt einsam und weint: In Hopeland angekommen, gibt es nichts mehr zu hoffen. Nur hätte eben das auf der Bühne im Tanz erzählt werden sollen, da aber blieb die Show zu dürftig.

So wirkte dieser Jahrgang deutlich braver als die beiden vorangegangenen, die durch teils verblüffende Bewegungsfindungen geglänzt hatten. Vom Video geblendet, müssen die jungen Choreografen dieser Tage schauen, wie sie den Körper wieder zum Ausdruckskern machen.
 

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