Gefangen im Ballettsaal

Cathy Marston choreografiert Tschechows „Drei Schwestern“

Ein kleines Juwel funkelt im Musiktheater im Revier, Cathy Marstons Ballett „Drei Schwestern“ nach Anton Tschechows melancholischem Prosa-Drama von 1901. Erstaunlich unverkrampft erzählt die britische Choreografin die Geschichte von den unglücklichen jungen Frauen, die sich aus der Einsamkeit der Provinz in ihre Geburtsstadt Moskau zurücksehnen.

Gelsenkirchen, 01/06/2014

Marston verlegt den Schauplatz in einen Ballettsaal und erzählt das Schicksal dreier Ballerinen: Tschechows herbe Schulmeisterin Olga wird zur unerbittlich strengen Ballettmeisterin im schwarzen Spitzenkleid. Die unglücklich verheiratete Mascha fühlt sich als Primaballerina vom Choreografen, ihrem Ehemann, als Material benutzt - bis der unterstützende Partner sie aufblühen lässt. Das Küken Irina hat sich den Status der Solistin hart erarbeitet, sieht aber keine Möglichkeit des Fortkommens, da kein passender Partner zu finden ist. Farblos bleibt der glücklose Bruder der drei Damen - einziger Tänzer der kleinen Kompanie, dominiert von der kühl kalkulierenden, ehrgeizigen Natascha, die als einzige ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Sie entwickelt eine neue Tanzsprache, um aus sich selbst heraus zu überleben. Der Kommandeur der stationierten Soldatentruppe wird zu Diaghilew, der Tänzer für die kleine Kompanie zur Verfügung stellt.

Es ist nicht nur die frappierende Schlüssigkeit, mit der dieses Drama zum Ballettlibretto umfunktioniert wird, die Marstons „Drei Schwestern“ zu einem besonderen Erlebnis macht. Vor allem begeistern die drei Protagonistinnen und auch die übrigen Solisten als wirkliche Charaktere. Kusha Alexi vergegenwärtigt Olgas Verzweiflung schon in ihrem ersten Solo geradezu herzzerreißend. Einen Panzer aus Strenge legt sie um ihre innersten Gefühle beim Training mit dem Corps de ballet. Birgit Breiner macht mit grandioser tänzerischer und darstellerischer Autorität Maschas Hunger nach Liebe deutlich und ihre Sehnsucht nach einem Partner, der ihr Ausnahmetalent zu höchster Blüte bringen kann. Petar Djorcevski wirkt als dieses personifizierte Ideal unschuldsvoll authentisch. Aidan Gibson porträtiert die aufstrebende Solistin Irina anrührend wie bisher keine ihrer Rollen. Zielstrebig und mit der nötigen Kälte gibt Ayako Kikushi die ehrgeizige Elevin Natascha, angemessen zurückhaltend Valentin Juteau ihren Gatten. Mit großer Aura und Eleganz stattet Joseph Bunn den Kommandanten Tusenbach, hier Impresario, aus. Den Spagat zwischen der Autorität des Choreografen und seinen Gefühlen für Mascha meistert Ordep Rodriquez Chacon mit furchterregender Grandezza.

Ines Aldas Kostüme charakterisieren die Personen wunderbar. Dirk Becker gestaltet die kleine Bühne durch zwei mobile Raumteiler mit Vorhängen sehr effizient. Die Vierertische im Parkett allerdings, die für seine „Cabaret“-Ausstattung durchaus sinnvoll waren, sind eher ärgerlich, blockieren sie doch zu vielen Zuschauern den Blick auf das wichtigste „Requisit“ eines Balletts: die Füße der grandiosen Tänzer.

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