„Monsterbox“ von Johanna Roggan

„Monsterbox“ von Johanna Roggan

Das sanft entstellte Wesen

„the guts company“ im Societaetstheater Dresden

Die freie Tanzszene Dresdens hat mit dem Societaetstheater seit Langem einen steten und offenen Förderer. Mit „Monsterbox“ kam jetzt eine Arbeit zur Premiere, die für den Tanzpreis Sachsen nominiert ist.

Dresden, 27/06/2014

Die choreografische Verantwortung für „Monsterbox“ hat Johanna Roggan übernommen - eine Tatsache, die das Interesse der Kritiker weckt: Johanna Roggan gehört neben Hermann Heisig zu den Preisträgern der 1. Sächsischen Tanzplattform im vergangenen Jahr. Was sie hier in Zusammenarbeit mit den Tänzern liefert, ist gleichzeitig ein Genuss des Abgrunds und ein Abgrund des Genusses.

Das Monster als Widergänger des Menschen, manchmal als Revers der menschlichen Existenz angesehen, ist in der Kunst keine Seltenheit, auch speziell im Tanz nicht. Erst Anfang des Monats gastierte die Forsythe Company wieder mit ihrem „Angoloscuro“ im Festspielhaus Hellerau, in dem aus der dunklen Ecke (ital. „angolo oscuro“) die Alpträume krochen.

Hier stehen die vier Wesen zu Beginn an den Wänden der Black Box, reglos. Die Kostüme - einerseits Zitate aus hunderten von Jahren Modegeschichte mit Stationen irgendwo zwischen mittelalterlich strenger Haube und verspielten Rokokorüschchen, andererseits sich in sinnlicher Grenzenlosigkeit verlierende Fetischanwandlungen - machen die vier Tänzer zu voneinander scharf abgegrenzten Individuen. Erotik war schon immer ein grundlegender Einfluss auf Kleidung und Mode. Auch die Individualität des jeweils eigenen Ausdrucks in den Bewegungen, gekonnt gestützt durch die auffälligen Kostüme, bewirkt eine kraftvolle Heterogenität auf der Bühne.

Nur langsam finden die vier Wesen zu einem diffusen Miteinander zusammen. Der gesamte Ablauf ist introvertiert gestaltet, abgewandt vom Publikum, ganz für sich. Es ist keine Aus-Stellung. Erst nach geraumer Zeit stellen sich die Tänzer in einer Reihe auf, ganz vorn, direkt vor der ersten Reihe, mit ausdruckslosem Blick ins Publikum. Einige Ticks in den Gesichtern, dann erfolgt die Flucht zurück in die Sicherheit des Bühnenraumes. Und man fragt sich, wo der Mensch aufhört, Mensch zu sein. Die Vokabel Monster liegt dabei fern. Zu genussvoll ist die Sünde, die nicht enden wollende gegenseitige Qual. Man assoziiert ganz unweigerlich Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. Auch in dieser Form einer gefühlten Vorhölle meint man, das Schlimmste stünde noch bevor.

Diese Arbeit ist so innerlich, dass sie kein Publikum zu brauchen scheint. Unklar bleibt die Antwort auf die Frage, ob die Tänzer gegeneinander oder miteinander agieren. Wenn einzelne Szenen einem Kampf gleichen, wird weder ein Motiv deutlich, noch geht am Ende ein Sieger daraus hervor. Irgendwann steht die Tänzerin Lisanne Goodhue ganz im Hintergrund, das Gesicht zur Wand, hörbar ist nur ihr Schluckauf. Was für ein schöner Schluss. Wenn es denn einer wäre. Das kreative Potential will sich hier noch nicht als erschöpft ergeben. Die Personenkette reißt, aber selbst dann findet diese Arbeit nicht zum Ende. Ein dritter Teil besteht nur aus Text, eingespielt aus dem Off. Auch dann ist es noch nicht vorbei.

Dramaturgisch betrachtet ist „Monsterbox“ mit fast 90 Minuten zu lang. Die einzelne Zustandsbeschreibung trägt nicht über diesen Zeitraum. Entstanden sind dabei nicht unbedingt Längen, sondern ein Übermaß an Szenen, die den Kern der Aussage nur wiederholen. Am Ende steht nur noch das Wort „satisfaction“, vielfach stimmlich variiert. Ein Attribut, das sich nicht mit der empfundenen Erschöpfung des Publikums in Einklang bringen lässt.

Verfolgt man eine solche Arbeit, muss man sich Sorgen um die Dresdner Tanzszene machen. Sorgen darum, Talente wie Johanna Roggan könnten der Stadt irgendwann den Rücken kehren. Förderung ist also zu empfehlen. Und die ist in vielerlei Art unterwegs. Seit Jahren. Mit dem Tanzpreis Sachsen kommt ein weiterer Baustein dazu. Das ist höchst erfreulich. Und trotz aller Längen stehen für „Monsterbox“ die Chancen in diesem Wettbewerb gut.
 

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