Wieder und wieder und noch einmal mehr

Joy Kristin Kalu über lustvolle und zwanghafte Aspekte der Wiederholung

Ihr Buch „Ästhetik der Wiederholung“ beruht auf Kalus Dissertation, die 2012 an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften angenommen wurde, wo sie auch am Institut für Theaterwissenschaft lehrt.

»Clearly the audience was ready for a new variety of particiation«, sagte Sal Piro, der 1977 in einem New Yorker Kino bei einer Vorführung der Rocky Horror Picture Show, begeistert mittat und synchron zu Columbia steppte. Live, vor der Leinwand, parallel zum Film. An diesem einführenden Beispiel entwickelt Joy Kristin Kalu die Fragen und Themenfelder, die das Phänomen der Wiederholung als formales Stilmittel konturieren. Ihr Buch „Ästhetik der Wiederholung“ beruht auf Kalus Dissertation, die 2012 an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften angenommen wurde, wo sie auch am Institut für Theaterwissenschaft lehrt.

Kalu nimmt die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances – so der Untertitel – in den Blick. Sie schreibt sich damit produktiv in die von ihr diagnostizierte ubiquitäre »Kultur der Wiederholung« ein, »deren Höhepunkt gegenwärtig postuliert wird« (S. 17). Dabei konstelliert die Autorin ihre Fragestellungen so, dass sie einen »Wiederholungsbegriff« entwickeln kann, der idealerweise auf viele (wenn nicht alle) Wiederholungsphänomene angewendet werden kann – was bei diesem denkbar weiten Begriff, der auch als umbrella term taugen würde, nicht so fern liegt.

Wiederholungen, so zeigt Kalu vor allem an künstlerischen Strategien der bildenden Kunst und der Performance Art in den 1960er und 1970er Jahren, aber auch an Reenactments im neuen Millenium, irritieren die Wahrnehmung (fordern sie so heraus) und setzen Resignifizierungsprozesse in Gang. Dass dies kein Diskurs ist, der erst im 20. Jahrhundert hervorgebracht wird, sondern bereits viel früher einsetzte, zeigt Kalu mit ihrer Lesart von Kierkegaards Text Die Wiederholung von 1843. »Repräsentation«, so Kalu, erweise sich hier »als Inszenierung von Präsenz.« (S. 36) Damit ist im theoretischen Teil der Arbeit das Thema angeschlagen, dem Kalu in einem kursorischen Überblick über Wiederholungsphänomene bei Nietzsche und Freud folgt, wobei sie sich mit dem Fakt auseinandersetzen muss, dass dies Deleuze/Guattari und Derrida auch getan haben, was eine kuriose Abfolge der Positionen nötig macht, insofern Kalu chronologisch reiht und dann die poststrukturalistische Lektüre von Kierkegaard und Nietzsche nachreichen muss. Dem schließt sich Derridas Lektüre von Antonin Artauds Theater der Grausamkeit an; Austin und Butler folgen. Konsequent auf das entwickelte Gefüge von Wiederholung und Theatralität gelesen, konstruiert sich Kalu daraus ihren operablen Wiederholungsbegriff, den sie im Netz theaterwissenschaftlicher Begrifflichkeiten an wichtigen Knotenpunkten festmacht (Repräsentation, Exzess und Liminalität, Differenz, Verkörperung) und an der Auseinandersetzung mit Positionen Phelans und deren Diskussion in der Forschung schärft.

In vier Kapiteln untersucht Kalu verschiedene Ausprägungen markanter Wiederholungskonzepte, beginnt mit den bildenden Künstlern Ad Reinhardt und Frank Stella, den Strategien der Minimal Art und der Pop Art, die erst einmal für die positive Umdeutung der Wiederholung gesorgt hätten. Im Performancekapitel behandelt Kalu Robert Morris, Trisha Brown und Dan Graham, dann untersucht sie Inszenierungen der Wooster Group und Robert Wilsons. Anschließend widmet sie sich dem Reenactment als neue Richtung künstlerischer Wiederholungsverfahren.

Mit Interesse liest man die vielen Querverweise und Bezüge, die Kalu leistet. Abschließend konstatiert sie, dass »die Wiederholung als postmodernes Phänomen par excellence« (S. 249) im Mainstream angekommen und an Brisanz verloren habe. Was dafür gewonnen wurde? Eine »zwanglose Ästhetik der Wiederholung, die den Wiederholungszwängen theatraler Repräsentation inzwischen geübt und lässig gegenübersteht.« (S. 254) Damit begegnet die Studie ihrem Gegenstand auf Augenhöhe – lässig und souverän.


Kalu, Joy Kristin: Ästhetik der Wiederholung. Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances, Bielefeld (transcript Verlag) 2013, 298 Seiten, kart., zahlr. Abb.
ISBN 978-3-8376-2288-1, € 33,80 (E-Book: 32,99)

 

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