Auf dem Weg zum eigenen Ich

Palucca-Absolventen lassen keine Zweifel an ihrem Können

Im Festspielhaus Hellerau zeigte der Studiengang Tanz der Palucca Hochschule für Tanz Dresden seine Bachelor-Arbeiten. Zehn Arbeiten, die allesamt eins eint: ein mutiger, konzeptioneller Zugriff.

Dresden, 22/05/2014

Die meisten der Absolventen sind einem spätestens mit dem jüngsten Abend des Palucca Tanz Studios vom Februar diesen Jahres aufgefallen, in dem die Tänzer vor allem in Heidi Vierthalers erfrischend-unterhaltsamem „Shine“ im Wortsinn glänzten. Dass sie nun auch einen sicheren Zugriff innerhalb eigener Arbeiten bewiesen, erfreut. Vergleicht man die choreografischen Ansätze in ihrer Summe mit denen der Absolventen des vergangenen Jahres, ist eins nicht von der Hand zu weisen: Die Konzepte erscheinen einen Schritt weit experimenteller und basieren weniger auf rein abstrakten Vorstellungen.

Eröffnet wurde der Abend mit der wohl am stärksten klassisch geprägten Arbeit, dem „Negative Existence“ von Francesca Ammaturo, einem Pas de deux auf Spitze zur Musik des unausweichlichen Arvo Pärt. Das „Negative“ hier erscheint in einer Videoprojektion der Tänzerin, wobei die Farben in ihr Gegenteil, ins Negativ gekehrt sind. Dieses alter ego zieht sich wie ein roter Faden in Variationen durch alle Arbeiten. Das nimmt nicht Wunder. Die thematische Klammer als Aufgabenstellung an die Absolventen lautete „... plötzlich habe ich mich gefunden“.

Xenja Füger überzog in einem expressiv-reflexiven Solo den Tanzboden nachhaltig mit Wasser und erschwerte damit Anton Shults und Toni Köhler in „We all walk under God“ den reißerischen Kampf „arm gegen reich“.

„The outer Surface“ lag für Ellénore Abraham und Seth Buckley in ihren weiß geschminkten Gesichtern. Das Maskenhafte unterstrich die bemerkenswert sensible Formensprache dieses Duos, das klassisches Ballettvokabular aufgriff, um es vorsichtig zeitgenössisch umzudeuten.

Das zankende Pärchen gaben Violeta Wulff Mena und Alexei Bernard, die mit dem unterhaltsamsten Stück des Abends punkteten. Diese szenisch-darstellerischen Aspekte waren in jeder der Arbeiten gekonnt eingearbeitet, so dass die Dramaturgie funktionierte und das choreografische Arbeiten nicht darunter litt.

Lars Reinschmidt nutzte in seinem Duo mit Xenja Füger das Frühlingswetter und bat das Publikum auf den Eingangsbereich vor dem Festspielhaus, wo die beiden getrennt durch eine Tür einen inneren Monolog vertanzten, der durch Gedichte von Rudi Francisco einen konkretisierenden Ansatz fand - und das Publikum frische Luft.

Zurück im Saal kämpfte Alexander Bolk seinen individuellen Emanzipationskampf gegen den überpräsenten Vater. Wohin der Apfel fiel, wurde nur angedeutet und hätte fast übersehen werden können. „Jein“ sagte Anne Maria Wolf, die sich bis zum Schluss nicht dazu durchringen konnte, einen symbolischen Türrahmen endgültig zu durchschreiten. Innerer Konflikt, deutlich sichtbar.

Besonders effektvoll gestaltete Ann-Kathrin Hennekes ihre Frage „Fürchtest Du, was ich fürchte?“. Die Projektion eines Koordinatensystems auf den Tanzboden ist nicht neu, hier aber sicher und klug umgesetzt, statt nur dem reinen Effekt zu dienen. Im Widerstreit mit Chiara Detscher als ihrem alter ego kämpft sie sich durch das Psychogramm ihrer eigenen seelischen Grenzen nach oben, ans Licht.

Den Abschluss bildete Anne Huberts „Wechselwirkung“ ohne Musik, was sich als glücklicher Griff erwies: Das Ausbleiben musikalischer Untermalung verstärkte den kontemplativen Charakter des Nicht-Miteinanders zweier Menschen. Jede der Arbeiten erschien an irgendeinen Punkt greifbar und konkret, jedoch ohne abstrahierende Züge außen vor zu lassen. Niemand verlor sich im Ätherischen großer Gesten oder übergroßer Sinnbilder. Hier wurde mehr als deutlich, dass der körperliche Ausdruck im Tanz als nur einer der Aspekte des gesamten künstlerischen Konzeptes betrachtet wird. Immer wieder wurde klassisches Vokabular sichtbar und gleichzeitig mit individuellem Zugriff verarbeitet. Entstanden ist damit eine Art Ansammlung gelungener Kammerstücke, denn alle Arbeiten sind, nunja, eben ganz bei sich.
 

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